Nach einem Ausnahmejahr

Versöhnlicher Ausklang!?


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Das vergangene Jahr dürfte als historischer Zeitabschnitt mit einem ganzen Strauß teils völlig neuer Herausforderungen in die Geschichte eingehen. Grund genug, zum Jahresende hin zurückzublicken auf all das, was (nicht) so gut geklappt hat – und die Gründe dafür.

Der Blick in den Rückspiegel gestattet nicht nur im Straßenverkehr, sicher auf die Überholspur auszuscheren. Auch betrieblich ist es ratsam, seine "Taler zu zählen", seine Kräfte und "Truppen" zu sammeln und die eigenen Möglichkeiten abzustecken, bevor man zu größeren Sprüngen ansetzt. Unterziehen Sie also Ihren Betrieb einer kritischen Revision – strategisch wie auch kaufmännisch, und nicht nur zur Erbauung des Pharmazierats.

Standortwertigkeit

Wie hat sich Ihr Standort in den vergangenen Monaten bewährt? Was konnten bzw. können ihm der Frühjahrs-Shutdown, der jüngste "Lockdown light" und jetzt wieder härtere Eindämmungsmaßnahmen anhaben? Wer sind Ihre kritischen, krisenanfälligen Frequenzbringer? Funktioniert der Kontakt zu den Arztpraxen? Drohen Schließungen in Ihrem Umfeld, droht damit Ihre Standortwertigkeit zu leiden? Gerade städtische Lagen können stark betroffen sein.

Ein kleiner Spaziergang, der eine oder andere Ladenbesuch und das Gespräch mit den Inhabern bzw. "Storemanagern" schaffen Klarheit – bevor Aushänge wie "neu zu vermieten" das tun. Können Sie diese Frequenzausfälle kompensieren, einfach wegstecken ("Downscaling") – oder droht auch Ihr Standort in die Grenzwertigkeit abzurutschen? Aussitzen ist keine zukunftsträchtige Option!

Mitarbeiter

Wie hat sich Ihr Team in den letzten Monaten bewährt? Wer ist besonders herausgestochen, positiv wie negativ? Wer bringt den Betrieb als "Zugnummer" voran, auf wen kann man solide bauen, wer ist opportunistischer Mitläufer, wer erweist sich als veritabler Hilfsbremser und wer als Problembeschaffer? Falls der Personalbestand doch einmal gelichtet werden muss, erinnert man sich gerne, auf wen man in schwierigen Zeiten (nicht) zählen konnte!

Wo liegen andererseits die Belastungsgrenzen? Welche kritischen Punkte markieren die Zumutbarkeitsschwellen? Was können Sie von Ihrem Team in der jetzigen Aufstellung (nicht) erwarten? Die Antworten dürften sehr unterschiedlich ausfallen. In der einen Apotheke läuft es voller Vertrauen wie am Schnürchen weiter, selbst wenn die Apothekenleitung ausfällt. Andernorts herrscht dann tatsächlich "Kopflosigkeit".

Nutzen Sie gegebenenfalls die letzten Tage des Jahres, um Ihre Wertschätzung durch die noch steuer- und abgabenfreie Prämie von maximal 1.500 € pro Kopf auszudrücken (vgl. AWA 15/2020).

Kunden

Neben einer Auswertung der üblichen Kennzahlen (vgl. den Abschnitt zur "Abrechnung") sollte Ihr Augenmerk Ihrer Kundenstruktur gelten. Wer hat sich auch in der Krise als "treue Seele" erwiesen? Sie sollten das zu schätzen wissen, und Ihre Wertschätzung auch zeigen. Machen Sie eine Top-Kunden-Analyse – wer hat in den letzten Monaten gefehlt, wer ist stabil dabei? Sehen Sie Besonderheiten z.B. hinsichtlich des Alters (Corona-Risikopatienten)? Scheuen Sie sich nicht, betont nette Nachfass- bzw. Erinnerungsbriefe zu verfassen – garniert mit einem Gutschein oder anderen Anreizen.

Richten Sie Ihr Augenmerk zudem auf Ihre Spezialkunden in verschiedenen Segmenten, wie z.B. Kosmetik, hochwertige Nahrungsergänzung etc. Diese Kundschaft ist besonders "versandgefährdet", wenn das Einkaufen vor Ort aufgrund der pandemiebedingten Restriktionen unerfreulich wird. Nur durch solche regelmäßigen Auswertungen erkennen Sie überhaupt, wer abwandert. Voraussetzung ist eine gut gepflegte Kundenkartei. Es wird spannend werden, inwieweit die elektronische Patientenakte bzw. vollständige Medikationspläne (auch für Non-Rx) die klassische Kundenkarte ergänzen bzw. gar ersetzen können.

Sonstige Krisenherde

Fast 20% der Apotheken sind von der Insolvenz des Rezeptabrechners AvP betroffen. Die Jahresbilanz ist da naturgemäß massiv getrübt, selbst wenn mutmaßlich eine hohe Ausschüttungsquote zu erwarten ist – nur wann? Andere haben im Zuge von Infektionen im Apothekenumfeld Erfahrungen mit Gesundheitsämtern, staatlichen Institutionen und den Standesvertretungen gemacht. Ziehen Sie auch hier Bilanz: Welche Institution hat sich in welcher Weise bewährt? Welchen Eindruck nehmen Sie mit? Was lässt sich reibungsloser gestalten?

Die Abrechnung

Eine erste betriebswirtschaftliche Sichtung sollte zu Jahresende vorbehaltlich der endgültigen steuerlichen Daten möglich sein. Schauen Sie dabei nicht nur auf das "Übliche", wie Umsatz, Rohertrag, Kostenpositionen und Gewinn, sondern auch auf:

  • Kundenzahlen (monatsweise), v.a. im Vorjahresvergleich,
  • den Abgleich Ihrer Kundenzahlen mit den Kunden-/Passantenfrequenzen in den Einzelhandelsgeschäften, Praxen etc. vor Ihrer Tür (versuchen Sie, entsprechende Vor-Ort-Daten zu bekommen!), und daraus abgeleitet,
  • den Umsatz und Rohertrag je Kundenbesuch (Offizinbetrieb),
  • die spezifischen Kosten (v.a. Personal- und Marketingkosten je Kunde bzw. Packung),
  • den alten bzw. neuen Gewinnbeitrag von abgrenzbaren Geschäftsbereichen wie Heimversorgung, Speziallabor, eigenem Versandgeschäft etc.,
  • die Rohertragsentwicklungen der einzelnen Produktsortimente (Rx, Non-Rx, Freiwahl, Sichtwahl, Kosmetik etc.).

Und als Fazit: Stehen Sie wirtschaftlich besser, gleich oder schlechter als am Ende des letzten Jahres da? Gehen Sie gestärkt oder geschwächt ins Jahr 2021? Haben Sie die Kraft, neue Chancen aktiv zu nutzen? Oder müssen Sie eher ein, zwei Gänge zurückschalten?

Diese Zahlen und Auswertungen sind damit wertvolle Fingerzeige für das kommende Jahr. Ehrlicherweise sollten Sie davon ausgehen, dass der Ausnahmezustand noch längere Zeit – mindestens bis in den Sommer – anhalten wird. Ob die Impfstrategie verfängt und ihre Ziele erreicht, steht in den Sternen. Gleichwohl sind Krisenzeiten immer Zeiten besonderer Chancen – dazu in der nächsten Ausgabe mehr.

Zu guter Letzt

Unabhängig davon, wie Ihre "Krisenbilanz 2020" im Einzelnen aussieht: Seien Sie ruhig ein wenig stolz, dieses Jahr gemeistert zu haben – egal wie und mit welchen Blessuren! Hauptsache, Sie sind noch "dabei"!

Ich wünsche Ihnen jedenfalls trotz aller situativen Restriktionen wunderschöne Weihnachten und ein frohes, vor allem gesundes neues Jahr!

Service

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2020; 45(24):4-4