Inflation

Die Rückkehr eines finanziellen Gespenstes?


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Lange hat man nichts mehr gehört von dem einst furchterregenden Inflationsgespenst. Inzwischen meldet es sich, noch ganz leise, zurück. Freilich sitzt die Angst vor inflationären Tendenzen tief in einem Land, das bereits eine "Hyperinflation" und Währungsreformen erlebt hat – auch wenn das lange zurückliegt.

Tatsächlich trifft eine höhere Geldentwertung Berufe wie unseren besonders hart, da große Teile der Erträge fremdbestimmt auf Honorarordnungen beruhen, die nur hin und wieder grundlegend angepasst werden. Das ist übrigens bei den vielen "freien Berufen" nicht anders, ob bei Architekten, Rechtsanwälten oder Steuerberatern. Die Gebührenordnungen werden nur in längeren Abständen angepasst, dann allerdings in oft größeren Sprüngen. Bei den Ärzten gilt dies ebenso im "Privatbereich": Über eine Novelle der seit 1996 gültigen "Gebührenordnung für Ärzte" (GOÄ) stimmt man sich immer noch ab, bei den Zahnärzten dagegen ist die Novelle seit einigen Jahren bereits durch. Doch die überwiegenden Ärztehonorare kommen von den gesetzlichen Krankenkassen und sind im "Einheitlichen Bewertungs-Maßstab" (EBM) abgebildet. Sie werden tatsächlich laufend angepasst.

Die Apotheken bekommen hingegen häppchenweise hier und da mal ein wenig obenauf. Am Ende wären sie also typische Inflationsverlierer. Die Kosten – gerade Löhne und diverse Sach- und Dienstleisterkosten – lernen rasch das inflationsbedingte Laufen oder gar Sprinten, während die Roherträge zurückbleiben. Die prozentuale Komponente am Kombimodell und die freie Preisgestaltung im Barverkauf fangen das nicht auf. Selbst Marktanteilsgewinne kaschieren die kommende Schieflage nur für eine gewisse Zeit, weil letztlich die realen Deckungsbeiträge je Stück bzw. je Kunde erodieren. 1% oder auch 2% Inflation lassen sich so zwar auffangen, 4% oder 5% aber keinesfalls mehr. Dann drohen wirklich schmerzhafte Realeinkommensverluste.

Allerdings entwerten sich Schulden ebenfalls, eine attraktive Vorstellung für die zahlreichen "Schuldenmajore" der Welt – ganz vorne die Staaten, aber auch so mancher Großkonzern. Wer dann noch eine Preissetzungsmacht hat – hier sind wieder starke Player bevorteilt – kann dem Ganzen entspannter entgegensehen. Ruhiger schlafen können zudem all diejenigen, deren Vermögen in stabilen Sachwerten wie Immobilien, ein wenig Gold oder in "inflationsresistenten" Firmenbeteiligungen steckt.

Doch wie wahrscheinlich ist die Rückkehr der Inflation und in welchem Maße? Nun, wer das wüsste, wäre bereits Millionär, gäbe es doch hochrentable Möglichkeiten, darauf am Finanzmarkt zu "wetten".

Bislang hatten wir in den Corona-Monaten 2020 eher deflationäre Tendenzen – nach Jahren mit Inflationsraten zwischen 1% und 2%. Erst jüngst steigen die Verbraucherpreise wieder etwas stärker, so um immer noch überschaubare 1,7% im März. Einige Gründe sprechen dafür, dass sich das fortsetzen könnte: Der (Corona-)Aufwand im Handel lässt sich im Grunde nur über steigende Konsumentenpreise schultern. Zudem gibt es erhebliche Nach- bzw. Aufholeffekte nach den wirtschaftlichen "Dürremonaten", die dann zum Teil auf ein krisenbedingt reduziertes Angebot und gestörte Wertschöpfungsketten treffen.

Allerdings dämpft ein scharfer Wettbewerb im Einzelhandel manche Preisillusion – sofern überhaupt noch viel Wettbewerb herrscht. Etliche Anbieter werden nämlich die Segel streichen. International steigt zudem der Druck auf die Löhne infolge einer höheren Arbeitslosigkeit. Dagegen sprechen weiter anziehende Auflagen aller Art und eine ihre Schatten vorauswerfende teure und bürokratielastige Klimapolitik wiederum für höhere Preise.

Gerne gingen die Preis- und die Zinsentwicklung früher Hand in Hand. Steigende Zinsen sind jedoch tödliches Gift für die rekordhoch verschuldeten Staaten und – nebenbei – für viele "systemrelevante" Konzerne. Somit könnten wir nach wie vor immer noch historisch niedrige Zinsen sehen – und trotzdem anziehende Preise. Unterm Strich blieben deutlich negativere Realzinsen als heute schon. Zinsanlagen wären nochmals stärker entwertet, Sachwertanlagen bevorteilt. Unter Abwägung aller Pro- und Kontra-Argumente ist der Inflations-Geist zwar noch mitnichten aus der Flasche. Aber er liegt auf der Lauer – wie schon so oft.

Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2021; 46(09):19-19