Lautloser Paukenschlag des Gesetzgebers

Neues zur Verjährung hinterzogener Steuern


Helmut Lehr

Das Zweite Corona-Steuerhilfegesetz hat nicht nur Wohltaten für die Steuerbürger gebracht: Still und heimlich wurden „Verjährungsfristen“ außer Kraft gesetzt. Nun könnten hinterzogene Steuern auch noch nach 30 Jahren eingefordert werden.

Weil den Finanz- und Ermittlungsbehörden in der aktuellen Aufarbeitung der Cum-Ex-Fälle die Verjährung droht(e), wurde kurzerhand der Gesetzgeber bemüht. Was dabei heraus kam, hat womöglich grundsätzliche Bedeutung in allen Fällen, in denen Steuern hinterzogen wurden – mit erheblicher Breitenwirkung. Doch der Reihe nach.

Aus zehn mach 30!

Vielfach dürfte bekannt sein, dass eine Steuerhinterziehung steuerverfahrensrechtlich erst nach zehn Jahren verjährt. Durch besondere An- bzw. Ablaufhemmungen können aber auch noch Steuern für etwas weiter zurückliegende Jahre festgesetzt werden.

Nach §73 Strafgesetzbuch (StGB) können die rechtswidrig erlangten Taterträge sowohl von Tätern als auch Teilnehmern einer Straftat eingezogen werden – bei einer Steuerhinterziehung sind das die erlangten geldwerten Vorteile aus der zunächst „ersparten“ Steuer.

Die Einziehung ist jedoch ausgeschlossen, soweit die hinterzogene Steuer wegen Verjährung erloschen ist – also nach Ablauf der Zehn-Jahresfrist (§47 Abgabenordnung). Stark vereinfacht bedeutet das: Festsetzungsverjährte Steuern konnten bislang auch strafrechtlich nicht mehr im Wege der Einziehung „eingetrieben“ werden. Nach zehn Jahren (plus gegebenenfalls x) war also Schluss – und damit der Rechtsfrieden eingekehrt.

Ein neuer §375a Abgabenordnung regelt nun aber sinngemäß ganz lapidar, dass hinterzogene Steuern auch dann noch nach §§73–73c StGB eingezogen werden können, wenn der Steueranspruch des Fiskus aufgrund eingetretener Verjährung bereits erloschen ist. Da nach §76b StGB die Einziehung der Taterträge erst nach 30 Jahren verjährt, könnten hinterzogene Steuern theoretisch in Einzelfällen auch noch nach 30 Jahren eingezogen werden. Die tatsächliche „Verjährung“ tritt also (zumindest gefühlt) nie ein.

Hinweis: Die Neuregelung gilt für alle Steuern, die bei Inkrafttreten des Zweiten Corona-Steuerhilfegesetzes zum 1. Juli 2020 noch nicht aufgrund einer Verjährung erloschen waren.

Mögliche Folgen

In der Praxis tauchen immer wieder Fälle auf, in denen Steuerpflichtige auch ohne besondere „kriminelle Energie“ Steuern verkürzen. Nicht selten werden dann direkt nach Betriebsprüfungen Strafverfahren eingeleitet. Als Folge der Neuregelung droht nun, dass z.B. nach einer Betriebsprüfung und der Einleitung eines Strafverfahrens „Uralt-Steuern“ eingezogen werden, die das Finanzamt gar nicht mehr festsetzen durfte.

Zudem wurde auch die strafrechtliche Verfolgungsverjährung weiter ausgedehnt. Mit Unterbrechungen bzw. zwischenzeitlichem Ruhen wegen einer Hauptverhandlung könnte auch sie nun bis zu 30 Jahre möglich sein – zumindest in Fällen besonders schwerer Steuerhinterziehung, von denen man unter Umständen bereits ab einem Betrag von 50.000 € pro „Tat“ ausgehen kann.

Hinweis: Die Gesetzesänderung muss auch berücksichtigt werden, wenn eine Selbstanzeige geplant ist. Weil hier das sogenannte Vollständigkeitsgebot zu beachten ist, könnte sich die Zahl der zu berichtigenden Erklärungen deutlich erhöhen. Wer jetzt mit früheren Jahren reinen Tisch machen möchte, sollte sich zuvor sehr gründlich anwaltlich beraten lassen, damit die Folgewirkungen möglichst sicher abgeschätzt werden können. Natürlich ist in diesem Zusammenhang auch ein steuerlicher Berater mit einzubeziehen.

Helmut Lehr, Dipl.-Finanzwirt (FH), Steuerberater, 55437 Appenheim

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2020; 45(16):18-18