Es grünt so schön

Mein (Klima-)Freund, der Baum


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Ungeachtet der noch lange nicht überwundenen Pandemie(-folgen) gewinnt das Thema Klimaschutz enorm an Fahrt, nicht zuletzt durch die jüngste Rechtsprechung unseres höchsten Gerichts. Ist mehr "Grün" nicht nur die politische, sondern auch die biologische Zukunft?

Die "Klimaneutralität" durch die Dekarbonisierung des Gesellschaftslebens ist politisch gesetzt, ungeachtet der Tatsache, dass die wissenschaftliche Faktenlage nicht so holzschnittartig und einfach ist, wie in manchem Katastrophenszenario unterstellt. Wer etwas auf sich hält, ertüchtigt sein Geschäftsmodell durch kräftige "Ergrünung". Ob die dann eher äußerlich vonstattengeht (Stichwort: "Greenwashing") oder durch eine wirkliche Neustrukturierung, wird beim Blick auf das Aufwands-Nutzen-Verhältnis zur Gretchenfrage. "Grün" ist längst ein veritables Geschäftsmodell, bei dem es auch schlicht um Umsätze und Gewinne geht – und bei dem die Ressourcenschonung bisweilen eher ein netter Nebeneffekt ist. Will heißen: Hauptsache, der Euro rollt und der Arbeitsmarkt floriert. Kaufmännische oder naturwissenschaftliche Effizienzbetrachtungen dürfen da gerne hinten anstehen, solange noch reichlich Geld auf den Konten gehortet wird. Andernfalls wird es eben gedruckt.

Als Unternehmer sollten Sie genauer kalkulieren. Eine sechsstellige Investition, die sich erst in 20 oder 30 Jahren amortisiert und bis dahin keinerlei Kapitalverzinsung abgeworfen hat, ist ein betriebswirtschaftliches No-Go. Man wird Sie jedoch mit vielen solchen Modellen ködern, gerne über allerlei Zuschüsse oder steuerliche Anreize. Solche "Honigfallen" sind aber klebrig, und man bleibt darin gefangen. Es spricht indes nichts dagegen, mit technischer wie wirtschaftlicher Vernunft naheliegende Effizienz- und Umweltentlastungspotenziale zu heben. Doch irgendwann müssen Sie wirklich durch und durch "grün" werden. Warum nehmen Sie diese Farbe dann nicht gleich beim Wort?

Klimarettung durch Bäume?

Am einfachsten ist es, sich durch Kompensationsgeschäfte quasi freizukaufen. Viele Firmen machen das, und so wird ein Flug, eine Bahnfahrt oder die gedruckte Zeitung als "klimaneutral" deklariert. Das beworbene "Corpus delicti" ist dies freilich nur in den seltensten Fällen. Vielmehr werden die hier entstehenden Treibhausgase durch "CO2-Senken" andernorts idealerweise vollständig kompensiert. Das können Projekte für regenerative Energien sein, Bäume oder sonstige Begrünungsprojekte, künftig vielleicht diverse CO2-Speicher- oder Verpressungstechnologien.

Naheliegend bieten sich Bäume an: Radiosender sammeln publikumswirksam Spendengelder für Aufforstungen. Nutzbaumplantagen bzw. Waldbeteiligungen richten sich sogar an private Kapitalanleger. Professionelle Anleger (u.a. Beteiligungsgesellschaften), einige Elite-Universitäten in den USA oder historisch vermögende Familien investieren schon seit jeher in Wald- wie auch Agrarprojekte. Doch was taugt das im Hinblick auf die Klimaproblematik? Erinnern wir uns dazu an einige biologisch-physiologische Fakten (Abbildung 1).

Ein wenig Biologie

Um die drei Billionen Bäume gibt es wohl weltweit. Große Laubbäume können ohne Weiteres 1.000 bis 2.000 Quadratmeter Blattfläche aufweisen und im Hellen ein bis zwei Kilogramm Sauerstoff pro Stunde produzieren. Nadelbäume leisten hier etwas weniger (Nadelfläche!). Die Sauerstoffgewinnung geschieht aus aufgenommenem Wasser mittels Licht quasi durch die enzymatische Umkehrung der "Knallgasreaktion" (="Hellreaktion" der Fotosynthese).

In der "Dunkelreaktion" wird aus dem CO2 der Luft auch hier lebensnotwendiger Zucker aufgebaut, und zwar unter Einsatz der während der "Hellreaktion" gewonnenen "Energieäquivalente" (=Adenosintriphosphat, ATP). Der Zucker wird jedoch größtenteils wieder energetisch verstoffwechselt (über die Stationen Glykolyse, Citratzyklus und Atmungskette). Entsprechend wird erneut CO2 abgegeben. Ein Teil des Zuckers (und insoweit fixiertes CO2) fließt allerdings in die Dauerform "Holz", überwiegend in Cellulose. Nur dieser Teil entlastet die atmosphärische CO2-Bilanz. Wird dieses Holz verfeuert, ist der Nettoeffekt wieder Null. In Bauholz oder Möbeln bleibt das CO2 insoweit länger gebunden.

Mittelgroße bis größere natürliche Laubbäume setzen typischerweise fünf bis gut 15 Kilogramm Holz jährlich an. Das gebundene CO2-Äquivalent entspricht rund dem 1,5-Fachen davon. Schnellwachsende Arten (oft in Nadel- wie Laubbaum-Monokulturen gezüchtet, so z.B. auch in tropischen Teakholzplantagen) erzielen einen teils deutlich höheren Zuwachs. Ganzjähriges Wachstum steigert den Holzgewinn ebenfalls, sodass sich gerade die Tropen gut für Aufforstungen eignen (bzw. erst gar nicht entwaldet werden sollten).

Ein Wald pro Apotheke?

Mit diesen Erkenntnissen hellt sich auf, wie viele Bäume für eine per Pflanzungen "klimaneutral" gestellte Apotheke nötig sind.

Wie Tabelle 1 zeigt, bewegt sich allein die durch verbrauchte Energieträger bedingte CO2-Emission im heute üblichen Strommix mehrheitlich zwischen rund zehn und 40 Tonnen je Apothekenbetrieb. Schon eine sparsame Klein-Apotheke müsste also rund 500 bis 1.500 größere Laubbäume in der besten Wachstumsphase anpflanzen lassen. Bei einer energieintensiveren Apotheke sind es gerne auch drei- bis viermal so viele. Kleine Setzlinge lassen sich für wenige Euro pro Stück anpflanzen, entfalten aber ihr CO2-Bindepotenzial bei entsprechendem Holzzuwachs erst in etlichen Jahren. Auf diesem Wege könnten sich also Apotheken für einen höher vier- bis niedrig fünfstelligen Betrag rechnerisch quasi freikaufen.

Noch schöner wäre es, wenn sich eine derartige Investition sogar unter Kapitalanlageaspekten auszahlen würde. Nutzbaum-Investments, z.B. in Teak-, Akazien- oder Kautschukbäume, bieten sich hier an. Ein schnelles Baumwachstum dient dabei einer hohen CO2-Bindung. Allerdings sind mit solchen Investments einige Fallstricke verbunden, wie

  • die Seriosität der Anbieter,
  • die Flexibilität bzw. die vorzeitige Verkaufbarkeit sowie
  • die zahlreichen Prognoseunsicherheiten (u.a. hinsichtlich künftiger Holzpreise).

Zudem ergibt es unter Nachhaltigkeitsaspekten natürlich keinen Sinn, gesunde Ökosysteme zu roden, um Nutzholz-Monokulturen hochzuziehen.

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2021; 46(11):4-4