Die Weichen für den Online-Apothekenmarkt sind gestellt

Braucht die Vor-Ort-Apotheke eine Plattform-Strategie?


Dr. Bettina Mecking

Die Digitalisierung hat in der Coronakrise noch einmal Fahrt aufgenommen. Das wirkt sich auch grundlegend auf das Apotheken-Patienten-Verhältnis aus. Helfen in dieser Situation die neuen Zusammenschlüsse auf Apothekenplattformen, um im Onlinehandel zu bestehen?

Die Politik feilt auch in der Krise am rechtlichen Rahmen für eine digitale Transformation des Gesundheitssystems. So hat die Bundesregierung am 31. März den Entwurf des "Gesetzes zum Schutz elektronischer Patientendaten in der Telematikinfrastruktur" – kurz: "Patientendaten-Schutz-Gesetz" (PDSG) – vorgelegt.

Zukünftig nur noch E-Rezepte?

Mit diesem Gesetz will die Bundesregierung eine grundsätzliche E-Rezept-Pflicht ab 2022 einführen. Über eine zentrale Anwendung sollen die Patienten ihre elektronischen Verordnungen an verschiedene Anbieter weiterleiten können, wie etwa an die Vor-Ort-Apotheken oder die Versandkonzerne.

Mit den Verordnungen darf jedoch kein Handel betrieben werden. Zwar will man es Dritten weiterhin ermöglichen, sich an die Anwendungen der Telematikinfrastruktur anzubinden. Allerdings dürfen Dritte Verschreibungen – auch in elektronischer Form – weder sammeln noch an Apotheken vermitteln bzw. weiterleiten und dafür Vorteile erhalten. Außerdem soll verhindert werden, dass Dritte (inklusive den Krankenkassen) entsprechende Vorgänge mittelbar beeinflussen – auch über digitale Anwendungen, die in ihrem Auftrag bereitgestellt werden, wie z.B. elektronische Patientenakten, Apps oder Plattformen. Durch dieses Makelverbot soll die freie Apothekenwahl auch bei der Einlösung von elektronischen Verordnungen gewahrt bleiben.

Was sich ansonsten in Sachen digitale Ausrichtung tut, liegt auf einer Linie mit den rechtlichen Entwicklungen in der jüngeren Vergangenheit. Durch die Lockerung des Fernbehandlungsverbots etablieren sich gerade telemedizinische Versorgungsformen, bei denen noch nicht einmal ein persönlicher Erstkontakt zwischen Arzt und Patient nötig ist. Nicht zuletzt sieht das im November 2019 beschlossene "Gesetz für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation" – kurz: "Digitale-Versorgung-Gesetz" (DVG) – einen weiteren Ausbau der Fernbehandlungsmöglichkeiten vor, obwohl bezüglich der rechtlichen Rahmenbedingungen noch viele Fragen offen sind.

Dennoch erlebt die Telemedizin seit Beginn der Coronakrise einen kleinen Boom: Online-Arztpraxen haben ihre Video-Sprechstunden massiv ausgebaut und beraten auch Corona-Patienten bzw. -Verdachtsfälle aus der Ferne.

Die Krux mit den ausländischen Versendern

Das sogenannte "Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz" (VOASG) hängt bekanntlich in der parlamentarischen Warteschleife: Die Regierung will erst die Stellungnahme der EU-Kommission zum geplanten Boni-Verbot abwarten. Insofern kämpfen die Vor-Ort-Apotheken derzeit immer noch mit ungleich kürzeren Spießen gegen die ausländische Konkurrenz aus dem Netz.

Diese aber profitiert im Augenblick davon, dass die Angst vor einer Ansteckung (nicht nur im Apothekenmarkt) viele Kunden dazu treibt, online zu bestellen. Und nach der Krise werden die Verbraucher zumindest teilweise an den neuen Vertriebswegen festhalten – die Einführung des E-Rezepts leistet ihr Übriges dazu.

Die Stärken ausspielen

Die Vor-Ort-Apotheken tun gut daran, ihre Vorzüge in diesen sich wandelnden Zeiten geschickt auszuspielen. Sie dürfen ihre systemimmanenten Vorteile nicht verspielen.

Einer dieser Vorteile ist die persönliche Beratung kombiniert mit der Möglichkeit, digital zu interagieren – nicht zuletzt, weil sich seit Oktober 2019 die Telepharmazie etabliert: Apotheken dürfen ihre Patienten nun auch im Wege der Telekommunikation beraten (vgl. AWA 8/2020).

Ein zweiter Vorteil: Die gewünschten Medikamente sind dank der häufigen Großhandelslieferungen ständig vor Ort verfügbar: Sie können den Kunden innerhalb weniger Stunden entweder zur Abholung bereitgestellt oder über den inzwischen zur Regelleistung erklärten Botendienst geliefert werden (vgl. auch den Kasten).

Die längeren Lieferzeiten halten die Kunden ebenso wie die fehlende persönliche Beratung vom Kauf bei Versandhandelsapotheken ab – und machen die Vor-Ort-Apotheken insoweit überlegen. Es führt aber kein Weg daran vorbei, sich auf diese Stärken zu konzentrieren und sie gezielt auszuspielen. Das bleibt die einzige Chance, um auch nach der flächendeckenden Einführung des E-Rezepts konkurrenzfähig zu bleiben.

Allerdings fehlt vielen Apotheken derzeit noch die digitale Infrastruktur, um diese Überlegenheit auszuspielen. Das fängt oft schon bei der professionellen Weiterbearbeitung einer unkomplizierten Online-Bestellung an.

Gemeinsam (noch) stärker werden

Ein Konzept, mit dem Vor-Ort-Apotheken ihre Stärken noch besser ausspielen können, machen lokale Einzelhandelsgeschäfte aktuell vor: Sie präsentieren ihre Angebote gemeinsam auf diversen Hilfsplattformen.

Dementsprechend stellen auch verschiedene Anbieter in unserem Markt derzeit ihre jeweiligen Konzepte für digitale Plattformen vor. Sie fokussieren sich dabei auf die Marktpositionierung der stationären Apotheken gegenüber reinen Online-Angeboten. Viele Inhaber sind bereits bereit, sich einem solchen Plattformkonzept anzuschließen.

In diesem Rahmen können auch Kooperationen mit anderen Partnern wie z.B. Botendienst-Unternehmen, das gute Serviceangebot der Vor-Ort-Apotheken stärken. So etwa soll eine Datenbank der botendienstliefernden Apotheken aufgebaut werden.

Die größte Herausforderung beim Aufbau eines Online-Vertriebs per Plattform ist die geringe Bekanntheit der vorhandenen Angebote bei den Patienten. Apothekenplattformen sollten daher vor allem ihre Sichtbarkeit in Online-Suchmaschinen verbessern.

Man geht derzeit davon aus, dass Patienten, die einmal eine Plattform oder einen Versandhändler gewählt haben, danach nicht mehr wechseln. Deshalb wäre es ein großer Fehler von stationären Apotheken, mit der Verbesserung des Online-Angebots zu warten, bis die Krise vorbei bzw. das E-Rezept endgültig eingeführt ist.

Welches Potenzial Plattformen haben, zeigt übrigens auch die Ankündigung der beiden größten niederländischen Arzneimittelversandhändler, solche Plattformen ebenfalls einzuführen – und sie lokalen Apotheken in Deutschland ohne eigenen digitalen Auftritt anzubieten. Die Spekulation dahinter dürfte sein: Wenn alteingesessene Apotheker die Wahl haben, entscheiden sie sich lieber für eine dem Apothekenmarkt nahe niederländische Versandapotheke als für die allumfassende Handelsplattform Amazon.

Dr. Bettina Mecking, M.M., Fachanwältin für Medizinrecht, Justiziarin der Apothekerkammer Nordrhein, 40213 Düsseldorf, E-Mail: b.mecking@aknr.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2020; 45(10):12-12