Vom Versandhandel (nicht) lernen (Teil 2)

Schwächen und Stärken erkennen – und nutzen


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Auf den ersten Blick erscheint der Versandhandel vielen Apotheken als ein unbesiegbarer Angstgegner. Die vermeintlich übergroße Kapital- und Wirkmacht führt zur eigenen Erstarrung und zum reflexartigen Ruf nach dem Gesetzgeber. Geht es auch anders?

Aufbauend auf dem Beitrag im letzten AWA 7/2021, arbeiten wir nun die Stärken und Schwächen von Versand sowie stationärer Apotheke heraus und entwickeln darauf basierend Strategien.

Arbeitsmodelle

In Tabelle 1 sind wichtige Kennziffern des Versands sowie der typischen Apotheke gegenübergestellt. Basis ist die einzelne Bestellung bzw. ein durchschnittlicher Kundenbesuch. Das fällt auf:

  • Die Roherträge je Paket bzw. Apothekenkunde sind vergleichbar.
  • Schon die operativen Kosten sind bei den Versendern höher. Nimmt man die Kapitalkosten hinzu, vergrößert sich der Abstand weiter.
  • Die direkten Personalkosten für die Bedienung (Handverkaufskosten) entsprechen bei den Versendern allein den Versandkosten und Packmaterial. Eine wichtige Erkenntnis! Sollten gar strengere Versandbedingungen durchgesetzt werden (u.a. Temperaturführung), wird der Versand teurer als der Vor-Ort-Verkauf.
  • Versender investieren bisher hohe Summen in ihr Marketing (gerne um die 4% vom Umsatz). Hier punktet die Vor-Ort-Apotheke mit weit schlankeren Werten.
  • Der Rx-Anteil ist bei der Shop Apotheke Europe mit rund 30% am Deutschland-Umsatz noch eher gering. DocMorris weist traditionell höhere Anteile auf, diese werden aber nicht publiziert. Sie lassen sich größenordnungsmäßig auf um die 50% schätzen.
  • Die Zahl der abgesetzten Packungen je Päckchen bzw. je Besuch unterscheidet sich erheblich zugunsten der Versender (vier vs. knapp zwei).

Vergessen wir nicht, dass der heutige "Wertscheck" in Rezeptform für einen Rohertrag von durchschnittlich 10 € bis 15 € steht – und damit jedes Päckchen der Rentabilität sehr nahe bringt, erst recht, wenn noch Zusatzkäufe obenauf kommen.

Es ist logisch, dass das E-Rezept der Game-Changer schlechthin wird. Allzu hoch sind jedoch die Preis- und Nachlass-Spielräume der Versender bei ihrer Gewinnlage nicht. Ein aggressiver Preiswettbewerb allein wird nicht fruchten, denn auch hier hat man die Qualitäts- und Convenience-Dimension längst erkannt. Für die Apotheken wird das Rezept zentral bleiben müssen, die Versender wollen da erst hin.

Was tun?

Letztlich muss die Rezepteinlösung vor Ort einfach noch attraktiver werden. Doch was heißt "attraktiv"?

Hierzu bietet sich ein Stärken-Schwächen-Profil Ihrer Apotheke gegenüber dem Versand an (Abbildung 1). Das können Sie selbst einschätzen. Befragen Sie aber auch Ihre Kunden, um nicht in die Selbst- bzw. Fremdwahrnehmungsfalle zu laufen! Vielleicht werden Sie staunen, worauf es gerade Ihren Top-Kunden ankommt – jenen 3% also, die meist schon mehr als die Hälfte des Umsatzes bringen!

Es bieten sich nun zwei Handlungsstränge an. Den ersten, emotionalen sollte jeder gehen können: Ihre Apotheke muss Spaß machen – Ihren Kunden, Ihren Mitarbeitern, Ihnen selbst! Positionieren Sie sich als Gute-Laune-Institution. Dann gibt es Lösungen, keine Probleme. Apotheken werden noch zu oft als komplizierte, amtsähnliche Institutionen wahrgenommen. Patienten fühlen sich heute nicht mehr als Kunden, sondern als von einer Gesundheitsbürokratie fremdverwaltete Bittsteller. Wie schön ist es da, wenigstens vom Internet umgarnt zu werden! Dieser Stimmungsaspekt ist so wichtig wie der objektive Leistungs- und Preisvergleich!

Damit sind wir beim harten Faktencheck und dem zweiten Strang: Betrachten Sie wieder das oben diskutierte Stärken-Schwächen-Profil. Bei welchen Punkten können Sie mit welchem Aufwand bei welchen Erfolgschancen aufholen? Es kommt darauf an, Ihre Ertragsbringer zu halten – und nicht jedem Lauf- oder Gelegenheitskunden bzw. Schnäppchenjäger nachzulaufen! Sie werden es nie jedem recht machen können! (Seien Sie deshalb übrigens online vorsichtig, weil dort wenige Unzufriedene mit schlechten Bewertungen viel Schaden anrichten können!)

Nach wie vor sollte Ihr Ziel sein, dass die Kunden regelmäßig zu Ihnen kommen – der Botendienst ist eine Ergänzung. Sie haben im Laden immer noch viel mehr Möglichkeiten, die Kunden zu beeinflussen! Und: Ein Botendienst kostet ganz grob so viel wie eine Paketsendung, womit Sie mit einem überbordenden Botendienstmodell schnell die Kostenprobleme des Versands bekommen – bei trotzdem fortbestehenden Ladenkosten. Der "Kassen-Zuschuss" von 2,50 € mindert das nur.

Ein Trick besteht darin, den gleichen oder gar einen höheren Absatz mit weniger Besuchen zu erzielen. Hierbei geht es nicht um die unerwünschte Förderung eines Arzneimittel-Mehrgebrauchs, sondern um die effizientere Versorgung. Im Zuge der Pandemie werden die Kunden das gerne aufgreifen. Gefragt sind somit ein "Systemverkauf" und ganze Lösungspakete statt singulärer Packungen. Zu jeder Top-Indikation lassen sich richtige "Sets" auf unterschiedlichem Anspruchslevel schnüren – bis hin zu ergänzenden Medizin- und typischen Drogerieprodukten, die Sie scharf kalkuliert obenauf anbieten: Gesundheitliches "One-stop-Shopping" praktisch umgesetzt!

Animieren Sie die Kunden weiterhin, Besuche zusammenzufassen und planbare Einkäufe zu bündeln. Bieten Sie eine Monatsbedarfs-Einkaufsliste samt Vorbestelloptionen mit der Möglichkeit an, die Bestellungen z.B. für den Monatsbesuch zu sammeln. Das Ziel: Weniger, aber ertragreichere Kundenbesuche, diese dann gerne herzlich und fröhlich. Zu guter Letzt sollten bei Ihnen dann niedrigere Verkaufskosten stehen, sprich: Weniger Personalstunden im Handverkauf. So, wie der Versand seinen Päckchenertrag optimiert, sollten Sie die Kundenbesuche optimieren!

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2021; 46(08):4-4