Plattformen, E-Rezept und Co.

Am digitalen Angelhaken


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Eine alte Erkenntnis lautet: „Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler.“ In dieser Hinsicht sind Fische in einer privilegierteren Lage als wir, können sie doch einigermaßen frei unter dem auswählen, was ihnen im Teich dargeboten wird, Köder inklusive. Bei unseren Apotheken indes macht man sich gar nicht mehr allzu viel Mühe, den Köder wenigstens noch ansprechend zu gestalten. Hauptsache, der Angelhaken sitzt fest!

Eine unbefriedigende Ordnungspolitik, so u.a. zur Stellung der Vor-Ort-Apotheken im Verhältnis zum Versandhandel, und die heute schon bestehenden, zahlreichen und massiven Abhängigkeitsverhältnisse unseres Berufsstandes bilden das Antriebsmoment, um noch mehr von den ohnehin schon geringen Handlungsfreiheiten preiszugeben. Eine gehörige Portion der für den Berufsstand so typischen Angst, gepaart mit komplementär dazu unterentwickeltem Selbstbewusstsein ergeben den idealen Nährboden für all diejenigen, die nicht mit, sondern an der Apotheke verdienen. Diese Sachlage ist nicht neu. Doch nunmehr erreicht sie neue Dimensionen und Qualitäten.

Bislang war die einzelne Apotheke hinsichtlich ihres Verhältnisses zu den Kunden halbwegs autonom. Ja, viele Kunden wurden und werden per Rezept- und Apothekenpflicht quasi „zwangszugeführt“. Trotzdem war jeder seines Glückes Schmied und konnte das Beste daraus machen. Ob Öffnungszeiten, Ladengestaltung, Serviceangebote oder Personalpolitik – insoweit blieb die unternehmerische Freiheit gewahrt. Und das Apothekenrecht untersagt partizipative und selbst stille Beteiligungsmodelle bewusst: Umsatzbeteiligungen oder Umsatzmieten – im Einzelhandel nicht untypisch – sind aus guten Gründen tabu.

Unter der Ägide der allumfassenden Digitalisierung steht jetzt so manches zur Disposition. Das manifeste Staatsversagen im Hinblick darauf, eine neutrale, bundesweit einheitliche „Plattform“ bzw. digitale Anlaufstelle für alle Patienten, ihre Gesundheitsdaten und sämtliche entscheidenden Prozessabläufe zu schaffen, führt nun in die Zersplitterung und beflügelt ein digitales „Wildwest“. Selbst wenn die Gesetzgebung reagiert und sich u.a. des Themas „Rezeptmakelverbot“ durchaus kundig annimmt, eröffnen sich trotzdem – wie man im Fußball so schön sagt – zahlreiche neue Räume. Sie dürften rasch besetzt und offene Fragen dann durch die Macht des Faktischen geklärt, bestenfalls irgendwann gerichtlich befriedet werden. Die Erfahrung zeigt aber auch: Vieles bekommt man nicht mehr zurückgedreht, wenn es erst einmal breit „ausgerollt“ ist.

Unter diesen Prämissen sind „Plattformen“ von Privatanbietern sehr kritisch zu sehen. Waren es bisher vor allem Ankündigungskonstrukte, wird es nun ernst. Bedeutsame Marktplayer unterschiedlichster Interessenlage haben sich formiert und bauen einen starken Handlungsdruck auf. Wer nicht gerade in einer Top-Lage mit schon heute hoher digitaler Kundenkompetenz unterwegs ist, kommt kaum an einem (oder mehreren) der Plattformangebote vorbei.

Für die Zukunft gibt es im Grunde zwei Möglichkeiten: Die Plattformen floppen, und es ist außer (einer ganzen Menge!) Spesen nichts gewesen – mit der steten Gefahr im Hintergrund, dass irgendwann jemand von noch größerem Kaliber und keineswegs angenehmer auf den Plan tritt. Oder aber die Plattformen sind erfolgreich – mit der Folge für Sie, dass ein entsprechend hoher Anteil Ihrer Kundenkontakte viel zu stark fremdbestimmt wäre. Der Eingriff in das Apotheken-Kunden-Verhältnis durch die Plattformen geht nämlich durchaus weit – vor allem was die Zuführung und die Pflege der Kundenkontakte betrifft: Nach welchen Kriterien erfolgt z.B. die Anzeige-Priorisierung der Apotheken auf dem Bildschirm? Darüber hinaus sind die aufgerufenen Gebührenmodelle befremdlich. Neben hohen festen Monatspauschalen versucht man es teils auch mit prozentualen Beteiligungen von immerhin 4% bis 6% am Non-Rx-Barumsatz – eigentlich ein K.-o.-Kriterium.

So richtig attraktiv erscheint keine der Varianten. Und das wird nicht besser, wenn man sich die Erfahrungen der (vor allem kleineren) Händler aus anderen Branchen mit „Plattform-Riesen“ anschaut. Es ist nicht allzu weit hergeholt, hier von einer neuen Form der „digitalen Sklaverei“ zu sprechen. So weit dürfen die systemrelevanten Gesundheitsberufe keinesfalls sinken!

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2021; 46(12):19-19