Zwischen Krisen-Chance und Absturz-Risiko

Jetzt kaufen oder verkaufen?


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Typischerweise werden die Warnzeichen einer Krise erst einmal kleingeredet. Ist die Krise aber unvermeidbar, überbieten sich alle in ihren Negativszenarien – selbst dann noch, wenn sich das Ende längst absehen lässt. An dieser Stelle winken Mutigen die größten Gewinne.

Wenn es um große Investitionen geht, ist das Allerwichtigste eine langfristige Perspektive. Genau diese steht im Moment auf schwankendem Boden. Manch einer vertritt da die Sichtweise: "Das Glück ist mit den Mutigen" – und Mut zum Risiko zahlt sich am Ende aus, denn jede Talsohle ist einmal durchschritten. In der Rückschau betrachtet war dies auch stets so.

Eine andere Sichtweise lautet: "Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste." Nach diesem Muster tasten sich die Verantwortlichen im Moment durch die Krise – Ende offen. Ist die Coronakrise nun der Wendepunkt in eine "neue Normalität", gar der Vorbote eines lange in der Luft liegenden Crashs ungeahnten Ausmaßes? Leitet Corona in die Klimakrise über, wofür es Indikatoren gibt (Stichwort: Dürre)? In diesem Fall wäre es für ein großes Investment mit weitreichenden Bindewirkungen viel zu früh. Letztlich jedenfalls besitzt niemand die ultimative Zukunfts-Glaskugel, und so muss jeder selbst entscheiden, welcher Sichtweise er zuneigt.

Die nächste Gretchenfrage ist die nach der Zeitachse bzw. dem Timing. So steht die Möglichkeit eines "heißen Corona-Herbstes" im Raum: Speziell hierzulande dürfte eine entsprechende "zweite Welle" wahrscheinlich sein, da wir mit unserer Eindämmungsstrategie kaum eine Grundimmunität aufbauen und diese mangels Impfstoff auch so schnell nicht erreichen können – die Bevölkerung bleibt schlicht vulnerabel.

Neigt man dieser These zu, dann heißt das: "Pulver trocken halten" und Finger weg von Lebensentscheidungen wie einem Apothekenkauf – es werden bessere Gelegenheiten kommen! Für die Börse gilt: Kurzfristige, auch kleinere Gewinne infolge von Zwischenerholungen konsequent mitnehmen, und sich für die großen Kaufgelegenheiten wappnen!

Ziehen wir die Zeitachse länger: Wie wird die Welt, unsere Wirtschaft, unser Gesundheitsmarkt in drei, fünf oder zehn Jahren aussehen? Entfaltet die Krise Gamechanger-Potenzial mit großen Struktur- und Systembrüchen als Folgen ("Nichts wird mehr, wie es war!")? Oder ist im Grundsatz die Rückkehr in die alten Verhältnissen und Strukturen zu erwarten? Und wenn ja: Auf welchem Level?

Abbildung 1 zeigt die typischen Erholungsszenarien, entsprechend ihrer schematischen Form mit Buchstaben benannt. Besonders tückisch ist die V/L-Variante: Auf eine Zwischenerholung folgt ein weiterer Absturz mit schwieriger Perspektive. Als zu früher Käufer wäre man hier geradewegs in eine "Bullenfalle" getappt.

Im Moment sieht es danach aus, als würde das Thema Gesundheit eine eher noch steigende Priorität bekommen. Sollten die gesellschaftlichen Verwerfungen jedoch groß, die Kassen dafür umso leerer werden, ist allerdings eine wieder wachsende Risikobereitschaft mitsamt Abkehr von der "Vollkasko- und Sicherheitsmentalität" wahrscheinlich. Dies zeigen alle internationalen Erfahrungen aus Krisenregionen, sei es aus der zusammengebrochenen Sowjetunion, dem kollabierenden Griechenland oder – kurzfristig – dem finanzkrisengeschüttelten Irland: Die Gesundheitsausgaben sind dort empfindlich und teils sogar anhaltend gesunken!

Eine nachlassende Finanzkraft von Staat und Sozialkassen führt normalerweise zu steigender Eigenverantwortung und einer Reduktion der staatlichen Allmacht – oder aber erst recht zu einem Aufblühen von Staatsinterventionismus bis hin zu sozialistischen Umverteilungsfantasien. Beides ist mit hohen Risiken und Chancen für die Gesundheitsmärkte sowie die persönliche Finanzplanung verbunden.

In welche Richtung das Pendel dieses Mal schwingen wird, ist völlig offen – wobei es tendenziell eher auf die erste, liberalere Variante mit mehr Rückverlagerung auf die persönliche Verantwortung hinauslaufen sollte. Ziemlich sicher ist: Die Märkte und Bedürfnisse der Zukunft als die zentralen Wegweiser für eine Unternehmensplanung werden sich in einem schmaleren Korridor des Mach- und Finanzierbaren bewegen, den verstärkt auch die Umweltressourcen und die Klimaproblematik vorgeben – es wird enger!

Apothekenkauf jetzt?

Für einen Kauf in der jetzigen Zeit spricht ein erheblicher Preisabschlag, der krisenbedingt möglich sein sollte. Es können regelrechte "Schnäppchen" winken, wenn Apotheken bei einer längeren Durststrecke in ernste, nicht mehr behebbare Liquiditätsprobleme rutschen sollten. Dies könnte gerade allzu mutige Filialisten treffen, die sich aus heutiger Sicht problematische Standorte u.a. in Lauf- oder Centerlagen einverleibt haben und auch sonst auf einem schmalen Renditepfad wandeln, sprich: Sich ein gutes Stück weit übernommen haben. Auch manche Einzelapotheken in gefährdeter Lage, noch dazu mit Inhabern im vorgerückten Alter, sind jetzt "Schnäppchen-Kandidaten". Inhaber solider Apotheken mit gutem Liquiditätspolster werden hingegen abwarten und nicht in diesen Zeiten unter Wert verkaufen.

Newcomer oder Erfahrener?

Unterscheiden sollten wir jedoch zwischen Existenzgründern und bereits erfahrenen, gut im Markt etablierten Aufkäufern.

Existenzgründer, die jetzt eine Apotheke übernehmen, sollten unbedingt ihr Finanzierungskonzept hinterfragen. Allzu oft ist das nämlich ziemlich auf Kante genäht, Eigenkapital gibt es wenig, und die bisherigen Betriebsergebnisse werden gern fortgeschrieben. Nunmehr müssen aber womöglich länger andauernde Ertragsabschläge von 10%, 15% oder mehr gemacht werden. Auf der Kostenseite sind diverse pandemiebedingte Steigerungen zu berücksichtigen, so etwa andere Personalschlüssel und -einsatzpläne, das erhöhte Risiko von Personalausfällen, ein geringerer Kundendurchsatz je Stunde wegen der höheren Barrieren, ein höherer Aufwand für Botendienste (die neue, indes erst einmal bis Ende September befristete Honorierung in Höhe von 5 € je Lieferadresse und Tag mag das etwas mildern), höhere Sachkosten für Hygiene und manches mehr.

Der Gewinn kommt also von zwei Seiten unter Druck. Das kann man durch eine nochmals erhöhte Kreditaufnahme temporär abpuffern, am Ende muss aber wieder ein Wachstumspfad sichtbar werden. Der jedoch ist vielfach (noch) nicht absehbar, man denke nur an die Aussagen zur "neuen Normalität" und zum "Marathonlauf". Existenzgründer ohne gute Kapitaldecke gehen daher im Moment je nach Standort ein (sehr) hohes Risiko ein.

"Alte Hasen" mit stabilem wirtschaftlichen Hintergrund können sich hingegen weiter vorwagen und selbst in eine Durststrecke hinein investieren – sofern ihnen andernfalls die Chance zur Übernahme verlustig gehen würde. Ohne Abschlag ist es aber auch für solche starken Übernehmer kaum sinnvoll, diese Durststrecke auf die eigene Kappe zu nehmen.

Vorgehensweise

Wir empfehlen somit Folgendes:

  • Sofern möglich, eine "Stand-by-Vereinbarung", mit der der Kauf zwar erst einmal auf Eis gelegt, gleichzeitig aber ein "Ausbooten" – also die Suche nach einem anderen Käufer bzw. Kaufobjekt – ausgeschlossen wird.
  • Alternativ kommen krisenbedingte Ergänzungen im Kaufvertrag infrage, die eine aufschiebende bzw. aufhebende Wirkung in Abhängigkeit von der weiteren Entwicklung haben. Dies kann jedoch im Einzelfall diffizil zu formulieren sein.
  • Eine Risikoteilung und Splittung des Kaufpreises: Ein Teil wird sofort gezahlt, der andere quasi erfolgsabhängig je nach Geschäftsentwicklung. Dazu verlängert man die Trendlinie der bisherigen Erträge auf die nächsten ein oder zwei Jahre und definiert die Differenz als krisenbedingt. Anhand dieser Differenz werden weitere Raten (nicht) fällig – bis maximal zum ursprünglich vereinbarten Gesamtkaufpreis.

Egal, welche dieser Regelungen für Sie in Betracht kommt: Um sie rechtssicher aufs Papier zu bringen, empfiehlt sich immer eine eingehende anwaltliche Beratung.

Apothekenverkauf jetzt?

Was spricht für einen Ausstieg in dieser angespannten Zeit? Zunächst einmal kann es naheliegen, rechtzeitig die Reißleine zu ziehen, wenn Ihre Liquiditätsreserven nicht ausreichen, um die Durststrecke zu überstehen bzw. um später nötige, zukunftssichernde Investitionen zu tätigen.

Zudem können persönliche Faktoren eine Rolle spielen, insbesondere zu wenig Kraft und Lust, sich jetzt noch einmal durch eine unabsehbare Talsohle zu arbeiten und dann einen langen Aufstieg zu bewältigen, um wieder auf dem alten Level anzukommen – wenn dies überhaupt möglich ist. Das ist nicht zuletzt eine Altersfrage und läuft auf eine Art Stop-loss-Strategie hinaus: Rechtzeitig verkaufen, bevor die eigenen Verluste (nicht nur an Geld) zu hoch werden.

Das bedeutet auch, dass sehr schnell zu handeln ist – insbesondere wenn Sie das "dicke Ende" erst noch erwarten, womöglich zusätzlich durch regionale Besonderheiten begünstigt. Allerdings müssen Sie sich dann eine "Story" für den Käufer überlegen, etwa nach dem Muster: "Prinzipiell stehen die Apotheke und der Standort gut da, aber in meiner Lage tue ich mir das ganze jetzige Theater samt kommendem E-Rezept und Co. nicht mehr an." Das kann glaubhaft sein, denn wer sollte ansonsten ein unrettbar sinkendes Schiff kaufen?

Seitenblick: Kapitalmärkte

Werfen wir noch einen Blick auf Kapitalanlagen, vor allem auf Aktien, unternehmerische Beteiligungen und am Ende auf Rohstoffe. Hier stellen sich die folgenden grundlegenden Fragen:

  • Ist das betreffende Unternehmen überhaupt überlebensfähig? Ist das Geschäftsmodell nachhaltig gefährdet bzw. steckt das Unternehmen in einem langen, teuren Wandel (wie die Auto- oder Luftfahrtindustrie)? Wie steht es um die Verschuldung? Wird sie demnächst – bei schon bisher zu hohen Schulden – erdrückend? Wie sehen die relevanten Kennzahlen und wie die Unternehmensführung aus? Denn schließlich sind jetzt keine "Schönwetterkapitäne" an der Spitze gefragt.
  • Notiert die Beteiligung deutlich unter ihrem inneren Wert, auch unter Berücksichtigung der obigen Aspekte – und nicht nur aus dem sonnigen Rückspiegel heraus betrachtet?

Rohstoffe, in die man (wie in Edelmetalle) nicht nur durch Direktkauf, sondern auch durch idealerweise physisch hinterlegte Zertifikate (Exchange Traded Commodities, ETC) investieren kann, sind beispielsweise immer dann empfehlenswert, wenn sie deutlich unter ihren Förderkosten notieren und wenn zusätzlich in der Zukunft ein ähnlicher oder gar steigender Bedarf, zumindest aber kein dauerhaftes Nachfragedefizit besteht.

Das ist auf mittelfristige Sicht u.a. bei den klassischen Energieträgern (Öl, Gas) der Fall. So schnell wird die Energiewende nicht kommen, dass sich nicht vorher noch die momentane Situation (Angebotsüberschuss bei enormem Nachfrageeinbruch) ausgleichen dürfte – mit der Folge, dass die Preise wieder stark steigen.

Langfristig denkende Investoren behalten außerdem den CO2-Preis im Auge, Steigerungen sind ja quasi vorprogrammiert. Auch hier lassen sich entsprechende Zertifikate erwerben.

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2020; 45(10):4-4