GKV-Markt 2020 – die Details

Wer verordnet was?


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Im letzten AWA haben wir den Verordnungsmarkt zulasten der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) allgemein analysiert. Heute betrachten wir die Details: Welche Präparate und Wirkstoffe werden zu welchen Kosten von den Ärzten verschrieben?

Was verbirgt sich hinter den fast 50 Mrd. € Bruttoumsatz, die die Apotheken 2020 über die GKV abgerechnet haben (vgl. AWA 9/2021)? Die meisten von uns dürften die vielen neuen Wirkstoffnamen kaum fehlerfrei über die Lippen bringen, dabei stehen sie für jeweils hunderte Mio. € Umsatz. Unsere "Rennerliste" zeigt die teuersten Indikationsgruppen und die nach Umsatz führenden Präparate (Tabelle 1).

Immunsuppressiva, heute meist biotechnologisch gewonnene Arzneistoffe, stehen umsatzmäßig mit 6.444 Mio. € ganz oben auf der therapeutischen Klassifikationsliste, die hier nach den anatomisch-therapeutisch-chemischen (ATC)-Codes zur zweiten Ebene hin aufgegliedert wird. Beispiel: L04 steht für die erwähnten Immunsuppressiva mit prominenten Wirkstoffen wie Adalimumab, Etanercept oder Infliximab. Die weiteren therapeutischen Gruppen folgen dann mit einem weniger als halb so großen Umsatz, so z.B. Antidiabetika oder Antithrombotika. Letztere führen mit Eliquis® und Xarelto® die Umsätze der Einzelpräparate an.

Teure Tagesdosen

Die teuersten Tagesdosen finden sich erwartungsgemäß bei den Spezialpräparaten, wobei jene der ATC-Gruppe A16 ("andere Mittel für das alimentäre System und den Stoffwechsel") mit über 400 € herausragen (absolut machen sie immerhin noch gut 670 Mio. € Verordnungsumsatz aus). Der größte Teil in dieser Gruppe entfällt auf Enzymersatzpräparate für seltene Krankheiten wie Morbus Gaucher oder Morbus Fabry. Teuer sind auch Immunsera sowie Antihämorrhagika mit jeweils rund 115 € Tagesdosiskosten. Bei Letzteren schlagen insbesondere die kostspieligen Blutgerinnungsfaktoren zu Buche.

Am billigsten schneiden dagegen Protonenpumpenhemmer, Therapeutika des Renin-Angiotensin-Systems (typischerweise Sartane und ACE-Hemmer), Schilddrüsenpräparate, Lipidsenker und Diuretika ab. Die Tagestherapiekosten bewegen sich hier zwischen gerade einmal 17 und 27 Cent. Das illustriert die Spaltung der Pharmawelt – hier die Billigstpräparate auf Massenprodukt-Niveau, dort die pharmazeutische "Upper Class" mit teils Fantasiepreisen.

Krönung der Verordnungskönige

42% der Fertigarzneimittel-Verordnungen sind nach Umsatz dem hausärztlichen Versorgungsbereich zuzuordnen (Abbildung 1).

Während sich das Verordnungsgeschehen dort überschaubar entwickelt, weisen die Fachärzte teils erstaunliche Verordnungskarrieren auf. Hervorzuheben sind die Augenärzte (vor allem durch teure Antikörperbehandlungen der altersbedingten Makuladegeneration) und die Hautärzte mit zwischenzeitlich deutlich über 300.000 € Fertigarzneimittelumsatz bei beachtlichen Tagestherapiekosten von gut 3,00 €. Bei den Onkologen imponiert neben den traditionell extremen Rezepturumsätzen (an die 4 Mio. € brutto je Arzt) der inzwischen sehr hohe Fertigarzneimittelumsatz von 2,7 Mio. € je einzelnem Behandler.

Bezogen auf die Tagestherapiekosten ist der hausärztliche Versorgungsbereich heute der "Billigheimer" mit 0,51 €, während der fachärztliche Bereich für im Schnitt 2,49 € Tagestherapiekosten steht.

Hier nun auch die "Rennerliste" der Fertigarzneimittel-Verordnungskönige unter den Ärztegruppen, jeweils zu Bruttowerten mit Mehrwertsteuer und vor Rabatten:

  • Onkologen: 2.672.000 €
  • sonstige Internisten ohne Zuordnung: 1.163.000 €
  • Pneumologen: 884.000 €
  • Neurologen: 851.000 €
  • Gastroenterologen: 819.000 €
  • Nervenärzte: 644.000 €
  • Nephrologen: 481.000 €
  • Urologen: 434.000 €
  • hausärztliche Internisten: 394.000 €
  • Hautärzte: 358.000 €
  • Hausärzte: 300.000 €
  • Augenärzte: 219.000 €
  • Psychiater: 215.000 €
  • Kardiologen: 178.000 €
  • Kinderärzte: 152.000 €
  • HNO-Ärzte: 133.000 €

Kinder- und Jugendpsychiater fallen mit 87.000 € wie die Frauenärzte und Orthopäden (82.000 € bzw. 70.000 €) deutlich zurück. Nochmals dahinter rangieren Chirurgen und Zahnärzte. Diese Liste ist um Niedrigverordner bereinigt (weniger als 50 Verordnungen im Monat), sodass die Werte teils höher ausfallen als in anderen Auswertungen.

In erster Näherung ergibt sich der apothekenrelevante Nettoumsatz ohne Mehrwertsteuer und nach Apothekenabschlägen, indem man den Bruttowert durch 1,2 dividiert. Die Ungenauigkeit liegt in der relativen Bedeutung des fixen Apothekenabschlags von 1,77 € je Rx-Packung, womit es auf die Verordnungswerte ankommt. Der Fehler ist jedoch recht gering im Bereich weniger Prozent.

Demografische Aspekte

Die GKV-Versicherten lassen sich in 39,6 Mio. Mitglieder (Anteil: 54,6%), 15,4 Mio. Familienmitversicherte (21,2%) und 17,5 Mio. Rentner (24,2%) kategorisieren. Der jeweilige Anteil an den Kosten der Arzneiversorgung beträgt jedoch 38,0% bzw. 7,4% bzw. 52,5% (2,1% waren nicht zuzuordnen). Hierin spiegelt sich das demografische Kostenprofil wider.

Mit 156 € brutto pro Kopf sind die unter 15-Jährigen die günstigste Altersklasse, während für die 85- bis unter 90-Jährigen mit 1.638 € die höchsten Kosten anfallen. Die Altersklasse darunter (80 bis unter 85 Jahre) liegt fast identisch. Erstaunlich: Höchstbetagte über 90 Jahre sind wieder signifikant billiger (1.384 €). Die 1.000-€-Grenze wird Anfang 60 gesprengt, die 500-€-Grenze schon Ende 40.

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2021; 46(10):4-4