Aut-idem für Privatpatienten

Kleine Änderung – große (Haftungs-)Wirkung


Dr. Dennis Effertz

Original oder Generikum? Eine Frage, die sich immer auch bei Privatpatienten stellt. Bei ihnen ist die Arzneimittelsubstitution allerdings erst seit Kurzem rechtlich zulässig. Doch was als willkommene "Option" gesehen wird, geht mit einer höheren (therapeutischen) Verantwortung einher.

Während sich im Mittelalter das sogenannte "Quid pro quo" (lat.: "Dies für das")-Verbot als Vorläufer des Substitutionsverbots in der Arzneimittelversorgung durchzusetzen begann und in der frühen Neuzeit regulatorisch geschärft wurde, veränderten vor allem die sozialrechtlichen Reformen der 2000er Jahre dieses Prinzip der "absoluten" Verordnungshoheit des Arztes.

Seither sind Apotheker etwas freier, wenn es um die Belieferung von Fertigarzneimittel-Rezepten an Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) geht. Die Rahmenbedingungen, unter denen die finale Präparateauswahl heute abläuft (Aut-idem-Regelung), sind bekanntlich vor allem durch die Abwägung von

  • wirtschaftlichen Notwendigkeiten (Auswahlkaskade gemäß Rahmenvertrag, Vorrang der Rabattverträge etc.) und
  • medizinisch-pharmazeutischer Vertretbarkeit (Aut-idem-Verbot, pharmazeutische Bedenken etc.)

gekennzeichnet. Zwar weitestgehend zur Kenntnis genommen, aber in ihrer haftungsrechtlichen Konsequenz kaum diskutiert hat man die letzte Änderung an §17 Abs. 5 Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO). Doch schauen wir uns zunächst noch einmal kurz die Grundlagen zur Substitution in der GKV an.

Kreuzchen setzen – oder nicht?

Bei Verschreibungen zulasten der GKV muss der Arzt für jeden Einzelfall zunächst prüfen, ob eine Substitution zweifelhaft bzw. nicht vertretbar scheint. Nach teils vertretener Meinung umfasst diese Prüfpflicht alle klinischen Aspekte und patientenindividuellen Faktoren, die medizinisch-therapeutische Bedenken begründen können.

Kommt der Arzt zum Schluss, dass solche Bedenken angebracht sind, muss er das Aut-idem-Feld auf dem Muster-16-Formular ankreuzen ("negative Erklärungsnotwendigkeit"). Wenn Sie dann trotzdem ein anderes als das konkret verschriebene Arzneimittel abgeben würden, wäre das strafbar und gegebenenfalls wettbewerbswidrig, da Ihnen keine entsprechende Verordnung vorläge.

Hat der Arzt nach der Prüfung hingegen keine Bedenken, bleibt das Aut-idem-Feld unangekreuzt – was nach bisherigem Verständnis eine (indirekte) Erklärung dafür darstellt, dass Sie in den bekannten Grenzen von der Verordnung abweichen dürfen: Schließlich erfüllen Sie damit trotzdem den Willen des Arztes. Insgesamt wird so

  • die enge "Bindung" des ausgewählten Arzneimittels an die ärztliche Verordnung nicht durchbrochen, und
  • sowohl die ärztliche Therapiefreiheit
  • als auch die alleinige therapeutische Verantwortung des Arztes bleiben ausreichend gewahrt.

Wie gesetzlich, so privat ...

Soweit zur Substitution bei GKV-Rezepten. Seit der "Verordnung zur Änderung der Apothekenbetriebsordnung und der Arzneimittelpreisverordnung" vom 9. Oktober 2019 dürfen Sie die Regeln der "generischen Substitution" nun aber auch grundsätzlich bei Privatpatienten anwenden – wenn der Arzt einen Austausch nicht untersagt hat und der Patient einverstanden ist.

Apothekennahen Medien zufolge geht diese Änderung von §17 Abs. 5 ApBetrO auf einen Antrag auf dem Deutschen Apotheker Tag (DAT) 2018 zurück. Denn der Berufsstand hatte sich wegen

  • versicherungsvertraglich begründeter Austauschwünsche von Patienten einerseits und
  • des Substitutionsverbots andererseits

bereits regelmäßig in einer rechtlichen Grauzone gesehen. In der amtlichen Begründung hingegen heißt es, dass die Ausgaben der privaten Krankenversicherung gemindert werden sollen.

Wie dem auch sei: Die Privatpatienten werden Sie wohl zukünftig verstärkt nach Austausch-Alternativen fragen – zumal sie eventuell Vereinbarungen mit ihrer Versicherung geschlossen haben, die eine "Inanspruchnahme" günstiger Arzneimittel privilegieren oder teilweise sogar vorschreiben.

... aber doch nicht so ganz

Anders als GKV-Rezepte unterliegen Privatverordnungen keinem Formzwang, der über die Arzneimittelverschreibungsverordnung hinausgeht. Deswegen weisen sie auch grundsätzlich keine Aut-idem-Felder auf. Wenn der Arzt also einen Austausch verbieten möchte, müsste er das anderweitig erklären.

Zu beachten ist auch, dass sich die ApBetrO an Apotheker richtet, nicht aber an Ärzte. Es lässt sich also nicht voraussetzen, dass Ärzte §17 Abs. 5 ApBetrO kennen – anders als §73 Abs. 5 Satz 2 Sozialgesetzbuch (SGB) V, der die "negative Erklärungsnotwendigkeit" für die vertragsärztliche Versorgung festlegt. Aber selbst über diesen SGB-V-Paragrafen müssen natürlich nur "Kassenärzte" informiert sein. Privatverordner hingegen unterliegen keiner derartigen (Selbst-)Informationspflicht – auch weil sie mit ihren Verordnungen nicht über Gelder der GKV-Solidargemeinschaft bestimmen.

Eventuell ließe sich diese Informationspflicht zwar noch aus der Fortbildungspflicht gemäß §4 Abs. 1 Musterberufsordnung für Ärzte (MBO-Ä) ableiten, da die ärztliche Berufsausübung an dieser Stelle tatsächlich durch die ApBetrO tangiert wird – und die Ärzte sich dementsprechend darüber informieren müssten. An der Versorgungsrealität dürfte das jedoch vorbeigehen – und zudem auf Widerstand stoßen. Denn rein praktisch müssten die Ärzte dann nicht nur bei Kassen-, sondern auch bei Privatpatienten umfänglich alle individuellen Gesundheitsaspekte identifizieren, die einer Substitution im Wege stehen, bekämen für diesen Mehraufwand allerdings nicht mehr Geld.

Mehr riskieren (müssen), stärker haften?

Daher scheint es überaus fraglich, dass die bisherige Interpretation der alleinigen (Arzneimittel-)Therapieverantwortung des Arztes nach der Änderung des §17 Abs. 5 ApBetrO noch Bestand hat. Weil Sie bei Privatpatienten – anders als bei Kassenpatienten – nicht davon ausgehen können, dass der Arzt alle relevanten Aut-idem-Faktoren vorab geprüft hat, steigen naturgemäß die Risiken, die Sie eingehen, wenn Sie generisch substituieren. Haftungsrechtlich dürfte deswegen nun ein höherer Sorgfaltsmaßstab bei Ihnen angelegt werden, wenn es darum geht, diese Risiken auszuschließen.

Teilweise wird in Sachen Substitution schon bei Kassenpatienten eine ausführliche "Anamnesepflicht" für Apotheker gefordert. Aufgrund der größeren Unsicherheit dürfte eine sorgfältige Überprüfung inzwischen aber bei Privatpatienten umso nötiger sein. Dem sollten Sie gerecht werden, indem Sie Ihre Informations- und Beratungspflichten gemäß §20 ApBetrO sehr ernst nehmen (vgl. Service) – und im Zweifel immer Rücksprache mit dem Arzt halten oder die Substitution ablehnen.

Rein faktisch treffen Sie zudem Therapieentscheidungen, die der Arzt nicht (in der Gänze) antizipieren kann. Damit haben Privatpatienten womöglich einen höheren Informationsbedarf zum Substitutionspräparat. Auch hier sollten Sie nachhaken.

Theorie – oder Praxis?

Einmal mehr zeigt sich, welche weitreichenden Konsequenzen ein "Federstrich" des Gesetzgebers haben kann – hier insbesondere in der Haftungszuteilung. Solange kein Schaden eintritt, sind dies alles zwar erst einmal "nur" theoretische Überlegungen. Wie die zukünftige Rechtsprechung das Ganze sieht, wissen wir jedoch noch nicht. Allerdings hat eine selbstbewusste, sorgfältige und risikobewusste Berufsausübung noch nie geschadet – insbesondere dann nicht, wenn sich damit noch nicht absehbare Haftungsrisiken minimieren lassen.

Service

Allen, die ihren Informations- und Beratungspflichten genügen wollen, empfiehlt sich immer mal wieder ein Blick in

Dr. Dennis A. Effertz, LL.M., Apotheker und Jurist (Medizinrecht), Experte für Apotheken- und Sozialrecht, 79110 Freiburg/Breisgau, E-Mail: kontakt@dr-effertz.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2021; 46(10):14-14