Eine unendliche Geschichte

Worauf Sie bei Chefvertretungen rechtlich achten sollten


Dr. Bettina Mecking

Die rechtliche Stellung, die den immer mal wieder dringend benötigten Vertretungen für Apothekenchefs zukommt, wird stets aufs Neue diskutiert. Angesichts einer aktuellen Entscheidung ist nun einmal mehr Bewegung in die Sache gekommen.

Einige hundert Approbierte sind nach Schätzungen schwerpunktmäßig als Vertretungsapotheker in den deutschen Apotheken unterwegs, dazu kommen unzählige gelegentlich einspringende Vertreter. Nicht selten werden diese durch eingeschaltete Vermittlungsfirmen gestellt (vgl. auch den Beitrag "Wie Sie Vertretungspersonal finden").

Wenn Sie als Apothekenleitung für sich selbst eine Vertretung suchen, lautet die rechtliche Kernfrage: Bedarf es eines Angestelltenverhältnisses – oder kann die Vertretung auf der Grundlage einer selbstständigen Mitarbeit erfolgen?

Die Sache mit der Sozialversicherungspflicht

Dass dabei insbesondere auch die apothekenrechtlichen Vorgaben eine Rolle spielen, zeigt ein Fall, mit dem sich kürzlich das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) befasst hat (Urteil vom 10.06.2020, Aktenzeichen: L 8 BA 6/18): Die klagende Apothekeninhaberin hatte eine andere Apothekerin als kurzzeitige Vertretung eingesetzt. Die Deutsche Rentenversicherung forderte sie daraufhin auf, die Arbeitgeberbeiträge für die Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung zu zahlen.

Dagegen wandte sich die Inhaberin mit der Begründung, die Vertretung sei selbstständig tätig gewesen und hätte deswegen nicht der Versicherungspflicht unterlegen. Ein Arbeitsverhältnis wäre weder vereinbart worden, noch ergebe es sich aus den tatsächlichen Umständen.

Die Rentenversicherung führte dagegen ins Feld, die Vertreterin sei in den Betrieb eingegliedert gewesen und habe kein unternehmerisches Risiko getragen, sodass sie als Arbeitnehmerin der Sozialversicherungspflicht unterliege. Das sah auch das in der Folge angerufene Sozialgericht Detmold so.

Über die Berufung musste dann das LSG NRW entscheiden – und gab der Inhaberin recht: Die Vertreterin sei "im Wesentlichen nicht weisungsgebunden" und zudem weder in die Arbeitsorganisation noch die Struktur der Apotheke eingebunden gewesen. Weil sie damit zentrale Arbeitnehmereigenschaften nicht erfüllt habe, hätte auch keine Sozialversicherungspflicht bestanden.

In diesem konkreten Einzelfall unterlag die Vertreterin laut Urteilsbegründung nur sehr wenigen Beschränkungen: Sie habe nicht nur eigenmächtig Personal gekündigt oder eingestellt, sondern den Betrieb während ihrer Anwesenheit maßgeblich geprägt: Sowohl beim Einkauf als auch bei der Preisgestaltung und den Öffnungszeiten hätte sie eigenmächtig entscheiden können. Dieser wohl ungewöhnlich weitreichende Spielraum dürfte sich zum Teil auch daraus ergeben haben, dass sie vormals Inhaberin der Apotheke gewesen war, in der sie nun als Vertretung einsprang.

Pauschal lässt sich das allerdings nicht auf jede Chefvertretung übertragen. Insbesondere bei einer kurzzeitigen bzw. einer reinen Urlaubsvertretung dürfte sich der hier entschiedene Fall vor allem dadurch maßgeblich von der gängigen Vertretungspraxis unterscheiden, dass eine Vertretung üblicherweise keine oder nur begrenzte unternehmerische Entscheidungen trifft. Die Befugnis dazu verbleibt regelmäßig bei der Apothekenleitung.

Billigt der Apothekenleiter dem Vertreter allerdings konkret eine besondere Eigenverantwortung und Entscheidungskompetenz zu, kann dies dafür sprechen, die Tätigkeit als selbstständig und damit als nicht sozialversicherungspflichtig einzuordnen. Somit können Inhaber und ihre Vertretungen individuell vereinbaren, ob die Tätigkeit abhängig oder selbstständig sein soll – was sie dann natürlich auch dementsprechend ausgestalten müssen.

Womöglich ein Berufsrechtsverstoß?

Die Frage, ob eine selbstständige Tätigkeit in der Apotheke überhaupt apothekenrechtlich zulässig ist, hat das LSG NRW jedoch nicht abschließend bewertet: Zwar geht es zutreffend davon aus, dass die Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) keine Vorschrift darüber enthält, ob die bei Abwesenheit des Apothekenleiters erforderliche Vertretung nach §2 Abs. 5 Satz 1 ApBetrO nur in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis ausgeübt werden kann. Das Gericht betont aber, dass die Apotheke auch weiterhin persönlich geleitet werden müsse, wie es §2 Abs. 2 ApBetrO fordert.

Zu dieser persönlichen Leitung im Fall einer selbstständigen Apothekenvertretung hatte sich das Landesberufsgericht für Heilberufe am Oberlandesgericht München bereits vor einiger Zeit folgendermaßen positioniert: Selbst wenn man §7 Apothekengesetz (ApoG) betrachte, "begegnet die Vertretung keinen Bedenken, weil – entsprechende vertragliche Gestaltung vorausgesetzt – auch im Rahmen eines solchen Vertretungsverhältnisses der Apothekenleiter seine Weisungsbefugnis hinsichtlich aller übertragenen Betriebsabläufe ausüben kann. Ob eine solche Tätigkeit eines Apothekenvertreters vom zuständigen Finanzamt als selbstständige oder nichtselbstständige Tätigkeit qualifiziert wird, hat mit der berufsrechtlichen Zulässigkeit nichts zu tun" (Urteil vom 12.12.2012, Aktenzeichen: LBG-Ap 002/12).

Tipp: Bevor Sie einen Vertrag mit einer Vertretung abschließen, empfiehlt es sich wegen der regional immer noch unterschiedlichen Bewertung, bei Ihrer zuständigen Kammer oder staatlichen Apothekenaufsicht anzufragen, ob die Besetzung der Apotheke in der angedachten Weise apothekenrechtskonform ausgestaltet ist.

Was heißt das für die Apothekenpraxis?

Lediglich auf Basis der Entscheidung des LSG NRW sollten Sie in der Praxis von nun an zwar trotzdem nicht annehmen, dass Sie Ihre Vertretungen automatisch sozialversicherungsfrei beschäftigen. Dennoch: Die berufsständischen Versorgungswerke sehen unter sozialrechtlichen Gesichtspunkten starke Argumente dafür, Apothekenvertretungen als selbstständige Tätigkeiten einzuordnen – zumindest wenn zuvor entsprechende Absprachen getroffen worden sind. Den Versorgungswerken und den Betroffenen hilft diese Einordnung, weil sich daraus ergibt, welcher Vertreter sich gegebenenfalls befreien lassen muss.

Entscheidend ist die Art, wie Sie den schriftlichen Vertretungsvertrag im Einzelfall ausgestalten – und zwar sowohl arbeits- als auch sozialversicherungs- und steuerrechtlich. Dabei dürfte es nicht ausreichen, dass Sie eine Vertretung im Rahmen eines Honorarvertrages dazu verpflichten, die apothekenrechtlichen Vorschriften einzuhalten.

Denn laut Bundesarbeitsgericht (BAG) begründen allein Vorgaben, die notwendiger Bestandteil der übernommenen Aufgaben sind, nicht den Status eines Arbeitnehmers (Urteil vom 20.05.2009, Aktenzeichen: 5 AZR 31/08). Dazu ist es vielmehr notwendig, auf die Gesamtsituation abzustellen. Deutliche Anhaltspunkte für eine abhängige Beschäftigung sind jedenfalls dann gegeben, wenn die Tätigkeit konkret nach einer Weisung bezüglich

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  • Durchführung,
  • Zeit,
  • Dauer,
  • Art und
  • Ort

erfolgt und zudem in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers eingegliedert ist.

Stellt das Finanzamt oder der Sozialversicherungsträger im Nachhinein fest, dass Ihr Vertreter kein selbstständiger "Mitarbeiter", sondern vielmehr tatsächlich Arbeitnehmer ist, ergeben sich weitreichende finanzielle Konsequenzen für Sie. So kann der Sozialversicherungsträger seinen Nachforderungsanspruch für einen Zeitraum von bis zu vier Jahren bei Ihnen geltend machen.

Um dieses sozialversicherungsrechtliche Dilemma zu umgehen, wird allgemein dazu geraten, mit jeder entsprechenden Vertretung ein befristetes Arbeitsverhältnis einzugehen. Aber Achtung: Gegenstimmen meinen, dass eine fortgesetzte Befristung rechtlich nicht unbegrenzt möglich sei.

Dr. Bettina Mecking, M.M., Fachanwältin für Medizinrecht, Justiziarin der Apothekerkammer Nordrhein, 40213 Düsseldorf, E-Mail: b.mecking@aknr.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2021; 46(01):14-14