Mit „Nadelstichen“ zum Erfolg

Hintersinnige Absurditäten


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Schon Mao soll gesagt haben: „Bestrafe einen, erziehe tausende.“ Je nach System und geschichtlichem Kontext fällt das sehr drastisch oder auch mal feinsinniger aus. Am Ende ist solch ein Vorgehen aber fast immer in perfider Weise wirksam. Man muss nur dafür sorgen, dass unerwünschtes Verhalten öffentlichkeitswirksam abgestraft wird. Mit den reichweitenstarken „sozialen“ Medien besitzt die Gesellschaft heute zudem ein neues, höchst wirksames Mittel der medialen Hinrichtung.

Bereits seit Längerem lässt sich bei uns ein Trend ausmachen, die Menschen durch immer feingliedrigere Regelungen quer durch alle Lebensbereiche relativ sanft, doch gleichwohl wirksam zu gängeln und in die große Schafherde einzuordnen. Gerade Apotheken wissen das. Es beginnt beim lieben Geld, und hier sind wir auch gleich schon beim Steuerrecht und der Abgabenordnung. Schritt für Schritt wurde der gläserne Steuerbürger Realität. Ein Gutteil der sprudelnden Einnahmen, die nun brachial verprasst werden, resultiert schlicht aus einem immer effizienteren Abschöpfen der Einnahmebasis – und weniger aus einer guten Wirtschaftsentwicklung, die nur selten so toll war wie gerne dargestellt. Der finale Schlag dürfte dem Bargeld sowie der Kontrolle des Erwerbs alternativer, gut transportabler Anlagevehikel gelten. Eher unbemerkt von der Öffentlichkeit darf beispielsweise Gold seit Jahresanfang nur noch bis zu einem Kaufbetrag von 2.000 € anonym erworben werden. Natürlich erfolgt dies alles nur im Sinne der Guten und Ehrlichen – adressiert ist die kriminelle Geldwäsche, und Terrorismus geht immer als Argument!

Es steht zu befürchten, dass jetzt die Corona-Pandemie mit ihren exorbitanten, an vielen Stellen durch staatlichen Übereifer verursachten Kosten den Politikern nochmals quasi einen Persilschein für immer tiefergehende Eingriffe ausstellt. Überwachen, Denunzieren, Sanktionieren und Bestrafen (letzteres gerne immer härter und „konsequenter“) haben Hochkonjunktur. Insbesondere Kleinigkeiten werden erbarmungslos verfolgt und binden enorme Ressourcen. Unter dem Deckmantel der Krisenbewältigung werden klammheimlich diverse Regeln verändert – meist handelt es sich um Verschärfungen und um eine immer weitergehende Entmündigung. Beispielhaft sei nur der neue (nunmehr durch einen reinen Formfehler vorübergehend auf Eis gelegte) Bußgeldkatalog im Straßenverkehr genannt, der anfangs beinahe unbemerkt von der großen Öffentlichkeit eingeführt wurde. Auch den Umgang mit Chemikalien oder Waffen hat man nicht von neuen Restriktionen verschont. Der Aufschrei bleibt jedoch aus, im Gegenteil. Man staunt nur noch, welche Diktion der Repression und Kontrollwut selbst in Foren (ehemals) liberal-sozialer Leitmedien herrscht.

Und so gilt: Geliefert wie bestellt! Der lauthals beklagte Mangel an Personal und Ausstattung wird liebend gerne von der Politik aufgegriffen, lassen sich so doch die Eingriffsmöglichkeiten und die Sicherheitsapparate mitsamt lukrativer Posten und Pöstchen immer weiter ausbauen, bis sie womöglich wieder zu einem Staat im Staate heranreifen. Umgekehrt besteht gerade hierzulande nach wie vor eine erstaunliche Milde gegenüber schwersten Verfehlungen aller Art – seien es Kriminelle oder Führungskräfte, die versagen, ohne dafür eine persönliche Verantwortung übernehmen zu müssen. Widerspruch fällt da schwer. Liberal denkenden Zeitgenossen weht schon lange und erst recht aktuell eine steife Brise entgegen – was einerseits erstaunt, andererseits aber nur folgerichtig ist. Da passt es ins Bild, dass es selbst unter Politikern mitnichten mehr nur eine kleine Minderheit gibt, die in China und seinem repressiven, aber durchaus effizienten System eher ein Vorbild denn eine Abschreckung sieht. Gilt hier etwa auch der Spruch: „It’s the economy, stupid“?

Andererseits sehen wir erste Risse. Krawalle wie jüngst in Stuttgart (deren Auslöser u.a. als überkleinlich empfundene Kontrollen waren) sollten aufhorchen lassen. Gerade weil diese Gesellschaft nicht durch eine ausgeprägte liberal-tolerante Denkweise, sondern vorrangig durch zweimal vier Buchstaben – Jobs und Geld – zusammengehalten wird. Dieser Kitt erodiert gerade, und die nächsten Monate werden zeigen, inwieweit dies entweder fortschreitet – oder eben klug eingefangen werden kann.

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2020; 45(14):19-19