Verbot der Abholautomaten

Pyrrhussieg des Strukturkonservatismus


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Jetzt ist es geklärt: Arzneimittel-Abholautomaten bleiben laut Bundesgerichtshof (der nur die Fehlerfreiheit des vorausgegangenen Oberlandesgerichts-Urteils bestätigt hat) verboten! Ein Jubeltag für die deutschen Apotheken! Oder? „Hüffenhardt“, Synonym für jenen legendären, in der gleichnamigen baden-württembergischen 2.100-Seelen-Gemeinde von Apothekers Lieblingsgegner DocMorris betriebenen Abholautomaten, ist insoweit Geschichte. Leider nur müssen wir an dieser Stelle die Euphorie gleich schon wieder bremsen: Solche Abholautomaten können zwar, wie jetzt höchstrichterlich bestätigt, verboten werden. Es steht dem Gesetzgeber aber frei, dies zu ändern. Hier wurde also keineswegs eine Garantie auf eine immer und ewig automatenfreie Zukunft gegeben. Ist ein unter dem Vorbehalt der jeweils aktuellen politischen Meinung stehendes Abholautomaten-Verbot dann immer noch Grund zum Jubeln?

Dass solche Urteile unser Ansehen in der Bevölkerung nicht heben, ist keine Überraschung. Eindeutig fallen die Kommentare in den Foren einschlägiger Massenmedien aus, die über dieses Urteil berichtet haben: „Apotheken-Monopolstellung“, „Sieg der Apotheker-Lobby“ oder „Das 21. Jahrhundert ist in Deutschland noch nicht angekommen“ – um häufig gefallene Wendungen in den am besten bewerteten Forumsbeiträgen eines bekannten Nachrichtenmagazins zu zitieren. Nun, das ist alles nicht neu. Also einfach Augen zu und durch, „Unrat vorbeischwimmen lassen“ (eine alte Managerweisheit) und sich freuen, dass es wieder einmal gutgegangen ist? Wir würden es uns damit in der Tat zu einfach machen.

Selbstverständlich atmet jeder auf, wenn ihm eine gefährliche und zudem wegen anderer Betriebsvoraussetzungen als höchst ungleich empfundene Konkurrenz erspart bleibt. Natürlich steht das Thema der „gleichlangen Spieße“ und der fairen Wettbewerbsbedingungen im Raum. Aber: Wie sähe die Einschätzung aus, wenn der Betrieb solcher Automaten den niedergelassenen Apotheken exklusiv garantiert wäre – ähnlich demjenigen einer Filiale? Würden wir die Kollegen, die auf dieses „Geschäftsmodell“ zurückgriffen, dann nicht eher als clevere Investoren ansehen? Offenkundig ist ein Abholautomat eben sehr wohl eine Alternative für eine Vielzahl von Fällen, in denen eine Beratung kaum benötigt wird – oder unkompliziert per Video möglich ist.

Nunmehr werden die Telemedizin und Telepharmazie in Siebenmeilen-Schritten auch von uns selbst forciert. Der Abholautomat zeigt somit nur höchst schmerzlich auf, dass der heutige Apothekenbetrieb zu ganz erheblichen Teilen – ob nun nur zu 50% oder gar zu über 70% – automatisierbar bzw. aus der Ferne steuerbar ist. Das gilt übrigens eher noch stärker für die so hoch gelobten „Wissensdienstleistungen“ wie das Medikationsmanagement. Sie sind vor allem eine Frage von Datenbanken sowie einer intelligenten, softwaregestützten Auswertung – und damit erst recht ortsunabhängig möglich. So betrachtet ist das vielgescholtene Impfen fast zukunftsträchtiger. Die Impfdosis per Datenleitung oder W-LAN zu spritzen, dürfte schwierig werden, vieles andere hingegen nicht.

Uns steht eine Gesellschaftskrise bevor, die grundlegende Fragen zur Zukunft der Arbeitsgesellschaft aufwerfen wird. Womöglich opfern wir Millionen Beschäftigte z.B. im Gaststätten-, Veranstaltungs- und Reisegewerbe sowie im Einzelhandel – allein aus Angst vor Corona. Wie gehen wir mit einer historisch schrumpfenden Wirtschaftsleistung um? Wer wird da demnächst noch Rücksicht auf unsere „Wohlstands-Befindlichkeiten“ nehmen? Die aktuelle Krise verschärft jedoch nur den strukturellen Wandel infolge der technologischen sowie ökologischen Disruptionen und nimmt ihn insoweit vorweg. Volkswirtschaftlich weitaus bedeutendere Beschäftigungsfelder stehen zur Disposition! Daher werden wir neue Tätigkeitsfelder massiv ausbauen müssen – allein schon, um unsere elementarsten Lebensgrundlagen zu sichern.

Um dies aufzulösen, werden wir uns grundlegend mit den Begriffen Arbeit, Leistung und gesellschaftliche Wertschöpfung auseinandersetzen müssen. Ein eingebildeter oder lediglich noch gesetzlich legitimierter Unverzichtbarkeits-Nimbus genügt da nicht – siehe Automat. Der Strukturkonservatismus mit seinen künstlichen Verkomplizierungen um der Arbeit und des Einkommens willen droht an sich selbst zu zerbrechen.

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2020; 45(18):19-19