Scheitern mit Ansage

Unsere gepflegte Versagerkultur


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Versagen und Scheitern schaffen es sogar auf Buchtitel wie "Gescheiter Scheitern: Eine Anleitung für Führungskräfte und Berater", "Die Schönheit des Scheiterns: Kleine Philosophie der Niederlage" und manche mehr. Wo einst Verantwortung für das Getane übernommen wurde – sei es durch irgendeine Art der Wiedergutmachung, einen Rücktritt oder gar durch eine heldenhaft-theatralische Beendigung des eigenen Daseins – dominieren heute eine Bräsigkeit und Haftfähigkeit am wohlgepolsterten eigenen Stuhl, die jeden Klebstoffhersteller neidisch werden lassen. Fehl- und Minderleistungen in den entscheidenden Situationen werden nur noch unzureichend benannt und erst recht nicht angemessen sanktioniert.

Hingegen funktionieren die Sicherung der Hierarchien sowie Regelwerke weiterhin ganz gut, seien sie noch so grotesk. Man fühlt sich gerne an "Das Peter-Prinzip" erinnert, jenes nach wie vor lesenswerte Büchlein von Laurence J. Peter und Raymond Hull. Da es schon aus den frühen 1970er Jahren stammt, sind die Probleme nicht neu: Jeder steigt bis zur Stufe seiner Unfähigkeit auf, und Hierarchien entwickeln seit jeher beachtliche Stabilisierungs- und Selbsterhaltungstendenzen, deren Erkundung die Autoren als "Hierarchologie" bezeichnen.

Und doch hat sich offenkundig einiges geändert in den letzten Jahren. Die heutige "gepflegte Versagerkultur" entwickelt eine neue gesellschaftliche Wucht. Wir stehen nach einer langen Wohlstandsperiode nahe davor, die "Ernte" aus Jahrzehnten des Leistungsverfalls einzufahren. Das ist inzwischen ein Massenphänomen, das bei der Erziehung startet und sich auf allen Ebenen der Gesellschaft wiederfindet. Die Konsequenzen sind evident, die allgegenwärtige Überforderung durch einfachste Aufgaben entspringt nicht irgendeiner Satire, sondern ist täglich gelebte Realität. Der Geruch von Vermoderung und Verfall liegt inzwischen wahrnehmbar in der Luft. Wie konnte es soweit kommen?

Es beginnt schon im Kindesalter. War Oskar früher einfach nur "unterbelichtet" (die Gaußsche Normalverteilung der Intelligenz fordert so etwas schlicht), reden wir heute lieber von gesellschaftlicher Benachteiligung (an welcher Stelle auch immer), schwierigen Sozialverhältnissen, Traumatisierung oder der Modediagnose ADHS. Das klingt doch gleich viel versöhnlicher. Im weiteren Verlauf wird der Nachwuchs dann mehr mit Quoten als mit Leistung und Befähigung konfrontiert, je nach vorherrschender Farblehre. So erleben wir einen auch unter der Flagge der Antidiskriminierung segelnden Egalitarismus, der selbst wünschenswerte Unterschiede nivelliert und stattdessen unseren ausgeprägten Neidkomplex verarztet.

Da verwundert es nicht, dass die Elite von einst zum ideologischen Sachverwalter verkommt – zu beobachten bis in die höchsten Positionen von Politik, Wirtschaft und Medien. Marschieren in der Schafherde wird zum Qualitätsmerkmal. Selbst der so geliebte Fußballsport ist von dieser Versagerkultur erkennbar infiziert. Und Hand aufs Herz: Trauen Sie sich in Ihrer Apotheke noch, Leistung konsequent einzufordern und eklatante Schlechtleistung hart zu sanktionieren? Oder dominieren bei Ihnen nicht auch die so warm empfohlenen Wohlfühl-Parolen?

Noch trägt eine schweigende, fleißige Masse das alles, samt manchen herausragenden Leistungsträgern, deren Zahl bedenklich schwindet. Und selbst die wenigen Willigen und Fähigen vermag man in unserem System höchst wirkungsvoll auszubremsen. Auf die Effizienz der Hilfsbremser ist Verlass. Die Kombination aus irrsinniger Komplexität, überbordender Bürokratie und Regulierungsdichte sowie viel zu vielen "Entscheidern" (Verhinderern!) erzwingt dies geradezu. Selbst vermeintlich einfache Projekte werden in einem Wust von sich widersprechenden oder inkompatiblen Anforderungen regelrecht zerrieben.

Versagen ist damit systemimmanent. Wundern Sie sich also nicht, dass selbst eine simple Maskenbeschaffung oder die Terminvergabe für eine Impfung die noch viertgrößte Wirtschaftsnation der Erde vor Herausforderungen stellt, für die man stets das eine Patentrezept hat: Mehr Bürokratie, Vorschriften und Komplexität! Das schafft immerhin Arbeit und Posten, selbst wenn es die Leistung mindert und das Versagen so quasi zum Prinzip erhebt.

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2021; 46(03):19-19