Wertlose Wertpapiere

Verlustverrechnung für Kleinanleger weiterhin möglich


Helmut Lehr

Mit dem Jahressteuergesetz 2019 sollte die steuerliche Anerkennung von bestimmten Wertpapierverlusten gekappt werden. Es kam allerdings anders: Verluste bis 10.000 € lassen sich ohne neuerliche Einschränkung weiter "nutzen".

Die Finanzverwaltung hat in den letzten Jahren u.a. die Auffassung vertreten, dass Verluste aus der Ausbuchung wertloser Aktien steuerlich nicht abzugsfähig seien. Gleiches galt z.B. für Verluste aus Verkäufen, bei denen die Transaktionskosten die Veräußerungserlöse übersteigen.

Weil die Steuergerichte vielfach anderer Meinung waren, sollte im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2019 eine klare gesetzliche Regelung erfolgen, um die fiskalische Auffassung zu bestätigen (vgl. AWA 20/2019). Der Gesetzgeber hat allerdings in letzter Minute kalte Füße bekommen und die geplante Änderung kurzerhand aus dem Jahressteuergesetz 2019 gestrichen (vgl. AWA 24/2019).

Neuregelung mit "Freigrenze"

Im Gegenzug wurde an anderer, "versteckter" Stelle eine modifizierte Neuregelung getroffen und ohne weitergehende Diskussion von Bundestag und Bundesrat verabschiedet. Die Änderung erfolgte im "Gesetz zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen". Betroffen sind dem Grunde nach die folgenden Sachverhalte (vgl. §20 Abs. 6 Einkommensteuergesetz):

  • Verluste aus der Ausbuchung wertloser Wirtschaftsgüter,
  • Verluste aus der Übertragung wertloser Wirtschaftsgüter,
  • Verluste aus der ganzen oder teilweisen Uneinbringlichkeit einer Kapitalforderung sowie
  • Verluste aus einem sonstigen Ausfall von Wirtschaftsgütern (Auffangtatbestand).

Der Gesetzgeber wollte es offenbar insbesondere Kleinanlegern auch weiterhin ermöglichen, in diesen Fällen Verluste aus Kapitalforderungen/Wertpapieren steuerlich geltend zu machen. Deshalb hat er die Verlustverrechnung nicht gänzlich untersagt, sondern eine "Freigrenze" in Höhe von 10.000 € eingeführt. Das bedeutet: Bis zu dieser Höhe können die betroffenen Verluste mit positiven Einkünften (Gewinnen) aus Kapitalvermögen ausgeglichen werden.

Hinweis: Nicht verrechnete Verluste (also Verluste >10.000 €) können Sie auf Folgejahre übertragen und dann wiederum jeweils bis zur Höhe von 10.000 € mit Gewinnen aus Kapitaleinkünften verrechnen. Eine Verrechnung mit anderen Einkünften, z.B. mit dem Apothekengewinn, ist – wie bisher – nicht möglich.

Weitere Verkomplizierung

Welche Auswirkungen die offenbar mit heißer Nadel gestrickte Neuregelung im Einzelnen hat, muss sich erst noch zeigen. Fest steht: Im Kapitalertragsteuerabzugsverfahren der Banken lässt sie sich nicht berücksichtigen, denn Anleger können natürlich bei mehreren Instituten Depots haben. Insofern wäre es einer Bank allein gar nicht möglich zu überprüfen, ob die 10.000 €-Freigrenze überschritten wird.

Außerdem verkompliziert sich die Verlustverrechnung bei Kapitaleinkünften jetzt nochmals. Schließlich gibt es bereits bislang zwei sogenannte Verlustverrechnungskreise:

  • einen allgemeinen für Verluste, die ohne Beschränkung mit Gewinnen aus Kapitaleinkünften verrechnet werden können, und
  • einen gesonderten für Aktien.

Danach können Verluste aus der Veräußerung von Aktien nur mit Gewinnen aus Aktienverkäufen verrechnet werden.

Hinweis: Wie das Ganze jetzt zusammenpassen soll, muss die Finanzverwaltung wohl noch in einem Anwendungsschreiben erläutern. Erste verfasssungsrechtliche Bedenken wurden bereits in der Fachliteratur geäußert.

Auch Termingeschäfte betroffen

Der Gesetzgeber hat darüber hinaus die Verlustabzugsmöglichkeiten bei Termingeschäften eingeschränkt – allerdings erst für Verluste, die nach dem 31.12.2020 eintreten. Auch insoweit gilt wiederum eine 10.000 €-Freigrenze. Das bedeutet: Verluste aus Termingeschäften, insbesondere aus dem Verfall von Optionen (vgl. hierzu AWA 21/2016), dürfen nur mit Gewinnen aus Termingeschäften und mit den Erträgen aus Stillhaltergeschäften ausgeglichen werden. Die Verrechnung ist beschränkt auf 10.000 €. Darüber hinausgehende, nicht verrechnete Verluste können Sie wiederum auf Folgejahre vortragen.

Intention des Gesetzgebers

Der Gesetzgeber rechtfertigt die Verlustverrechnungsbeschränkung damit, dass Termingeschäfte durch ihre begrenzte Laufzeit und durch Hebeleffekte in hohem Maße spekulativ seien. Die besonderen Effekte (hohe Gewinne und Totalverlust denkbar) würden bei anderen Kapitalanlagen nicht in vergleichbarem Ausmaß auftreten. Offenbar will man das Investitionsvolumen und die Verlustrisiken, die daraus für Anleger entstehen, durch eine steuerliche Lenkungsnorm begrenzen.

Hinweis: Die gesetzliche Beschränkung umfasst nicht nur diejenigen Fälle, die bisher umstritten waren und von den Gerichten entschieden wurden (vgl. AWA 20/2019). Sie geht deutlich darüber hinaus und gilt auch für bislang unkritische Sachverhalte wie die Zahlung eines Barausgleichs beim Closing einer Option oder Zahlungen aufgrund von Swap- und Future-Kontrakten.

Tipp zur Coronakrise

Die Finanzbehörden informieren die Steuerberater derzeit über Maßnahmen zu Steuererleichterungen. Sind Sie betroffen, sollten Sie sich kurzfristig mit Ihrem Berater in Verbindung setzen.

Helmut Lehr, Dipl.-Finanzwirt (FH), Steuerberater, 55437 Appenheim

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2020; 45(07):16-16