(K)eine Frage der Wirtschaftlichkeit?

Wann der Kontrahierungszwang gilt


Dr. Michael Brysch

Was genau müssen Sie wann abgeben? Die Frage nach dem Kontrahierungszwang stellt sich im Apothekenalltag permanent. Grund genug für Dr. Ulrich Grau, das Wissen zum Thema am 6. Mai 2021 auf dem "ApothekenRechtTag online" im Rahmen der "INTERPHARM online" aufzufrischen.

Ein Kontrahierungszwang – also die gesetzliche Pflicht, einen Vertrag abzuschließen – sei in der freien Wirtschaft zunächst einmal "eine komische Sache", so Grau, der Partner der D+B Rechtsanwälte in Berlin ist. Denn prinzipiell dürfe jeder selbst entscheiden, mit wem er Verträge abschließe. Vor allem bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln verhalte sich das aber anders. Denn der Apotheker habe nach §1 Apothekengesetz (ApoG) den gesetzlichen Auftrag, die Bevölkerung quasi aus einer "Monopolstellung" heraus ordnungsgemäß mit Arzneimitteln zu versorgen – was die Vertragsfreiheit in puncto Arzneimittelabgabe einschränke.

Wenn der Arzt "befiehlt"

Für den Kontrahierungszwang sei §17 Abs. 4 Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) maßgeblich. Hier heißt es: "Verschreibungen von Personen, die zur Ausübung der Heilkunde, Zahnheilkunde oder Tierheilkunde berechtigt sind, sind in einer der Verschreibung angemessenen Zeit auszuführen."

Dabei handle sich um einen "Befehl an den Apotheker", solche "Verschreibungen" abzugeben, so Grau. Weil die Schnittmenge aber annähernd 100% betrage, gehe er davon aus, dass der Kontrahierungszwang im Wesentlichen für verschreibungspflichtige Arzneimittel gelte.

Grundsätzlich berge der Kontrahierungszwang ein gewisses Konfliktpotenzial. So könne der Apotheker z.B. seiner Kontrollpflicht manchmal nur begrenzt nachkommen. Denn in der Regel stehe nicht auf dem Rezept, woran der Patient leide: "Das kann der Apotheker vielleicht herausfinden, indem er sich mit dem Patienten unterhält und ihn fragt: 'Was haben Sie eigentlich?' Ob der Patient das dann ganz genau […] weiß, ist noch die Frage."

Der Apotheker könne also die medizinische Indikation und die Notwendigkeit der Sachleistung allenfalls eingeschränkt kontrollieren. Daher müsse er in erster Linie überprüfen, ob alle Formalien eingehalten wären und er tatsächlich das preisgünstigere Medikament abgebe – was natürlich wegen der Retaxationsgefahr auch im eigenen Interesse geschehe.

Ausnahmen bestätigen die Regel

Ausnahmen vom Kontrahierungszwang sind in §17 Abs. 5 ApBetrO. definiert. Demnach müssen zunächst alle Unklarheiten beseitigt sein, bevor ein verschriebenes Arzneimittel abgegeben werden darf. Hier kommen drei Fälle in Betracht:

  1. Die Verschreibung enthält einen für den Abgebenden erkennbaren Irrtum.
  2. Die Verschreibung ist nicht lesbar.
  3. Es ergeben sich sonstige Bedenken.

Zu diesen "sonstigen Bedenken" gehören laut Grau zum einen Bedenken pharmazeutischer Art, etwa bei Arzneimitteln minderer Qualität sowie gefälschten oder abgelaufenen Arzneimitteln. Zum anderen könnten sich aber durchaus auch Bedenken ethischer Art ergeben, wie etwa im Fall des Berliner Apothekers, der die "Pille danach" aus Gewissensgründen nicht abgeben wollte (vgl. dazu ausführlich AWA 9/2021).

Übrigens: Falls sich im Beratungsgespräch ergeben sollte, dass ein Arzneimittel vermutlich off-label verschrieben wurde, ist nach Grau eine Rücksprache mit dem Arzt angesagt: "Dann klärt sich das Thema auf. Und dann kann das Produkt voraussichtlich auch abgegeben werden."

Kein Kontrahierungszwang besteht laut Grau auch bei einem begründeten Verdacht auf einen Arzneimittelmissbrauch. Hier sei die Abgabe laut §17 Abs. 8 ApBetrO zu verweigern. Indizien ergäben sich etwa bei

  • der Vorlage mehrerer gleichlautender Rezepte (was meistens aber nicht in derselben Apotheke geschehe),
  • untypischem Verhalten oder
  • einer "zweifelhaften" körperlichen Verfassung.

Derzeit würden entsprechende Fälle in der Praxis eher selten aufgedeckt, so Grau. Ob das E-Rezept dafür zukünftig mehr Anhaltspunkte liefere, werde man sehen.

Graus Tipp für den Fall, dass man doch einen Verdacht habe: "Ich würde da lieber etwas zu sensibel sein!" Besser, man gehe dem Verdacht sofort nach und dokumentiere z.B. Rücksprachen mit dem Arzt, als dass man eine verdächtige Verordnung mehrfach abgebe und erst anschließend überprüfe, ob denn alles seine Richtigkeit habe.

Weiterhin verwies Grau auf drei Sonderfälle aus der Spezialversorgung, in denen nicht alle Apotheken einem Kontrahierungszwang unterlägen:

  1. Zytostatika und andere parenterale Zubereitungen, die nur in räumlich und fachlich qualifizierten Apotheken abgegeben werden.
  2. Substitutionsarzneimittel für den Sichtbezug als freiwillige Leistung der Apotheken.
  3. Hämophilie-Präparate, die seit Kurzem über Apotheken bezogen werden. Hier müsse man allerdings noch sehen, ob letztlich alle Apotheken in die Spezialversorgung einstiegen.

Rezeptfrei?

§17 Abs. 4 ApBetrO spricht nur von "Verschreibungen". Insofern kann man Grau zufolge zunächst annehmen, dass der Kontrahierungszwang bei nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimitteln allenfalls begrenzt gilt. Das bedeute aber nicht, dass der Apotheker hier schalten und walten könne, wie er wolle. Denn er müsse die Bevölkerung ja ordnungsgemäß mit Arzneimitteln versorgen. Wenn er also z.B. erkenne, dass ein Kunde ein bestimmtes nicht-verschreibungspflichtiges Arzneimittel benötige, müsse er dieses allein schon aus berufsrechtlichen Gründen abgeben. Dabei habe er aber einen fachlichen Ermessensspielraum, weil kein Arzt dazwischengeschaltet sei.

Hieraus ergebe sich auch für die Selbstmedikation solch ein (begrenzter) Kontrahierungszwang – sofern das gewünschte Arzneimittel denn tatsächlich den angedachten Zweck erfülle. Ansonsten müsse der Apotheker über andere Optionen nachdenken und den Patienten gegebenenfalls zunächst zum Arzt schicken.

Die Patienten und das liebe Geld

Aus dem (virtuellen) Publikum gefragt, ob der Kontrahierungszwang auch bei zahlungsunwilligen Patienten zum Tragen komme, antwortete Grau, dass insbesondere einige Aufsichtsbehörden dies bejahen würden. Seine Kanzlei indes vertrete die Auffassung, "dass, wenn der Kunde nicht zahlungswillig ist und das vielleicht sogar dokumentiert, eigentlich auch kein Kontrahierungszwang bestehen kann." Ausnahmen gälten natürlich "in den Fällen, wo die Versorgung mit dem Arzneimittel ein Notfall ist und auch für den Apotheker erkennbar ist, dass hier nicht gewartet werden kann, bis bezahlt wird."

Was droht bei Verstößen?

Wer gegen den Kontrahierungszwang verstößt, muss laut Grau je nach Fallkonstellation mit drei Arten von Konsequenzen rechnen:

  1. berufsrechtlichen (von Rügen über Bußgelder bis hin zum Widerruf der Approbation)
  2. zivilrechtlichen (wie Schadensersatzansprüche der Patienten) und/oder
  3. strafrechtlichen (z.B. wegen unterlassener Hilfeleistung, fahrlässiger Körperverletzung oder gar Tötung).

Grau zufolge legen sowohl Berufsgerichte als auch Aufsichtsbehörden die Ausnahmen nach §17 Abs. 5 ApBetrO stets sehr eng aus: Im Grunde werde "immer pro Kontrahierungszwang entschieden."

Übrigens: Die strafrechtlichen Konsequenzen spielen in Graus Augen rein praktisch eher eine untergeordnete Rolle: "Es ist ja nicht so, dass es in Deutschland nur eine Apotheke gibt. Deshalb würde der Versicherte in der Regel auch eine andere Apotheke aufsuchen, wo er nicht diese Diskussion mit dem Apotheker hätte."

Exkurs: Kontrahierungszwang im Versand?

Versandapotheken unterliegen Grau zufolge ebenfalls einem ausdrücklichen und weitreichenden Kontrahierungszwang, der sich auf verschreibungs- und apothekenpflichtige Arzneimittel erstreckt. Sie dürften sich somit weder auf ein besonders lukratives Sortiment beschränken noch die Bestellung entsprechender Präparate an einen Mindestbestellwert koppeln. Ausnahmen vom Kontrahierungszwang könne man allerdings für freiverkäufliche Arzneimittel sowie für Medizinprodukte und Waren des Randsortiments annehmen.

Veranstaltungstipp

Sofern Sie sie verpasst haben, können Sie sich alle Vorträge des ApothekenRechtTages online noch bis zum 15. Juni 2021 anschauen. Informationen zu Programm und Anmeldung gibt es auf interpharm.de.

Dr. Michael Brysch, Apotheker und Diplom-Kaufmann, Chefredakteur AWA, E-Mail: mbrysch@dav-medien.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2021; 46(11):14-14