Up to date in Sachen Trends, Werte und Moden

Wie Sie Kundenbedürfnisse besser verstehen


Corinna Mühlhausen

Wer sich mit Trends, Werten und Moden beschäftigt, versteht, welche Bedürfnisse Menschen haben und wem sie das meiste Vertrauen entgegenbringen. Wir stellen Ihnen ein neues Modell für die Gesundheitsbranche vor, das somit auch spannende Erkenntnisse für Apotheken bereithält.

Die Ergebnisse der aktuellen Social-Media-Analyse "Werte Index 2020" der Marktforscher von Kantar bestätigen es erneut: Gesundheit bleibt – wie schon in der Vorgängeruntersuchung – der wichtigste Wert für die Menschen im deutschsprachigen Raum. Es folgen "Familie", "Freiheit", "Erfolg" und "Sicherheit" – alles Themen, die durch die Erfahrungen der letzten Monate weiter an Relevanz gewonnen haben.

Gesundheit mag somit gesamtgesellschaftlich der höchste Wert sein. Wie aber steht es um das individuelle Gesundheitsbewusstsein hierzulande? Um das klären zu können, haben Sozialforscher des Hamburger Beratungsunternehmens Fritz Classen zum einen ermittelt,

  • was die Menschen heute eigentlich genau unter Gesundheit verstehen,
  • wie wichtig ihnen Sport, Ernährung und Schlaf sind,
  • inwieweit sie sich selbst um ihre eigene gesundheitliche Vor- und Fürsorge kümmern wollen, und
  • inwieweit sie bereit sind, sich selbst zu "vermessen" – und ihre Daten sogar in Internet-Foren zu hinterlegen?

Zum anderen haben die Forscher untersucht, welche grundsätzlichen Wertevorstellungen, Wünsche und Konsumvorlieben die Menschen teilen – und wo es Unterschiede gibt.

Auf das Milieu kommt es an

Ergebnis ist ein Milieumodell namens "clåss", das die deutsche Gesellschaft nach dem persönlichen Gesundheitsstil ("Healthstyle") in 28 verschiedene Segmente ("Milieus") unterteilt. Das Modell bietet uns die Möglichkeit, die Patienten von heute und morgen besser verstehen und einordnen zu können. 15 dieser Segmente wurden als besonders relevant für die Gesundheitsbranche – und damit auch für die Apotheken – klassifiziert. Denn die Menschen, die zu diesen Milieus gehören, kümmern sich explizit und eigenverantwortlich um ihre Gesundheit und um ihr Wohlbefinden.

Drei dieser Milieus stellen wir Ihnen im Folgenden vor. Es handelt sich dabei um Patiententypen, die Ihnen in den Apotheken ein überdurchschnittlich hohes Vertrauen entgegenbringen. Um wen geht es genau?

Die Bohemien-Bourgeoisie

Zur Bohemien-Bourgeoisie gehören mehrheitlich Frauen zwischen 40 und 59 Jahren, die über ein mittleres Einkommen verfügen und gerne in kleineren Städten Deutschlands leben. Sie zeichnen sich durch ein liberales "Werte-Set" aus, sind leistungsbereit und stellen hohe Ansprüche an die Qualität von Produkten.

Ihr ausgeprägtes Gesundheitsbewusstsein ist von der Suche nach einer Balance zwischen Arbeit und Freizeit geprägt: Sie kümmern sich um das Thema Vorsorge, wollen aber auch Wohlgefühl, Ruhe und Zufriedenheit erleben. Diese Frauen (und Männer) haben eine hohe Affinität zu gesunden Kosmetika, lassen sich aber auch für Gesundheitsreisen und alternativmedizinische Angebote begeistern.

In allen gesundheitlichen Fragen bringen diese Menschen vor allem ihrem Hausarzt, aber auch Ihnen als Apothekern großes Vertrauen entgegen. Außerdem besprechen sie diese Dinge auch gerne in ihrem Familien- und Freundeskreis.

Tipp: Wenn Sie diese Zielgruppe langfristig begeistern möchten, sollten Sie über neue Formen der Vernetzung – online oder offline – nachdenken. Denn die Bohemien-Bourgeoisie ist hochkommunikativ und liebt den Austausch zu verschiedenen Themen mit unterschiedlichen Menschen.

Die technikaffinen Abenteurer

Ganz anders stellen sich die technikaffinen Abenteurer dar. Hierbei handelt es sich mehrheitlich um junge Männer, die ausgesprochen abenteuerlustig sind, oftmals in den großen Städten leben, aber die Nähe zur Natur suchen. Ihr Körper ist ihr Werkzeug – und damit die Voraussetzung für ihren energiegeladenen Alltag.

Wer zu diesem Segment gehört, lässt sich deswegen gut mit dem Schlagwort "Selbstoptimierer" beschreiben. Diese Menschen legen sehr viel Aufmerksamkeit auf ihr persönliches Wohlbefinden, sie vermessen und tracken sich – benötigen dabei aber auch Hilfe von Menschen, die die Ergebnisse für sie einordnen können.

Tipp: Wenn Sie den technikaffinen Abenteurer als Kunden gut bedienen möchten, sollten Sie ihm einerseits digitalisierte Dienstleistungen anbieten, die sie andererseits aber mit persönlichen Beratungen verknüpfen. Bevor dieser Typus zum Arzt geht, versucht er erst einmal, seine gesundheitlichen Fragen und Probleme selbst zu lösen. Sie als gut informierte und aufgeschlossene Apotheker vor Ort können verlässliche Partner für ihn sein.

Das sozial-ökologische Bürgertum

Die Menschen aus dem sozial-ökologischen Bürgertum sind eher älter und verteilen sich relativ ausgewogen auf beide Geschlechter. Viele von ihnen verfügen über eine hohe schulisch-akademische Bildung, sie sind vielseitig interessiert, so u.a. an Politik, Kultur und Literatur – nicht aber über die Maßen an ihrer Gesundheit. Sie essen gerne gut und gehen eher wandern oder zur Gymnastik als dass sie joggen.

Diese Menschen besprechen ihre Fragen in gesundheitlichen Angelegenheiten am liebsten mit ihrem Partner. Ein überdurchschnittlich hohes Vertrauen bringen sie allerdings ihrer Vor-Ort-Apotheke entgegen. Wenn sie an Krankheiten denken, haben sie am meisten Angst vor Schmerzen. Und abgesehen von den vorgeschriebenen Vorsorgeterminen meiden sie die Begegnung mit Medizinern, solange es möglich ist.

Tipp: Den Kunden aus dem sozial-ökologischen Bürgertum wäre es am liebsten, wenn sie gesundheitliche Heil- und Hilfsmittel (von der Bandage über das Vitamin-D-Präparat bis hin zum Blutdruckmessgerät) so einfach und routiniert wie ihre Bio-Lebensmittel einkaufen könnten. Dieser Menschentypus freut sich deshalb besonders über die niedrigschwellige Beratung und die unkompliziert-freundliche Behandlung als Stammkunden in Ihrer Apotheke.

Passgenaue Lösungen anbieten

Auch wenn Sie Ihre eigenen Kunden natürlich nicht exakt nach den Erkenntnissen des "clåss"-Milieumodells einordnen müssen, hilft es doch, sich mit den Werten und Bedürfnissen der Menschen auseinanderzusetzen – und dabei auch auf Ihr eigenes "Werte-Set" zu schauen, also all jene Attribute, die Ihre Offizin einzigartig machen. Je stärker wir uns mit Werten und Trends beschäftigen, umso passgenauer können wir das eigene Angebot auf die Wünsche unserer Kunden abstimmen, und zwar

  • kommunikativ,
  • bei der Auswahl und Präsentation des nicht verschreibungspflichtigen Sortiments sowie
  • in Bezug auf die Bestellmöglichkeiten und zusätzlichen Services in der Apotheke.

Die Covid-19-Pandemie hat laut einer Studie von GSK dazu beigetragen, das Vertrauen vor allem der jüngeren Kunden (unter 30 Jahren) in die Apotheke vor Ort zu steigern. Während der Arztbesuch eher vermieden wurde, hat sich die Apotheke als wichtige Anlaufstelle in allen gesundheitlichen Fragen neu behaupten können. Wenn Sie diesen Vorsprung für die Zukunft weiter ausbauen wollen, kann es Ihnen helfen, über die Werte Ihrer Kunden nachzudenken.

Exkurs: Was sind eigentlich Trends, Werte und Moden?

Ein Trend ist eine langfristige gesellschaftliche Wertewandelentwicklung. Gemeinsame Werte sind also die Basis für Trends. Das Gegenteil von einem Trend ist eine Mode, nämlich eine kurzfristige Erscheinung, die auf Hypes und oberflächlichen Entwicklungen basiert.

Bei der Gesundheit handelt es sich um einen von zwölf Megatrends, die unsere Gesellschaft und damit die Menschen prägen. Diese Megatrends, zu denen u. a. auch die Konnektivität, die Individualisierung, die Globalisierung und die Neo-Ökologie gehören, wirken sich auf ökonomische, ökologische, soziale und technologische Entwicklungen aus – und können sich wiederum als Katalysatoren der Trends erweisen.

Doch Achtung: Zu jedem Trend gibt es einen Gegentrend, also eine Entwicklung, die als Reaktion auf den eigentlichen Trend wichtiger wird – und diesen zum Teil auch beeinflussen oder sogar ablösen kann. Man denke an Fast Food, das neuerdings durch sogenanntes Fast Good abgelöst wird, also Lebensmittel, die sich ebenso schnell wie bequem konsumieren lassen und dabei auch noch gesund sind.

Corinna Mühlhausen, Leiterin Trend- und Zukunftsforschung, Fritz Classen GbR, 22765 Hamburg, E-Mail: corinna.muehlhausen@fritzclassen.com

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2021; 46(08):10-10