"Das mache ich schon noch ... irgendwann" (Teil 1)

Wo die "Aufschieberitis" herkommt


Anna Schatz

Kennen Sie das auch: Dinge, die Sie sich fest vorgenommen haben, verschieben Sie auf morgen, übermorgen oder gerne mal auf danach? In Teil 1 dieser kleinen Serie erfahren Sie mehr über die Gründe der "Aufschieberitis" (Prokrastination), in Teil 2 stellen wir Ihnen Gegenmaßnahmen vor.

Jeder weiß: Das Leben besteht aus Rechten und Pflichten. Der Begriff "Pflicht" ist jedoch häufig negativ besetzt, weil er als Gegenteil von Spaß verstanden wird und damit zumindest kurzfristig betrachtet nicht erstrebenswert scheint – zumal es ja wesentlich attraktivere und vermeintlich ebenso wichtige Dinge zu tun gibt.

Doch so zu denken und zu handeln kann langfristig dazu führen, dass man auch weitere unangenehme Tätigkeiten zu vermeiden versucht und damit ein nicht unproblematisches Verhaltensmuster entwickelt: Die Prokrastination.

Die Gefahren im Blick

Solch eine "Aufschieberitis" kann auch für Führungskräfte gesundheitsgefährdend sein. So haben Wissenschaftler in einer groß angelegten Studie herausgefunden, dass das Stresslevel, die Neigung zu Depressionen und der Grad der Erschöpfung bei Personen, die regelmäßig prokrastinieren, erheblich ansteigen [1]. Wer die Dinge gerne aufschiebt, wird außerdem von den Menschen in seinem Umfeld häufig für faul oder entscheidungsmüde gehalten – was die eigene Psyche zusätzlich belastet. Alles in allem ist die Prokrastination eine ernstzunehmende Verhaltensveränderung, die sich oft aufs Privatleben überträgt.

Nicht alle sind gleich

Sie erkennen sich wieder? Doch halt: Aufschieber ist nicht gleich Aufschieber! Wissenschaftler unterscheiden vielmehr zwischen Erregungs- und Vermeidungsaufschiebern.

Die Erregungsaufschieber lieben den Nervenkitzel. Es ist ihnen schlichtweg zu langweilig, alle ihre Aufgaben nach einem bestimmten "Programm" abzuarbeiten. Sie erledigen sie lieber auf den letzten Drücker, um ihrem Leben eine gewisse Spannung zu verleihen. Häufig sind die Erregungsaufschieber impulsiv und handeln aus dem Bauch heraus. Im Arbeitsleben werden sie oft geschätzt, weil sie agil und flexibel sind.

Allerdings verkalkulieren sie sich oft in der Zeit: Sie beginnen zu spät mit ihren Aufgaben und geraten in Stress, wenn sie merken, dass sie nicht mehr alles rechtzeitig schaffen. Das kann sich negativ auf die seelische und körperliche Gesundheit auswirken. Etwa 15% der Prokrastinierer zählen zu dieser Gruppe.

Die mit 85% weitaus größere Gruppe stellen die Vermeidungsaufschieber dar. Anders als die Erregungsaufschieber prokrastinieren sie nicht, weil sie sich (unterbewusst) einen Nervenkitzel davon versprechen, Aufgaben in letzter Minute anzugehen. Die Vermeidungsaufschieber wollen es vielmehr – wie der Name schon suggeriert – vermeiden, bestimmte Aufgaben überhaupt anzugehen. Die wichtigsten Gründe dafür stellen wir Ihnen im Folgenden vor.

Eine Frage der Aufgabe

Oftmals wird aufgeschoben, was keinen Spaß macht. Hierbei gilt: Je unangenehmer die Aufgabe, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass sie aufgeschoben wird. Als unangenehm und lästig eingestuft werden im beruflichen Kontext z.B. Organisationstätigkeiten, wie die Urlaubs- bzw. Personalplanung oder auch das Lesen der Post. Und im privaten Bereich kann es auch mal der Gang ins Fitnessstudio sein.

Übrigens: Wer sich daran gewöhnt hat, unangenehme Tätigkeiten hinauszuzögern, beginnt oftmals auch, die angenehmen Dinge aufzuschieben, wie z.B. ein Mitarbeiteressen, auf das man sich lange gefreut hat.

Aufgaben sind natürlich immer damit verbunden, eigene Bedürfnisse zu befriedigen bzw. Ziele zu erreichen. Das Ziel kann auch eine Belohnung sein, die Sie sich selbst dafür in Aussicht stellen, dass Sie eine bestimmte Aufgabe erledigen. Je weiter das Ziel allerdings in der Zukunft liegt, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, die Aufgabe überhaupt erst zu beginnen.

Ein Beispiel: In diesen Coronazeiten werden Sie eine unliebsame Aufgabe wesentlich eher angehen, wenn Sie sich dafür täglich mit einer halben Stunde schöner Musik in der Mittagspause selbst belohnen als mit einer Fernreise, die wohl noch nicht so bald wieder möglich sein wird.

Dabei spielt auch der Wert eine Rolle, den Sie selbst der Belohnung beimessen: Je wichtiger es Ihnen ist, diese spezifische Belohnung auch tatsächlich zu bekommen, desto weniger werden Sie prokrastinieren [2].

Des Weiteren kann es sein, dass man sich mit einer Aufgabe überfordert fühlt, weil sie zu komplex ist und/oder man nicht über das nötige Fachwissen verfügt.

Hierzu auch ein Beispiel: In manchen Apotheken wurden die Leistungsgrenzen zu Beginn der Coronakrise erreicht, als es darum ging, eine neue digitale Bestellmöglichkeit zu organisieren. Wer da nicht auf externe Unterstützung zurückgreifen wollte, hat die Problemlösung oft erst einmal aufgeschoben.

Aber Prokrastination ist nicht nur eine Sache der Überforderung: Auch wer sich unterfordert fühlt, beginnt häufig zu prokrastinieren.

Ein weiteres Beispiel: Die teils sehr monotone Maskenabgabe entspricht vermutlich nicht unbedingt dem, was Sie (und Ihre Mitarbeiter) sich von einem erfüllenden Job versprechen. Aufgrund von personellen Engpässen haben dennoch viele von Ihnen selbst in Containern und Co. gestanden, um die Masken zu verteilen. Die dadurch bedingte Unterforderung hat dann möglicherweise Ihre allgemeine Motivation sinken lassen – und in der Folge haben Sie auch andere, spannendere Aufgaben vor sich hergeschoben.

Angst-Aufschieberitis

Ein wesentlicher Faktor, der zur Prokrastination führen kann, ist Angst. Da ist zunächst die Angst, Schwäche zu zeigen oder zu versagen. Sie ist der Grund dafür, dass Betroffene alles hinausschieben, was zu einem Misserfolg führen könnte. Sie verlieren sich deswegen oft in endlosen Vorarbeiten, ohne sich um den Kern der Sache zu kümmern.

Dabei haben sie nicht nur Angst vor ihrer eigenen Kritik, sondern selbstverständlich auch davor, von anderen als Versager wahrgenommen zu werden. Weil sie oftmals extreme Perfektionisten sind, gehen sie davon aus, dass ihre Mitmenschen sie ebenso hart beurteilen wie sie sich selbst – was Forschungen zufolge üblicherweise aber gar nicht der Fall ist.

Auch die Angst vor Erfolg spielt bei vielen Aufschiebern eine Rolle. Denn der Erfolg könnte immer mehr Arbeit und immer weniger Freizeit wie auch soziale Kontakte bedeuten. Zusätzlich würde möglicherweise die Beliebtheit im eigenen Unternehmen sinken – was sich gerade bei harmoniebedürftigen Menschen als durchaus problematisch erweist.

Dann gibt es schließlich noch die Angst vor dem Alleinsein, die – obwohl selten thematisiert – allgegenwärtig und erfahrungsgemäß der häufigste Prokrastinationsgrund ist. Dahinter steckt allerdings eine weitere Angst, nämlich diejenige, sich mit dem auseinandersetzen zu müssen, worum man im Alltag einen großen Bogen macht, sei es

  • die eigene Gesundheit,
  • das Älter-Werden,
  • Probleme mit der Apotheke,
  • die Zukunft allgemein und
  • noch vieles mehr.

Menschen, die Angst vor dem Alleinsein haben, wissen unterbewusst, dass sie sich von all diesen Dingen nicht mehr ablenken können, sobald sie alleine sind – und tun dementsprechend alles dagegen. So gehen sie beispielsweise nicht mehr alleine ins Büro oder schließen zumindest ihre Türe nicht, weil sie fürchten, dass ihre Gedanken ansonsten vielleicht zu kreisen beginnen. In der Folge können sie auch nicht mehr konzentriert arbeiten [2] – und schieben immer mehr Aufgaben auf, die sich unkonzentriert nicht bewältigen lassen.

Hinzu kommt: Das ständige Verdrängen von Gedanken und Gefühlen frisst viel Energie. Genau diese Energie wäre aber nötig, um die Aufgaben zu bewältigen, die man sich vorgenommen hat – was die Prokrastination zusätzlich triggert.

Literatur

[1] Beutel, M. E., et al.: Procrastination, Distress and Life Satisfaction across the Age Range – A German Representative Community Study, PLoS ONE 2016, 11 (2): e0148054
[2] Rückert, H.-W.: Schluss mit dem ewigen Aufschieben, Campus-Verlag: Frankfurt/Main 2014

Anna Schatz, Geschäftsführende Gesellschafterin, HealthcareComm GmbH 47802 Krefeld, E-Mail: kontakt@healthcarecomm.eu

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2021; 46(08):12-12