Lahmender Barverkauf

Wege aus der OTC-Krise


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Mit der Coronakrise hat sich die Misere bei rezeptfreien Barverkäufen für die Vor-Ort-Apotheken enorm verstärkt. Der "Maskenzauber" darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir vor grundlegenden Problemen stehen – zwar nicht erst aktuell, nun aber brennglasartig verstärkt.

Corona hat nicht nur die Kundenfrequenzen standortabhängig reduziert und somit manchen Gelegenheitskauf vereitelt bzw. Verkäufe in den Versandhandel umgeleitet. Auswertungen der Kostenträger und Ärzteorganisationen zeigten bereits im letzten Frühjahr und nun wieder eine teils deutlich über 50%ige Abnahme von Erkältungskrankheiten, Influenza und infektiösen Magen-Darm-Erkrankungen. Folgerichtig fällt der entsprechende Non-Rx-Absatz auf Rekord-Tiefststände. Dies ist betrüblich, weil allein die beiden Indikationen "Erkältung" und "Magen-Darm" regelhaft für über 50% des Over-the-Counter (OTC)-Geschäfts stehen. Sogar der Kosmetikabsatz leidet, Homeoffice und geringeren Außenkontakten geschuldet.

Bislang hielt in einer Durchschnitts-Apotheke nur etwa die Hälfte der Kunden ein Rezept in der Hand (in Center-Apotheken nur etwa jeder Dritte oder gar jeder Vierte). Der große Rest wurde also nicht "zwangszugeführt" und trug kräftig zur Kundenfrequenz und zum Beratungs-Renommee bei. Hier hakt es nun gewaltig, und das wird wohl lange so bleiben: Impfungen dürften eher nur einen "Teilkasko-Schutz" bieten – mit einer je nach Risikogruppe erheblichen "Selbstbeteiligung" in Form von Restrisiken bzw. eben weiter fortdauernden Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen.

Masken forever!?

Die Hygieneregeln, die niedrigere Mobilität und die Kontaktbeschränkungen zeigen also ihre Wirkung, bei der Influenza könnte die höhere Impfrate in diesem Winter mitgeholfen haben. Allerdings: Die "Saison" ist noch nicht vorbei, die endgültige Bilanz steht aus. Erste Stimmen fordern, die Maskenpflicht zumindest eingeschränkt dauerhaft beizubehalten – so im öffentlichen Nahverkehr, in den Praxen und generell überall da, wo sich Menschenmassen drängen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass es so kommen wird – abgesehen davon, dass Corona selbst das viel länger als gedacht erzwingen wird. Masken werden uns noch lange begleiten! Können und sollen die Apotheken hier abseits des staatlich administrierten "Maskenzaubers" mitmachen? Skizzieren wir einmal den durchaus lohnenden Markt (Tabelle 1).

Markteinschätzung

Die durchschnittliche Apotheke versorgt 4.500 Einwohner. Wer gut etabliert ist, sollte davon 1.000 bis 1.500 Personen so stark an sich gebunden haben, dass sie ihren Bedarf an Gesundheitsprodukten aller Art vornehmlich in seiner Apotheke decken. Zurückhaltend-realistisch kann man von einem monatlichen Bedarf von etwa zwei bis drei FFP2-Masken für Privatleute ausgehen. Den kommerziellen Bedarf lassen wir außen vor, da er meist aus anderen Bezugsquellen gedeckt wird (das wird bei den Schnelltests ebenfalls so sein). Damit ist ein monatlicher Absatz von 2.000 bis gut 4.000 Masken durchaus realistisch – sofern Ihr Preis (spätestens ab April nach Auslaufen der staatlich geförderten Aktionen) stimmt und sich nicht zu sehr von anderen Handelskanälen abhebt.

Ein weiterer enormer Markt, zumindest nach Stückzahlen, baut sich gerade bei den Corona-Selbsttests auf. Wir müssen auch hier aufpassen, uns nicht durch realitätsferne Kalkulationen selbst aus dem Spiel zu nehmen. Für konkurrenzfähige Einkaufspreise empfiehlt es sich, z.B. auf Ebene größerer ERFA-Gemeinschaften oder Kooperationen direkte Bezugswege zu erschließen. Gerade bei solchen Alltagsprodukten liegt im Einkauf der Gewinn! Verabschieden Sie sich von akademischen Weisheiten ("Unter 3 € bis 5 € Stückertrag kein betriebswirtschaftlicher Gewinn!", je nach Apotheke), denn damit preisen Sie sich sofort aus dem Markt und verlieren bei einem solch relevanten Indikator-Produkt massiv an Ansehen in der Bevölkerung bzw. zementieren die Vorurteile von den "Apothekerpreisen". Lieber 1 € Stückertrag in der Kasse als 3 € im Regal! Zudem kommt es auf die zeitnahe Beobachtung des Marktes im Umfeld an – Sie müssen als Apotheke ja auch nicht auf den allerbilligsten Jakob machen.

Hinweis: Das gilt nicht, wenn eine wertvolle Dienstleistung mit dem Verkauf verbunden ist, also z.B. die Testung und Auswertung in der Apotheke selbst. Zeit und Know-how kosten Geld!

Paketlösungen

Denken Sie im Hinblick auf Corona über Paketlösungen zu einem attraktiven Komplettpreis nach, was bei Nicht-Arzneimitteln gut machbar ist (bei Arzneimitteln steht ja schnell die Förderung des Mehr- bzw. Fehlgebrauchs im Raum). So lassen sich zusätzlich und elegant sinnvolle Medizin- und Hygieneprodukte (Desinfektionsmittel, Handschuhe, Spüllösungen etc.) unterbringen. Vorschläge finden Sie im Kasten.

Medizinisch ohne Frage reizvoll wäre die möglichst frühzeitige Hemmung der gefährlichen Mikrothromben-Bildung bereits bei Positiv-Testung bzw. Verdacht auf eine Atemwegsinfektion. Für den "Hausgebrauch" würden sich die klassischen Acetylsalicylsäure-Tabletten als Thrombozyteaggregationshemmer eignen: Einnahme (nach Ausschluss offenkundiger Kontraindikationen) einmal täglich nur im Akutfall für sieben bis zehn Tage, um die bekannten Langzeitrisiken gering zu halten. Rechtlich ist eine solche klare Empfehlung an Kunden aber leider höchst diffizil.

Indikationsverschiebungen

Corona verschiebt Bedürfnisse: So leiden Stimmung und Psyche, da können Sie helfen – von etablierten Präparaten bis hin z.B. zu Aromaölen. Das Thema Augen kommt im Zuge stark gestiegener Zeiten vor den Bildschirmen zu neuer Blüte: Welche Lösungen können Sie anbieten? Das "traute Heim" ist wichtiger geworden – und damit alles, was der Wohlfühl-Atmosphäre zu Hause dient, wozu die Apotheke ebenfalls etwas beitragen kann. Eine Produktstrategie entwickeln Sie bei einem solchen emotionalen Thema am besten zusammen mit Ihren Mitarbeitenden.

Premium-Modelle

Die Apothekenleistungen spalten sich zunehmend in den klassischen Produktverkauf und die sicht- bzw. abgrenzbar vom Bisherigen erbrachten Dienstleistungen. Dabei ist eine (zusätzliche) angemessene Honorierung die Achillesverse schlechthin. Viele Dienstleistungen lassen sich jedoch elegant in ein "Premium-Modell" verpacken, praktisch umgesetzt z.B. durch eine weitere "Premium-Kundenkarte", die dann eine mittlere zweistellige Jahresgebühr kostet. Es verlangt viel Fingerspitzengefühl, hier den Ausgleich zwischen Rentabilität und einem für den Kunden attraktiven Zusatzleistungs-Paket zu finden. Aber es dürfte sich lohnen, darüber nachzudenken. Allseits bekannte Anbieter wie der weltgrößte Versandhändler machen das nämlich seit Jahren erfolgreich vor.

Fazit: "Kleinvieh" macht auch Mist! Corona stößt die Tür zu außerordentlich großen Stückzahlen an künftigen "Alltagsprodukten" auf. Es winken beachtliche Ertragsmöglichkeiten und die Überkompensation bisheriger Verluste – wenn Sie marktgerecht agieren und sich nicht von anderen Handelskanälen hinauspreisen lassen! "Wir können nur teuer" wird hier bei immer geringerem Beratungsbedarf nicht verfangen.

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2021; 46(04):4-4