Halbjahresbilanz 2020 und Ausblick

Alles nicht so schlimm!?


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Nach den neuesten Zahlen für das erste Halbjahr 2020 ist der große Einbruch ausgeblieben. Auch wenn das brillante erste Quartal vieles überstrahlt – es hätte in der Breite schlimmer kommen können. Also mal wieder alles halbwegs gut gegangen? Oder kommt da noch was?

Inzwischen liegen die Auswertungen bis teilweise in den Juli vor. Gemessen an anderen Wirtschaftsbereichen – sogar selbst manchen Gesundheitssparten – sind die Apotheken bislang eher glimpflich durch die Krise gekommen. Ohne Frage hat der Standort eine enorme Rolle gespielt, Lauf- und Centerlagen hatten besondere Probleme. Aber selbst in manch einem Fachärztehaus gab es je nach Fachrichtungen beträchtliche Einschnitte.

In der Breite hingegen hat sich die Apothekenbranche erstaunlich wacker gehalten (Tabelle 1). Der große, massive Einbruch ist ausgeblieben. Allerdings zeigt sich, dass insbesondere die Zahl der Packungen seit Wochen im Vergleich zum Vorjahr auf einem einige Prozente niedrigeren Niveau verharrt. Besonders davon betroffen sind viele Freiwahl- und – etwas geringer – die Sichtwahl-Produkte.

Ein bemerkenswerter Nebenbefund: Der Preisabstand der Versandapotheken zu den Offizinapotheken hat sich deutlich verringert. Während die niedergelassenen Apotheken in aller Regel kaum Preisveränderungen vorgenommen haben, sind die Versandapotheken im Schnitt deutlich teurer geworden.

Betrug der Preisabstand bei den Nicht-Arzneimitteln zum Ende des Jahres noch etwa 17%-Punkte, waren es im zweiten Quartal 2020 nur noch gut 10%-Punkte (gemäß Auswertungen des Datendienstleisters Insight Health). Bei den Non-Rx-Arzneimitteln lagen die Werte bei 26 versus gut 20%-Punkten. Trotzdem konnte sich der Versandhandel deutlich besser als der Markt schlagen – und weiter zulegen. Für die Apotheken ist das ein Fingerzeig, auch ihre jeweilige Preispolitik klug zu überdenken.

Turbulente Wintersaison?

Nichtsdestotrotz werden die größten Herausforderungen wohl noch vor uns liegen. Die aktuellen Corona-Infektionszahlen stimmen dabei alles andere als optimistisch. Wir gehen bundesweit mit einer realen Prävalenz (also einschließlich der unerkannt Infizierten) von größenordnungsmäßig 1 zu 1.000 in die kommende Wintersaison, und dies zwischenzeitlich wieder breit gestreut und keineswegs mehr nur in "Hot Spots". Aufgrund des vorrangigen Regionalkonzeptes werden jedoch einschneidende Maßnahmen à la Lockdown 2.0 erst auf Gemeinde- oder Kreisebene stattfinden. Damit trifft es eher wenige Apotheken gleichzeitig.

Werden Sie dazu gehören? Diese Kriterien erhöhen Ihr Risiko:

  • Bevölkerungsdichte: hoch verdichtete Räume sind stärker gefährdet, insbesondere wenn es sich noch um "Problembezirke" handelt.
  • Umfeld von großen Institutionen (insbesondere stark gefährdeten Betrieben, zum Teil wohl auch Schulen) mit vielen Menschen auf engem Raum.
  • Lokale Lockdown-Maßnahmen werden die Frequenzlagen und Einkaufscenter wieder besonders hart treffen.
  • Wer von einzelnen Arztpraxen abhängig ist, schaue, wie diese sich verhalten. Werden sie bei hohen Infektionszahlen wieder den Betrieb herunterfahren? Suchen Sie unbedingt den persönlichen Kontakt mit Ihren relevanten Ärzten, um dies abzuklären. Stimmen Sie die Verfahrensweisen ab, wie Sie die Patientenversorgung aufrechterhalten wollen.

Prävalenzen ermitteln

Um eine Vorstellung vom Infektionsgeschehen vor Ort zu bekommen, sollten Sie regelmäßig die gemeldeten Infiziertenzahlen und insbesondere die aktiven Fälle Ihres Kreises betrachten. Neben dem Robert Koch-Institut selbst stellen Massenmedien wie die ZEIT, der Spiegel etc. diese Daten mit Suchfunktion bereit.

Die Neuinfizierten werden jetzt normalerweise über die vergangenen sieben Tage aufsummiert. Die aktiven Fälle ergeben sich, indem man die Gestorbenen und Genesenen von den jemals positiv Getesteten abzieht. Viele Seiten weisen diesen wichtigen Wert explizit aus. Als grobe Annäherung kann man notfalls hierfür auch etwa die zwei- bis dreifache Zahl der Sieben-Tages-Neuinfizierten ansetzen.

Nun nehmen Sie diese aktiven, also prinzipiell infektiösen Fälle mal zehn. So kompensieren Sie die erhebliche Dunkelziffer der unerkannt Infizierten, die hierzulande wohl zwischen fünf und zehn liegen dürfte. Wir rechnen hier lieber am oberen Rand. Während die positiv Getesteten in Quarantäne sind, läuft die weit überwiegende Zahl (eben bis zu etwa 90%) nolens volens weiter munter herum – eines der Grundprobleme, weshalb Corona de facto nicht dauerhaft mit vertretbarem Aufwand beherrschbar ist.

Rechnen Sie immer mit spezifischen Werten, meist je 100.000 Einwohner angegeben. Wenn dabei herauskommt, dass in Ihrem Kreis aktuell beispielsweise real 250 je 100.000 oder umgerechnet einer auf 400 Einwohner prinzipiell infektiös sind bzw. ist (samt einberechneter Dunkelziffer von zehn), dann bedeutet das konkret:

Durch einen Lebensmittler mit 1.000 bis 1.200 Kunden täglich (einen typischen Discounter also) laufen selbst abzüglich der temporär aus dem Verkehr gezogenen positiv Getesteten Tag für Tag noch etwa vier Infizierte. Etwa jeden zweiten oder dritten Tag dürfte darunter ein "Superspreader" sein. Deren Quote wird heute auf 10% bis 20% geschätzt, und sie sollen für 80% bis 90% der Ansteckungen verantwortlich sein. Umgekehrt ist damit der überwiegende Teil der Infizierten im normalen Alltagsgeschehen eher unkritisch. Doch dürfte dies sehr von den individuellen Umständen und der Enge der Kontakte abhängen.

Ähnliche Rechnungen können Sie anhand Ihrer Kundenzahlen für Ihre Apotheke anstellen. Danach sollten Sie Ihre Maßnahmen ausrichten – und für eine entsprechende Sensibilität im Team sorgen.

Prävention

Es wird immer klarer, dass SARS-CoV-2 nicht mehr verschwinden wird und Impfstoffe jedenfalls keine kurzfristige Lösung über die nächsten sechs bis zwölf Monate versprechen können. Wir befinden uns de facto in einem Adaptionsprozess, das Virus wird Teil unseres Erregerspektrums. Also brauchen wir zusätzlich ein Konzept zur Abschwächung ("Mitigation") der Krankheitsfolgen und zur Reduktion des Infektionsrisikos über Abstands- und Hygienemaßnahmen hinaus. Dies alleine deshalb, weil die Impfstoffstrategie scheitern kann.

Was liegt also näher, als mit einer höheren Fitness, einem gestärkten Immunsystem und durch gezieltes Arbeiten an den eigenen Risikofaktoren die Wahrscheinlichkeit eines fatalen Krankheitsverlaufes deutlich zu senken?

Betrachtet man die nüchternen Daten, wie Covid-19 gerade bei Risikopatienten wütet, heißt dies im Umkehrschluss, dass man sehr viel selbst tun kann. Risikoreduktionen im Bereich von 70% oder 80% sind in etlichen Fällen keineswegs aus der Luft gegriffen. Das gilt für Sie selbst – aber auch für Ihre Kunden!

Manches geht sehr schnell, wie eine kluge, angemessene Supplementierung mit z.B. Vitamin D3, Zink, Antioxidantien etc. (siehe auch den Beitrag "Präventive Wintergedanken"). Den eigenen Körper wieder in jeder Hinsicht "in Form" zu bringen, dauert dagegen deutlich länger und ist mühsamer, lohnt sich aber nicht nur wegen Corona. Diese zusätzliche Säule gilt es aufzubauen – und die Apotheken befinden sich hierfür im Grunde in der Pole-Position.

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2020; 45(17):4-4