(Vermeintliche) Fortschritte auf dem Prüfstand

Welche digitalen Prozesse wirklich sinnvoll sind


Simon Nattler

Die Digitalisierung ist nicht einfach eine Hürde, die man überspringen kann. Das haben wir wohl mittlerweile alle erkannt. Aber welche Veränderungen können wir erwarten, wenn wir analoge Prozesse in der Apotheke durch ihre digitalen Pendants ersetzen?

Viele Medikamente entfalten ihre Wirkung erst nach einigen Wochen, während die Nebenwirkungen vor allem anfänglich auftreten, um dann abzuflachen. Ähnlich verhält es sich mit der Digitalisierung eingespielter Abläufe: Zunächst müssen wir oft Geld und vor allem Zeit investieren. Sind die neuen Strukturen dann aber etabliert, können wir uns eine "Rückkehr" kaum mehr vorstellen!

Denken Sie langfristig!

Fragen Sie sich doch mal, ob man gängige Prozesse mit der aktuellen Technik heute noch einmal genau so erfinden würde? Um den Sinn einer Maßnahme zu beurteilen, hilft auch der Blick in die Zukunft. Ignorieren Sie dabei unbedingt, was Ihnen geläufig ist!

Stellen Sie sich also folgendes Szenario vor: Im Jahr 2025 fängt eine neue Auszubildende in Ihrer Apotheke an. Wie würde sie auf die ihr neuen Abläufe schauen? Was würde sie stören? Würde sie sich nach einem Papierrezept sehnen, wenn das E-Rezept bereits flächendeckend eingeführt wäre? Würde sie verknitterte und unleserliche Rezepte vermissen, auf denen die Unterschrift fehlt und die im Drucker stecken bleiben? Wahrscheinlich nicht!

Digitalisierungsmaßnahmen sind immer sinnvoll, wenn sie langweilige oder repetitive Prozesse automatisieren und dadurch beschleunigen. Von diesen Prozessen haben wir in der Apotheke eine Menge! Die Rezepteinlösung mit all ihren Problemen ist nur das prominenteste Beispiel. Darüber hinaus kann die Digitalisierung aber auch ganz neue, vorher nicht denkbare Erlebnisse schaffen.

Für viele von uns ist die Digitalisierung in den letzten Jahren trotzdem zu einer nervigen Begleitung geworden, die wir neben allen anderen Herausforderungen managen müssen. Da die digitale Welt aber nicht nur ein vorübergehender Trend ist, verschaffen wir uns doch mal einen Überblick über die aktuellen Möglichkeiten:

Besseres Warenmanagement

Nehmen wir den Warenfluss: Hier sind wir durch unsere Warenwirtschaftssysteme seit jeher gut aufgestellt. Bestellungen werden automatisch erstellt, optimiert und an den Großhandel übermittelt. Im Vergleich zur ABDA-Lochkarte ist das natürlich die bessere Lösung!

Kommissionierer

Als längst fester Bestandteil vieler Apotheken faszinieren Kommissionierer die Kunden und ihre Kinder immer noch regelmäßig. Für uns selbst verändern sie die Arbeit sowohl im HV als auch im Backoffice entscheidend. Mussten wir die Kunden früher minutenlang allein stehen lassen, um die Bestellung zusammenzusuchen, funktioniert Letzteres nun vollautomatisch. Dazu kommt: Wer keinen Kommissionierer hat, muss sich zukünftig, wenn das Papierrezept wegfällt, wohl häufig eine Notiz als Gedächtnisstütze ausdrucken, um auf dem Weg ins Lager nichts zu vergessen.

Auch die Einlagerung erfolgt mit dem Automaten deutlich schneller, sodass die Prozesskosten pro Packung signifikant sinken. Mit der eingesparten Zeit können bei gleichem Personaleinsatz pro Stunde mehr Kunden versorgt werden: Ein messbarer Effizienzgewinn!

Digitale Sichtwahl

Bildschirme statt Regale zur Warenpräsentation ergeben erst im Zusammenspiel mit einem Automaten wirklich Sinn. Die Vorteile sind zunächst wieder monetär: Der Warenbestand nimmt erheblich ab, da von vielen Packungen nur ein Exemplar vorrätig sein muss.

Aber auch das Kundenerlebnis verbessert sich: Als ich in einer Filiale auf Displays umgestellt habe, dachte ich erst einmal, dass ich damit vor allem die jüngeren Generationen ansprechen würde. Besonders begeistert waren aber ältere Patienten: Sie konnten die größeren Packungsabbildungen nun viel besser erkennen.

Möglich ist es z.B. auch, eine Folie mit (fast) allen Augentropfenauf dem Markt zu zeigen: Selbst wenn man sie nicht vorrätig hat, kann der Kunde darauf seine Flasche erkennen ("Die Weiße!") – und bestellen. Perfekt geeignet sind die riesigen Bildschirme obendrein zur Präsentation von aktuellen Angeboten und (Masken-)Aktionen.

Preisauszeichnung

Falls Sie ein aktives Preismanagement betreiben, kann Ihnen die digitale Preisauszeichnung mühsame Änderungen bei regelmäßigen Aktionen ersparen. Sofern die Preise in der Offizin an diejenigen im Online-Shop gekoppelt sind, lässt sich alles mit nur einem Klick aktualisieren. Falls Sie zu den "preisstabilen" Apotheken gehören, können Sie aber gut auf die digitale Auszeichnung verzichten und die oft hohen Kosten lieber woanders investieren.

Kontaktlose Zahlung

Eine kontaktlose Zahlung per (Kredit-)Karte oder Smartphone ist heute ein Muss! Die Gebühren, die in den letzten Jahren deutlich gesunken sind, übernimmt natürlich die Apotheke. Außerdem geht die Zahlung mittlerweile so fix, dass sie sich allein durch die Zeitersparnis sofort wieder lohnt. Übrigens ist die kontaktlose Zahlung mittlerweile so gängig, dass die Kunden oft diejenigen abstrafen, die sich ihr verweigern.

It‘s all about communication

Besonders stark ist digitale Unterstützung im Bereich der Kommunikation. Nirgendwo sonst kann man auf Knopfdruck gleichzeitig so viele Menschen erreichen wie auf digitalem Weg. Natürlich darf das persönliche Gespräch nicht ersetzt werden. Aber um komplizierte Sachverhalte, Fotos oder Dokumente auszutauschen, ist das Internet unschlagbar.

Wichtig: Auch in Apotheken müssen die Datenschutzregeln natürlich bei allen Maßnahmen eingehalten werden.

Intranet

Über ein Intranet bzw. eine Team-App können Aushänge, Anweisungen und Fragen schicht- und filialübergreifend ausgetauscht werden. Das vereinfacht viele Prozesse deutlich, spart Zeit und reduziert Fehler. Durch die asynchrone Kommunikation wird niemand im Alltag unterbrochen wie durch ein Telefonat: Jeder kann reagieren, wenn Zeit ist.

Ein gutes Intranet sollte unbedingt immer das ganze Team einbeziehen, um die Zufriedenheit und Motivation der Mitarbeiter nachhaltig zu steigern. Zudem geht dann kein "Erfahrungswissen" nach ISO 9001:2015 verloren, falls z.B. Mitarbeiter ausfallen.

Digitale Telefonanlage

Auch wenn es auf den ersten Blick so scheint, als hätte sich ein Anruf seit 150 Jahren nicht weiterentwickelt, ist die Technik heute eine ganz andere. Gerade in Filialverbünden ist eine moderne Telefonanlage extrem sinnvoll: Gespräche können an einem Standort angenommen und in die Filiale oder auf das Handy vom Chef weitergeleitet werden. Und: Zeit- oder anlassgesteuerte Bandansagen hinterlassen einen professionellen Eindruck beim Kunden, z.B. im Notdienst.

Telepharmazie

Die Kundenberatung per Videotelefonie steckt noch in den Kinderschuhen, im Vergleich zur Telemedizin sind die Vorteile für die Patienten (bislang) überschaubar: Während digitale Arztbesuche die Wartezeit und Ansteckungsgefahr in überfüllten Wartezimmern ersparen, ist die Apotheke sofort erreichbar und die Beratung zumeist auch telefonisch möglich. Aber: Große Chancen für die Telepharmazie liegen in den pharmazeutischen Sonderleistungen, wie Ernährungsberatungen oder Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS)-Checks. Gerade durch die zukünftige Honorierung kann hier ein lukratives Geschäftsfeld entstehen.

Fazit

Wir sollten uns auf eine Zukunft freuen, in der lästige Zeitfresser von Computern übernommen werden und wir uns daher wieder intensiver um unsere Patienten kümmern können – auch wenn die gewonnene Zeit leider momentan viel zu häufig durch noch mehr Bürokratie gefüllt wird.

Dennoch sollte jeder von uns die Digitalisierung der eigenen Apotheke vorantreiben. Denn neben den Patienten dürfen wir auch unsere (potenziellen) Mitarbeiter nicht vergessen. Gerade junge Nachwuchskräfte suchen nach einer modernen Arbeitsumgebung – und wir haben genügend Möglichkeiten, sie ihnen zu bieten.

Simon Nattler, Inhaber der ELISANA-Apotheken, Gründer der Team-App apocollect, 45896 Gelsenkirchen, E-Mail: inbox@apocollect.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2021; 46(01):6-6