Reif für einen grundlegenden Wandel?

"FdH" in modernem Gewand


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Wer kennt noch "FdH"? Das war eine arg simple Anleitung zum raschen Abnehmen und bedeutete schlicht "Futtere die Hälfte!" Etwa die Hälfte des Normalen betrug auch die Wirtschaftsleistung unter den strengen Lockdown-Bedingungen, nun nimmt sie wohl wieder Fahrt auf. Nach Ansicht etlicher "Virenpäpste" sollte sie jedoch lieber bei allenfalls der Hälfte verharren, auf dass wir jedes Virusnest austrocknen – auch wenn wir bis dahin selbst verdorrt sind. Hinzu kommt, dass nicht wenige Mitbürger die positiven Seiten des Lockdown wahrgenommen haben: Wer Biergärten, Gastronomie oder Vergnügungsbetriebe in seinem Wohnumfeld weiß, freut sich derzeit vor allem in den Nachtstunden noch über die himmlische Ruhe, über die bessere Luft und über weniger störende Zeitgenossen.

Flugschneisen haben ihren Schrecken verloren, was sogar das Wetter beeinflusst (weniger Kondensstreifen mit diversen Auswirkungen). Flugverkehr ist sowieso "bäh" und nicht mehr trendy! Nicht umsonst hat die Natur den Vögeln, Insekten und Kleinsäugern das Fliegen vorbehalten – und deren Flugfähigkeitsgrenze liegt biophysikalisch bei rund 15 kg Lebendgewicht. Die Natur hat sich was dabei gedacht!

Dank Maskenpflicht und 24/7-Horrorbespaßung durch unsere Experten mit Dauerabonnement in den einschlägigen Talkshows hält sich die Konsumlaune in Grenzen: Rein in den Laden, die Einkäufe aufs Nötigste reduziert, möglichst schnell wieder raus und den Rest online bestellt – das geht auch! Interessanterweise hat der Absatz von Spirituosen zugelegt: Manch einer entscheidet sich ob der vielen Zeit zu Hause doch für die partielle Realitätsflucht oder – teils mit "Stärkerem" – gleich für die Dauerferien vom Ich.

Die Moral eisern hochgehalten und den Daumen stramm auf dem Lockdown-Knopf, erreichen wir die Klimaziele für 2030 bereits 2021 ganz locker und zudem "nachhaltig". Denn was erst mal weg ist an Industrie, Handel und Gewerbe, das bleibt es meist auch für lange Zeit. So wünscht sich manch einer die – nicht so unwahrscheinliche – "zweite Welle" förmlich herbei, würde diese doch womöglich alle Verbotshemmnisse fallen lassen. Wer sich also im Homeoffice gut eingerichtet hat, sein Geld idealerweise aus der Staatskasse oder von staatsgestützten Organisationen bekommt, lebt nun eigentlich in einer Öko-Wunschwelt, wie sie sich die Fridays-for-Future-Bewegung vor einigen Monaten nicht einmal zu träumen gewagt hätte.

Das Modell "FdH", auf die Volkswirtschaft gemünzt, entfaltet auf diese Weise seinen Reiz. Nie war eine Zeit so günstig, um auf "kreative Zerstörung" und Neuaufbau zu setzen, statt alte Strukturen mit horrenden Beträgen zu retten. Wie im Werbeslogan für das Kleinstauto "Smart" aus den 1990er Jahren gilt dann: "Reduce to the Max" – verbunden mit der Konzentration auf das Wesentliche. Je nachdem, wie kreativ wir sind und inwieweit wir uns aus der heutigen Hyperkomplexität und Überregulierung befreien können, würde aus "FdH" wohl schon bald weit mehr als die Hälfte werden – und wir könnten uns am Ende gar wieder an die Spitze der Welt setzen.

Eine halbe Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung würde uns kaufkraftbereinigt vorerst von Platz 19 in der Weltrangliste um rund 40 Plätze abwärts auf das Niveau Chiles oder der Türkei befördern – aber wohl nicht allzu lange. An dieser Stelle könnte ein bedingungsloses Grundeinkommen den vielen Ängsten vor einem Absturz ihren Schrecken nehmen – immerhin ist ja ein Multi-Billionen-Volksvermögen vorhanden.

Andererseits erleben wir gerade (und künftig noch mehr), wie viel nicht wirklich "Systemrelevantes" wir uns bisher einfach so geleistet haben: Sowohl Geschäftsmodelle als auch damit zusammenhängende Stellen im Millionen-Maßstab, die kaum jemand vermissen würde, wenn sie wegfielen. Man schaue nur allein, wie viel sinnlosen (Aufgaben-)Ballast wir in den Apotheken mit uns herumschleppen, während es an Elementarem mangelt. Eine überkomplexe Wohlstandswelt ist dabei, sich zu zerlegen.

Es wäre die perfekte Gelegenheit für einen Neuanfang, zumal aus vielen Gründen ein grundlegender Wandel ansteht. Gäbe es da nicht ein Problem: Fantasie und Mut der Entscheider reichen dafür nicht, es fehlen schlicht durchdachte und schnell umsetzbare Konzepte. Damit droht wieder eine Politik aus der Perspektive des Rückspiegels.

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2020; 45(10):19-19