Mehrwertsteuer-Jo-Jo

Extremer Aufwand für fast nichts


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Mit diesem Coup und bürokratischem Super-Gau hatte niemand gerechnet: Die Mehrwertsteuersätze werden für sechs Monate bis Ende des Jahres auf 16% bzw. 5% abgesenkt. Damit bleiben nur wenige Wochen zur Umstellung. Was bedeutet das für unsere Branche, was ist zu tun?

Die Absenkungen des Normal-Mehrwertsteuersatzes von 19% auf 16% sowie des ermäßigten Satzes von 7% auf 5% dürften gemäß den Regierungsschätzungen mit rund 20 Mrd. € zu Buche schlagen, obwohl diese "Konsumstimulation" gerade mal sechs Monate dauern soll; ab 01.01.2021 gelten wieder die alten Sätze. Das illustriert die Ergiebigkeit der Mehrwertsteuer – und die Ambivalenz dieser Maßnahme. Sie ist die am wenigsten zielgenaue von allen, und wird wohl trotz der hohen Kosten kaum Anreize entfalten.

Wird jetzt jemand deshalb Anschaffungen tätigen – selbst wenn die Mehrwertsteuersenkung ganz beim Kunden landen sollte? Man schaue auf die Beispiele in Tabelle 1.

Bei vielen Gütern, wie z.B. Autos, verpufft die Wirkung schon systemimmanent. So werden fast zwei Drittel der Neufahrzeuge gewerblich bzw. betrieblich zugelassen, die Mehrwertsteuer ist dort ein durchlaufender Posten. Ansonsten erbringt bereits ein Preisvergleich zwischen verschiedenen Anbietern vor allem teurer Produkte weitaus höhere Unterschiede, als diese Mehrwertsteuersenkung ausmacht. Diese Maßnahme ist also "für die Katz" – oder vielmehr, angesichts der vielen Unklarheiten im Detail, ein Sonderkonjunktur-Programm für IT-Anbieter, Steuerberater, diverse Bürokraten und nicht zuletzt Juristen.

Da wäre das Gegenteil cleverer gewesen, nämlich die Mehrwertsteuer ab Mitte nächsten Jahres zu erhöhen, z.B. auf 20% respektive 10%. Das hätte nicht nur ein starker Beitrag zur Sicherung der Staatsfinanzen sein können, sondern zudem gewisse Vorzieheffekte ausgelöst. Und am Ende wäre eine solche Erhöhung kaum spürbar und insoweit nur unmerklich dämpfend. Nun ist es, wie es ist. Schauen wir zuerst, an welchen Stellen sich dieses Mehrwertsteuerthema betragsmäßig niederschlägt.

Zuzahlungen

Angesichts der heutigen Zuzahlungssystematik in der Apotheke – 10% vom Apothekenverkaufspreis (AVP), mindestens 5 € und maximal 10 € – hält sich der Effekt für die Kunden unter dem Strich in sehr engen Grenzen. Sinkt ein AVP von heute 50 € auf dann 48,74 €, zahlt der Kunde weiterhin 5 €. Im Bereich von 50 € bis 100 € beträgt seine Ersparnis maximal 25 Cent. Darüber ändert sich wiederum nichts.

Stärker profitieren Empfänger von Privatverordnungen. So wird die "Pille" jetzt ein wenig billiger. Privatversicherte können den einen oder anderen Euro sparen, je nachdem, wie hoch ihre Eigenbeteiligung ausfällt. Wer z.B. jetzt im zweiten Halbjahr seine 1.000 € Eigenanteil mit voll mehrwertsteuerpflichtigen Leistungen (wie Arzneimitteln) voll ausnutzt, kommt um gut 25 € günstiger weg. Da aber typischerweise auch mehrwertsteuerfreie Behandlungsleistungen in diese Eigenleistung eingehen, fällt die reale Entlastung meist weit niedriger aus. Alles in allem sind das nicht mehr als die berühmten "Peanuts".

Gewinner Krankenkassen

Die Krankenkassen stehen auf der Gewinnerseite. Gehen wir von ganzjährig voraussichtlich etwa 40 Mrd. € für Arznei- und Verbandmittel nach Zuzahlungen und Apotheken- sowie Herstellerabschlag aus, dann bedeutet dies eine Mehrwertsteuerentlastung von rund 500 Mio. € für das zweite Halbjahr. Unsicherheiten bestehen hier hinsichtlich der Berechnung der ja bereits vereinbarten Rabattverträge. Auf Hilfsmittel (gut 9 Mrd. € p.a.) sowie die erheblichen Sachkosten in den Krankenhäusern (an die 30 Mrd. € jährlich) fällt ebenfalls zumeist die Mehrwertsteuer an. Einige (kleinere) Ersparnisse ergeben sich zudem aus den Betriebskosten der Krankenkassen selbst, bis hin zum Bürobedarf. Alles in allem könnten die gesetzlichen Krankenkassen rund 1 Mrd. € einsparen, die privaten Versicherer um die 150 Mio. €.

Apotheken – die Gekniffenen?

Sind die Apotheken die Gekniffenen in diesem Konjunkturspiel? An einer Stelle legen sie schon einmal drauf, nämlich beim Kassenrabatt. Die 1,77 € je Rx-Packung bzw. Rezeptur verstehen sich als Bruttobetrag mit Mehrwertsteuer, zurzeit sind das dann noch 1,49 € netto. Bei 16% Mehrwertsteuer erhöht sich das kaufmännisch gerundet auf 1,53 €, also um 4 Cent je Packung.

Bei gut 32.000 abschlagspflichtigen Packungen je Apotheke im Durchschnitt pro Jahr sind das auf das zweite Halbjahr gerechnet knapp 650 €, die verlustig gehen. Weitaus höhere Zusatzkosten drohen jedoch auf der operativen Ebene (Umsetzung in die Betriebsrealität inklusive eigener Preisanpassungen und ggf. Anpassungen von Werbemedien, Online-Shop etc.) sowie bei den entsprechenden Dienstleistern (IT-Firmen, Steuerberater etc.).

Die entscheidende Frage: Wie gehen Sie mit Ihrem freikalkulierten Sortiment um?

Tabelle 2 illustriert eine propere 3-Mio.-€-Apotheke. In einem Szenario sollen diese Preise schlicht unverändert bleiben, die Mehrwertsteuersenkung fließt also der Apotheke zu. Im anderen Fall werden die Preise eins zu eins gesenkt (das bedeutet konkret: in der Regel um 2,5% und bei Produkten mit ermäßigtem Satz um 1,9%). Die Szenarien unterscheiden sich immerhin um rund 6.700 € hinsichtlich des Rohertrags. Das ist nicht die Welt, aber durchaus spürbar.

Tipp: Achten Sie auf die Einstellungen in Ihrer EDV! Normalerweise kalkulieren die Systeme automatisch nach der "alten Aufschlagstaxe" oder aber mit den selbst hinterlegten Aufschlägen. Dann reduzieren sich die Endpreise automatisch. Haben Sie dagegen feste Preise angelegt, bleiben diese konstant – das ist normalerweise ein Problem, wenn z.B. Hersteller die Preise erhöhen; hier wirkt es zu Ihren Gunsten.

Am Ende spüren die Kunden die Preissenkungen kaum. Es liegt daher nahe, einfach darauf zu verzichten. Um aber nicht in den Ruf des "Unersättlichen" zu kommen, können Sie den errechneten Ertragsgewinn zumindest zum Teil als Zuschuss für Ihre Marketingstrategie unter dem Namen "Corona-Preise" verwenden. Machen Sie also gezielte Sonderaktionen, z.B. mit Produkten, die gerade in der jetzigen Krise gefragt sind. So profilieren Sie sich als Freund der Kunden. Eine deutliche Absatzsteigerung erhöht dann doch noch Ihren Gewinn.

Achten Sie aber auf die Signalwirkung! Durch Corona wird eigentlich das Meiste aufwendiger und teurer, was die Kunden ja täglich erleben.

Fazit

Viel Wirbel um fast nichts! Das Mehrwertsteuer-Jo-Jo wird vor allem als operativ aufwendiger, bürokratischer Aktionismus in die Annalen eingehen, wovon allenfalls die Politik als vermeintlicher Kümmerer und Retter profitieren wird. Dem Rest bleibt insbesondere viel zusätzliche Arbeit.

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2020; 45(12):4-4