Künftige Strategien

Zeit statt Geld?


Prof. Dr. Reinhard Herzog

"Mehr Geld" – wer würde dem nicht erst einmal zustimmen? Höhere Honorare und neue Vergütungen hier, Zuschläge dort: Das dominiert bislang fast alle Verhandlungswünsche – auch und gerade in unserer Branche. Die Fantasie kennt da kaum Grenzen.

Der Ruf nach höheren Einnahmen begründet sich freilich darin, dass auf der Kostenseite ebenfalls stets diese Platte spielt. Und das muss ein Unternehmen erst mal auffangen können. Ob Angestellte oder die zahlreichen Dienstleister und Lieferanten: Alle wollen mehr, mehr, mehr! Zumindest auf dem Giro-, eher weniger auf dem Arbeitszeit-Konto.

Erstaunlicherweise passt das so gar nicht zu den kolportierten Einstellungen der nachwachsenden Mitarbeiter-Generationen, die sich ja fast als idealistische Bettelmönche darstellen, getragen von Luft, Liebe, nachhaltig-ökologischem Gewissen sowie viel Berufs- und Lebenssinn. Work-Life-Balance statt schnödem Mammon!? Nun, all dieser Idealismus zerbricht schnell an der Lebensrealität, wenn die größere Wohnung erst einmal gefunden, bezahlt und eingerichtet sein will, die Familie wächst und man merkt, dass "Grün" im praktischen Leben eine ziemlich teure Farbe sein kann. Erwarten Sie also besser nicht zu viel Bescheidenheit von Ihren (jungen) Mitarbeitenden. Möglicherweise verschieben sich nur die Kosten – statt mehr Gehalt dann künftig eben die Ladesäule auf Firmenkosten. Erwähnt sei zudem die Inflation als weiterer Spielverderber auf dem Weg zur monetären Wachstumsabstinenz, wie unlängst an dieser Stelle schon ausgeführt.

So weit, so schlecht. Und dennoch lohnt es, sich ernsthaft mit der Frage "Zeit statt Geld?" auseinanderzusetzen, erst recht in einem Beruf, dessen Alltag von immer groteskeren bürokratischen Zeitfressern ohne Nutzwert bestimmt wird.

Reden wir aber nicht über die berühmten "Peanuts", sondern über die existenziellen Fakten. So bringen die Rx-Präparate mit ihrem Kombimodell-Honorar fast zwei Drittel des gesamten Rohertrags einer Durchschnittsapotheke ein, nämlich rund 400.000 € einschließlich erhaltener Rabatte. Die neuen pharmazeutischen Dienstleistungen schaffen es in ihrer ersten Tranche gerade mal auf 8.000 € je Apotheke. Jeder Euro mehr (oder künftig auch mal wieder weniger?) Rx-Packungshonorar schlägt in der Durchschnittsapotheke mit 40.000 € jährlich ein. Bei den Kostenträgern summiert sich das zu über 850 Mio. € inklusive der dort zu entrichtenden Mehrwertsteuer. Hier werden also die Schlachten geschlagen. Das bisherige standespolitisch-risikoarme Angeln am seichten Teichesrand hat uns zwar den einen oder anderen kleinen Fisch wie besagte Dienstleistungen, eine leichte Aufbesserung der Rezepturvergütung oder die Notdienstvergütung eingebracht – immerhin. Geht es jedoch tatsächlich an das finanzielle Aufräumen der Corona-Folgen, wird man an zentralen Elementen ansetzen – und nicht in der Peripherie. Da sollten wir gewappnet sein!

Wenn es ernst wird, muss es zumindest gelingen, ein Junktim zu entsprechenden Zeitäquivalenten herzustellen, sprich: Zeitliche Entlastung, Entbürokratisierung und "Entrümpelung" gegen Steigerungsverzicht oder gar eine Kürzung. Das kann man präzise in Stundenansätzen quantifizieren. Klug angegangen, lassen sich auf diese Weise sogar indirekte Aufbesserungen erzielen, wenn nämlich die zeitliche Entlastung größer ist als die direkte finanzielle Einbuße. So profitieren die Kostenträger und die Apotheken als Unternehmen. Zudem könnte der heute viel zu oft höchst unbefriedigende Arbeitsalltag kräftig entschlackt, freudvoller und am Ende für alle werthaltiger gestaltet werden, da er dann wieder an den eigentlichen Aufgaben des Berufs ausgerichtet wäre. Angesichts zu erwartender steigender Abgaben und Steuern ergibt es zudem für Unternehmer perspektivisch viel mehr Sinn, Lebensqualität, Zeit und einen angenehmeren Betriebsablauf anzustreben als eine Steigerung des Bruttoeinkommens, von der netto unterm Strich dann immer weniger bleibt.

Haben wir so das betriebswirtschaftliche Perpetuum mobile erfunden, und gibt es gar keine Verlierer? Doch: So manche Arbeitsstelle dürfte zur Disposition stehen – in einem bislang angespannten Arbeitnehmermarkt unternehmerisch betrachtet nicht unbedingt ein Nachteil. Und so manche Bürokratie- und Komplexitäts-Profiteure auf diversen Ebenen müssten sich auch neu umschauen.

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2021; 46(10):19-19