Mal wieder tierisch

Von den Mäusen und den Eulen


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Es war einmal eine Sippe kleiner Waldmäuse, die friedlich in ihren Löchern am Waldesrand hauste. Lustig und verspielt gingen die Tage ins Land. Die Gräser waren saftig und die Wurzeln für den Winter reichhaltig. Wären da nur nicht die vielen spitzen Zähne, harten Schnäbel und scharfen Krallen gewesen, die es auf die Mäuse abgesehen hatten.

Sorge bereitete vor allem, dass jüngst einige Waldohreulen gesichtet worden waren, die durch ihr allabendliches Rufen jedem Nachtausflug das Gefühl eines schlechten Horrorfilms verliehen. Dummerweise hielten die gefräßigen Eulen bei ihren perfiden Angriffen natürlich den Schnabel, und so waren ihnen schon etliche Mäuslein anheimgefallen. Die Lage spitzte sich zu, als eine altehrwürdige Maus auf einem Ast mehrere kleine Eulen entdeckt haben wollte. Nun, mit dem Zählen und der Mathematik hatte es die Mehrzahl der kleinen Nager nicht so, und daher waren die Angaben vage.

Doch konnte es auf diese Weise nicht weitergehen. Das war die große Stunde für den ansonsten eigenbrötlerischen und wenig beachteten Maus-Chefstrategen, Prof. Altmaus-Drollig. Er lief nun zu großer Form auf. Wild gestikulierend kritzelte er auf die Tafel: Zwei Eulen zeugen sechs weitere Eulen, jedes Pärchen bringt jeweils wieder sechs Eulen hervor, dann wäre man schon bei 26, im nächsten Schritt bei hunderten, rasch bei tausenden. Und jede Eule fräße mindestens drei oder vier Mäuse – täglich! Das Mäuse-Armageddon schien zum Greifen nah.

Der schüchterne Einwurf einer älteren Maus auf den hinteren Rängen, bei den Spechten, den Meisen oder Amseln wäre doch eine derartige Vermehrung auch nicht festzustellen, wurde vom Maus-Chefstrategen brüsk zurechtgewiesen: "Papperlapapp! Schau nur auf die benachbarten Frösche! Die legen schließlich auch Eier, und anschließend ist der ganze Teich voll von Kaulquappen. Und daraus werden wieder Frösche!" Das stimmte natürlich, auch wenn trotzdem wundersamerweise von einer explosionsartigen Froschvermehrung keine Rede sein konnte. Aber wie gesagt, mit der Mathematik und den Naturwissenschaften hatte es die Mausgemeinde nicht so.

"Es geht um nicht weniger als um das Überleben der Mäuse, und das rechtfertigt jeden Aufwand", fuhr der Professor fort. Alle waren beeindruckt. Doch was war zu tun? Gegen Kater Carlo und seine Spießgesellen, die früher stundenlang die Mauselöcher belagerten, hatten sich die jüngst davor aufgestellten Kameras bewährt. "Also brauchen wir mehr Kameras!" schallte es aus der Chefetage. "Viel mehr Kameras!" Der Einwurf eines Mäuschens, was diese Geräte, die weit weg vom sicheren Bau teuer zu montieren sein würden, denn in der Dunkelheit bringen sollten, rief einen veritablen Wutanfall hervor. Daneben flogen Wortfetzen wie "modernste Infrarot-Nachtsichttechnik, App-gestützte Bildauswertung und vernetzte Strukturen" durch den Bau.

Und so geschahen diese Installationen für viel Geld, denn die kleinen Fellnasen waren selbst nicht zu solchen technischen Leistungen in der Lage. Da mussten die schlauen Raben aushelfen, deren große Schnäbel zuvor zwar hin und wieder auch ein Mäuslein nicht verschmäht hatten, die aber angesichts der großzügigen Bezahlung hoch und heilig versprachen, die Position "frische Mäuse an Wiesengras" aus ihrer reichhaltigen Speisekarte zu streichen.

Jetzt gab es Bilder en masse, nur zeigten – anders als erhofft – die wenigsten davon Eulen. Trotzdem verschwanden Nacht für Nacht immer wieder etliche Mäuse spurlos. Die Stimmung war endgültig am Boden. Die Positionen von Prof. Altmaus-Drollig und des Ältestenrates wackelten bedenklich.

Doch die Führungsriege gab sich nicht geschlagen: "Wenn das so ist, dann hungern wir die Eulen eben aus, indem wir fortan nicht mehr vor die Tür gehen! Das werden diese krallenbewehrten Federbüschel nicht lange aushalten!" Immerhin, Vorräte waren noch einige vorhanden. Die Frage: "Fressen Eulen eigentlich nur Mäuse?" wurde gar nicht erst zur Diskussion zugelassen, gleichfalls die Anmerkung, wie lange man das alles selbst durchzuhalten gedenke. "Solange es eben nötig ist", bekamen die Fragesteller schmallippig zu hören. So fragt sich manch einer, ob aus Mäusen eigentlich Maulwürfe werden können – und wie viel schlauer Menschen am Ende wirklich sind?

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2020; 45(11):19-19