Ihre "Filiale" im Internet (Teil 1)

Lohnt sich ein Online-Shop für Apotheken?


Simon Nattler

Nicht erst durch die Coronakrise merken Apotheken, dass sehr viele Kunden im Internet einkaufen, und zwar über alle Altersgruppen hinweg. Aber lohnt es sich jetzt noch, mit einem Online-Shop zu starten – oder sind die Marktanteile längst vergeben?

Gegenfrage: Lohnt es sich heute noch, eine Filiale zu eröffnen? Sofern man Ihnen dafür einen Standort in der Nähe eines Ärztehauses mit Supermarkt anböte, würden Sie wahrscheinlich zuschlagen. Und etwas ganz Ähnliches finden Sie schließlich auch im Internet. Wenn Sie allerdings nicht nur erfolgreich starten, sondern Ihre "Online-Filiale" langfristig etablieren wollen, müssen Sie einige Dinge beachten.

Wo ist der Kunde?

(Potenzielle) Kunden tummeln sich genug im Internet. Und längst kaufen sie hier nicht mehr nur wegen der geringeren Preise ein. Für Ihren Online-Shop stellt sich damit die grundsätzliche Frage: Wie können Sie diese Menschen erreichen?

In jährlich erscheinenden Umfragen belegen wir Apotheken vor Ort in Sachen Kundenvertrauen immer noch einen der vorderen Ränge. Trotzdem kaufen viele Kunden häufig bei anonymen Internetshops ein. Wie passt das zusammen?

Als 2004 der Versand von Arzneimitteln erlaubt wurde, bildeten sich zwei Lager unter den Kunden: Die eine Gruppe konnte sich nicht vorstellen, jemals auch nur ein Medikament online zu bestellen. Die andere Gruppe kaufte aufgrund der (vermeintlich) günstigeren Preise nur noch online.

Mittlerweile gibt es diese strikte Trennung in Online- und Offline-Kunden nicht mehr. Vielmehr nutzen die meisten Menschen beide Kanäle parallel. Zwar wird nach wie vor in den Innenstädten geshoppt, aber am Samstagnachmittag lässt sich ein Einkauf eben manchmal einfach bequemer aus dem Liegestuhl erledigen. Eine Rolle spielt dabei auch, dass es – zumindest im Internet – keine Grenzen mehr bei den Öffnungszeiten gibt und rund um die Uhr bestellt werden kann.

Ein weiterer Einflussfaktor: Während ältere Generationen eine Zusatzempfehlung zumeist gleich in der Apotheke entweder annehmen oder ablehnen, treffen jüngere Menschen nur noch wenige Entscheidungen sofort. Häufig wollen sie den Tipp nochmal überdenken, zu Hause mit dem Partner diskutieren oder auch Google dazu bemühen.

Wenn der Kunde sich dann zum Kauf entschließt, hat er keine Lust mehr, die Apotheke erneut aufzusuchen. Weil er gerade sowieso das Smartphone in der Hand hält, bestellt er online. Ideal wäre es da natürlich, wenn Sie ihn bei seinem Apothekenbesuch schon darauf hingewiesen hätten, dass er das auch in Ihrem Online-Shop kann.

Wo ist meine Apotheke?

Das Bedürfnis, einzelne Einkäufe online zu erledigen, ist meist stärker als die Bindung an die Apotheke vor Ort. Anders formuliert: Die Kunden bestellen nicht bei DocMorris, um die lokale Apotheke zu meiden, sondern weil sie online einkaufen wollen. Und wenn die Apotheke vor Ort ihnen die Möglichkeit dazu nicht anbietet, ist das nicht ihr Problem. Wer daher heute noch jemanden als "Stammkunden" bezeichnen will, muss immer auch dort sein, wo der Kunde ist.

Viele Inhaber unterschätzen hier den gewaltigen Vorteil der Vor-Ort-Apotheken. Reine Versandapotheken können es nämlich nicht schaffen, ihre Kunden rundum zu binden. Denn schließlich kauft niemand zu 100% online. Das merken übrigens selbst Konzerne wie Amazon, die in US-amerikanischen Innenstädten mittlerweile Ladengeschäfte eröffnen.

Im Arzneimittelmarkt allerdings können sich die bislang reinen Online-Anbieter durch das Fremdbesitzverbot nicht flächendeckend im Offline-Bereich positionieren. Bislang rein analoge Vor-Ort-Apotheken hingegen haben es leichter, ins Internet vorzustoßen – indem sie eben einen Online-Shop installieren.

Ihr Nachteil: DocMorris und Co. haben (online) einen gewaltigen Bekanntheitsvorsprung. Auf dem Höhepunkt der Coronakrise konnten sie daher ganz besonders vom Kundenansturm profitieren – und sie werden es wohl auch verstehen, die neu gewonnenen Kundendaten zu nutzen.

Insbesondere im Hinblick auf das E-Rezept sollten Vor-Ort-Apotheken deswegen spätestens jetzt damit beginnen, an diesem Bekanntheitsvorsprung zu kratzen – und nicht nur als Offline-Anbieter in den Köpfen der Menschen positioniert zu bleiben. Allein schon, weil kaum ein Einzelhändler derart digital wie Apotheken arbeitet. Denken Sie nur an die Warenwirtschaftsprogramme, die Labor- und Betäubungsmittel-Dokumentationen oder die Kommissionierautomaten. Allerdings: Welcher Besucher bekommt das in der Offizin auch mit?

Die Kunden aus ihren Gewohnheiten zu lösen, funktioniert nur, wenn sie im Neuen einen Mehrwert erkennen. Das muss nicht immer der Preis sein. Gerade mit Schnelligkeit, Sicherheit und dem Regionalitätsbonus können Sie punkten. Viele Kunden stärken nämlich gerne die Geschäfte vor Ort und honorieren es, wenn diese ihnen neue Services, wie etwa "Click & Collect", anbieten. Nur müssen sie das auch wissen!

Um den Kunden auf allen Kanälen abzuholen, müssen die eigene(n) Apotheke(n) vor Ort und der Online-Shop die gleiche Handschrift tragen. Sehen Sie beides nicht als zwei getrennte Geschäftsbereiche an! Denn Online-Käufer sind genauso Kunden wie Vor-Ort-Käufer! Wenn Sie zwei lokale Filialen haben, ist es Ihnen wahrscheinlich auch egal, in welcher der Patient sein Rezept einlöst. Dieser Punkt ist ganz entscheidend! Kommunizieren Sie Ihr Angebot daher offen und bei jeder Gelegenheit! Bei uns hat es geholfen, von Anfang an von der "Filiale im Internet" zu sprechen, um bei den Kunden und vor allem im Team die "richtige" Einstellung zu wecken.

Wo will ich hin?

Nicht jeder Inhaber möchte einen Filialverbund führen, denn spätestens dann muss man sich neu ausrichten und vom Pharmazeuten zum Unternehmer wandeln. Bei einem Online-Shop ist das nicht anders. Daher sollten Sie vor allen Maßnahmen einige Fragen ehrlich für sich selbst beantworten:

  • Stehen Sie wirklich hinter einem Online-Shop? Oder fühlen Sie sich nur dazu gezwungen?
  • Sind Sie bereit, einige Käufe aus Ihrer Offizin in den Online-Shop zu verlagern?
  • Wie viel Zeit wollen Sie in Zukunft investieren?
  • Wie fit sind Sie bzw. Ihr Team in den Bereichen IT, Pricing, E-Mail-Support und Versandlogistik?

Keine Sorge, das ist kein Test! Sie müssen nicht in allen Punkten bestehen. Sie sollten sich aber über Ihre Ziele im Klaren sein, bevor Sie Geld in die Hand nehmen.

Beziehen Sie Ihre internetaffinen Mitarbeiter auf jeden Fall mit ein! Denn sie haben oft erstaunliche Fähigkeiten, wie z.B. den Blick für eine benutzerfreundliche Shop-Gestaltung. Auch sind sie häufig in der Content-Pflege langanhaltend motiviert. Wir haben daher von Anfang an viele Tätigkeiten auf unser Team übertragen.

Die entscheidendste Frage dreht sich aber um das Liefergebiet. "Online" ist zwar (zumindest für Apotheken mit Versandhandelserlaubnis) räumlich grundsätzlich so gut wie unbegrenzt. Wenn Sie starten, sollten Sie sich aber zunächst regional ausrichten. Deutschlandweit sind Sie nur ein Klick unter vielen vergleichbaren, aus denen Sie kaum herausstechen werden.

Sich als Online-Anbieter zu etablieren, dauert – und kann gerade in den ersten Monaten frustrierend sein, wenn das Marketing intensiv ist, aber trotzdem nur vereinzelte Bestellungen eingehen. Das allerdings gibt Ihnen und Ihrem Team auch die Möglichkeit, sich an die neuen Abläufe zu gewöhnen und sie zu verfeinern. Ziel sollte es sein, eine Shop-Bestellung genauso routiniert abzuwickeln wie einen telefonischen Auftrag. Vorteil einer zunächst regionalen Ausrichtung: Bekannte Kunden sehen auch eher mal über einen Fehler hinweg.

Die Befürchtung, dass Sie Ihre Kunden damit erst auf die Online-Welt aufmerksam machen, ist unbegründet. Sie werden sich wundern, welche Ihrer (vermeintlichen) Stammkunden auf einmal wie selbstverständlich Ihre "Online-Filiale" nutzen. Falls daher noch nicht geschehen: Ändern Sie Ihre Sichtweise! Digitalisierung bedeutet eben nicht Päckchen-Packen. Sie bietet vielmehr eine Chance, Ihre Kunden überall zu begleiten – und auch in Zukunft rundum zu versorgen.

Simon Nattler, Inhaber der ELISANA-Apotheken, Gründer der Team-App apocollect, 45896 Gelsenkirchen, E-Mail: inbox@apocollect.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2020; 45(12):10-10