Eine Einschätzung von entscheidenden Akteuren

Vor welchen Herausforderungen die stationären Apotheken stehen


Tobias Brodtkorb

Wie in jedem Jahr hat Sempora Consulting auch 2021 den Apothekenmarkt untersucht. Dafür wurden im Februar und März die Meinungen und Einschätzungen von 51 Entscheidern aus Pharmaunternehmen, von 87 Apothekern und von 1.351 Konsumenten eingeholt.

Auch das Jahr 2021 ist wieder von Veränderungen und Dynamiken im deutschen Apothekenmarkt geprägt:

  • Die weiter anhaltende Covid-19-Pandemie,
  • eine zunehmende Marktmachtverschiebung in Richtung Versandhandel sowie
  • die Notwendigkeit, den digitalen Wandel mitzugehen,

stellen die Offizinen vor neue Chancen und Herausforderungen. Bei allen äußeren Einflussfaktoren dürfen Sie jedoch nicht aus den Augen verlieren, dass Ihr Fokus auf den Bedürfnissen Ihrer Kunden liegen sollte. Wie also kann sich die stationäre Apotheke auf die Zukunft ausrichten?

Attraktiver mit dem E-Rezept

Infolge der Corona-Lockdown-Maßnahmen und der damit verbundenen Einschränkungen konnte der Apothekenversandhandel seine Umsätze im Vorjahresvergleich deutlich erhöhen:

  • 94% der von uns befragten Hersteller und
  • 83% der Apotheker

sind davon überzeugt, dass der Versandhandel auch in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen und damit die stationären Apotheken verschärft bedrohen wird. Der Versandhandel gewinnt zurzeit Kunden, die ihre Arzneimittel vorher nur über Vor-Ort-Apotheken bezogen haben. Viele dieser Kunden werden ihren Medikamentenbedarf wohl aber auch zukünftig – zumindest in Teilen – im Versandhandel decken.

Zusätzlich ist und bleibt Amazon eine Bedrohung. Denn

  • 40% der befragten Kunden würden rezeptfreie Medikamente und
  • 20% rezeptpflichtige Medikamente über den Online-Riesen bestellen.

Das E-Rezept steht vor der Türe, und es krempelt nicht nur vieles im Apothekenmarkt um, sondern hat auch einen Einfluss auf die Attraktivität derjenigen, bei denen es sich einlösen lässt: So macht es

  • die stationäre Apotheke für 38% und
  • den Versandhandel für 42% der befragten Konsumenten attraktiver.

Danach gefragt, wo sie das E-Rezept einlösen würden, gaben

  • 46% der Verbraucher ausschließlich die stationäre Apotheke und
  • 26% ausschließlich den Versandhandel an.

Über Plattformen zu den Patienten

Wenn sich die stationäre Apotheke ihren Anteil an denjenigen E-Rezepten sichern will, die ansonsten über den Versandhandel eingelöst würden, bleibt ihr kaum etwas anderes übrig, als sich den gängigen Apothekenplattformen anzuschließen. Zu nennen sind etwa Ihre Apotheken (ia.de) sowie gesund.de. Außerdem führen Apothekenkooperationen und andere Dienstleister weitere Plattformen ein.

Das Problem: Jede Apotheke muss eigentlich bei allen wesentlichen Plattformen dabei sein, um für alle Kunden (also auch "Gelegenheitskunden") attraktiv zu bleiben: Schließlich wird kein Kunde die Apps aller Plattformen auf seinem Mobiltelefon installieren, um für den potenziellen Besuch einer jeden Apotheke "gerüstet" zu sein. Für die Apotheke bedeutet das jedoch – neben dem finanziellen Investment – einen hohen administrativen Aufwand, der leider ziemlich alternativlos sein dürfte.

Auch DocMorris – als das vielleicht sogar größte Feindbild der stationären Apotheken – bietet bekanntlich eine neue Plattform an, die durch die starke Marke bei den Patienten bzw. Verbrauchern gesetzt sein wird. Deshalb sollte man sich als Apotheke möglichst emotionslos mit dieser Plattform beschäftigen und die Problematik auch mit Kollegen – z.B. in Erfahrungsaustausch (ERFA)-Gruppen – diskutieren.

Übrigens: Nur 35% der befragten Apotheker meinen, dass die Apotheken derzeit gut aufgestellt sind, wenn es darum geht, das E-Rezept reibungslos "abzuwickeln" – wozu natürlich auch ein ausgeweitetes Botendienstangebot gehört. Sofern die reibungslose Abwicklung allerdings gelingt, sehen 86% darin einen Vorteil im lokalen Wettbewerbsumfeld. Hier sind also ebenfalls weitere Investitionen gefragt.

Mit dem Personal gegen den Versand punkten

Für die Kunden sind bei der stationären Apotheke vor allem die Fachkompetenz und die Freundlichkeit des Personals ausschlaggebend (Abbildung 1) – Investitionen in die Belegschaft erweisen sich somit als erfolgsentscheidend. Darüber hinaus lässt sich die Kundenbindung aber auch z.B. durch eine Spezialisierung und das Angebot besonderer Gesundheitsdienstleistungen erhöhen.

Der Preis: Manchmal zu heiß?

Sowohl Apotheker als auch Hersteller gehen von einem weiteren Apothekensterben aus (Abbildung 2). Da der Gesundheitsmarkt ein Wachstumsmarkt ist, steigen die Umsätze insgesamt trotzdem – und verteilen sich eben nur auf weniger Apotheken. Die performanten Apotheken werden also auch weiterhin erfolgreich im Markt aktiv sein können.

Übrigens sollten stationäre Apotheken nicht versuchen, preislich mit den Versendern mitzuhalten. Schwierig dürfte es ebenfalls sein, selbst massiv in den Versandhandel zu investieren. Denn die etablierte Konkurrenz aus dem Netz hat sich in den letzten Jahren in Sachen Vermarktung und Einkauf massive Wettbewerbsvorteile aufgebaut. Schlüssel zum Erfolg für die Vor-Ort-Apotheke sind vielmehr der Fokus auf das lokale Umfeld und die dazugehörigen modernen Dienstleistungen.

Tobias Brodtkorb, Managing Partner, Sempora Consulting, 61352 Bad Homburg vor der Höhe, E-Mail: t.brodtkorb@sempora.com

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2021; 46(09):10-10