Wenn die Corona-Rechnung kommt

Droht ein finanzielles Desaster?


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Noch scheint Geld keine Rolle zu spielen. Davon hat unsere Branche ganz gut profitiert, wenn auch nicht jeder gleichermaßen. Doch wann kommt der Kassensturz? Mit welchen Dimensionen ist zu rechnen? Und droht damit für lange Zeit der „eng geschnallte Gürtel“?

Erste Hinweise geben die vorläufigen Rechnungsergebnisse der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV, Tabelle 1).

Überraschung: Mit 1.220 Mrd. € Lohneinkommen und 277 Mrd. € Rentenzahlungen haben sich die zentralen Quellen der GKV-Finanzierung im Krisenjahr 2020 erstaunlich gut gehalten. 2019 waren es noch 1.201 Mrd. € bzw. 266 Mrd. €. Die Gründe liegen in arbeitsmarktstabilisierenden Maßnahmen (wie z.B. Kurzarbeitergeld) und der trotz Pandemie kräftigen Rentenerhöhung. Die Rechnung dafür läuft woanders auf – bei der Bundesanstalt für Arbeit sowie bei den Rentenversicherungen. Am Ende müssen es Beitragsanpassungen oder Zuschüsse aus der allgemeinen Steuerkasse richten.

Anders als erwartet sind die GKV-Leistungsausgaben „nur“ um fast 10 Mrd. € bzw. 4,2% und somit nicht überragend gestiegen. Überdurchschnittlich haben sich die ambulanten Ärztehonorare, das Krankengeld und die Fahrtkosten entwickelt. Leicht über dem Schnitt liegen die Gesamtkosten (inklusive Krankenhausversorgung) für Arznei- und Verbandmittel. Ihre Summe von 45,6 Mrd. € ist bereits um Rabatte in Höhe von 1,8 Mrd. € (gesetzliche Herstellernachlässe), 1,1 Mrd. € Apothekenabschlag sowie 5,0 Mrd. € durch individuelle Rabattverträge gemindert. Weiterhin sind hier noch 2,3 Mrd. € an Patienten-Zuzahlungen enthalten.

Die Krankenhauskosten haben sich überraschend moderat erhöht (um 1,5%). Gefühlt hätte man eine Kostenexplosion erwartet. Leicht rückläufig waren die Zahnarztkosten, nicht ganz unerwartet im Gefolge von Lockdown-Bedingungen.

Mit rund 2 Mrd. € einschließlich ärztlichem Honorar bewegten sich die Schutzimpfungen auf nach wie vor recht niedrigem Level. Corona hat hier 2020 selbstredend noch keine Spuren hinterlassen. Alles in allem also ein recht unauffälliger Befund, der die realen Verwerfungen kaum widerspiegelt. Vergessen dürfen wir jedoch nicht, dass viele Aufwendungen abseits der Krankenkassen-Bilanzen seitens des Staates beglichen bzw. über Zuschüsse geregelt wurden und werden. Zudem bestand bis 2019 noch eine Liquiditätsreserve der Krankenkassen und des Gesundheitsfonds von rund 30 Mrd. €, die angezapft werden konnte.

Umriss der Corona-Kosten

Die direkten Gesundheits- bzw. Krankheitskosten der Corona-Pandemie lassen sich bislang nur grob umreißen, zumal wir immer noch ein hoch dynamisches und variables Geschehen haben. Bis dato (Ende Mai 2021) lassen sich die aufgelaufenen Kosten wie in Tabelle 2 gezeigt abschätzen.

Trotz Unschärfen im Detail können die Größenordnungen recht gut erfasst werden. Bisher dürfte die Corona-Pandemie gut 15 Mrd. € bis 20 Mrd. € direkte Gesundheits- bzw. Krankheitsaufwendungen verursacht haben.

Hinzu kommen allerdings diverse Ausgleichszahlungen, die nicht direkt mit der Behandlung, Diagnostik und Infektionsprävention zu tun haben. Von Beginn der Pandemie bis Ende Mai 2021 wurden 686 Mio. € für die Schaffung neuer Krankenhausbetten ausbezahlt, stolze 14,0 Mrd. € erhielten die Krankenhäuser für Einnahmeausfälle, und gut 540 Mio. € kamen so den Reha-Einrichtungen zugute. Heilmittelerbringer erhielten 815 Mio. €, Pflegekräfte Sonderleistungen in Höhe von etwa 540 Mio. € (alles nachzulesen beim Bundesamt für Soziale Sicherung). Tatsächlich sind andererseits aber auch viele Behandlungen entfallen. Gemessen an den wirtschaftlichen Verwerfungen erweist sich das aber immer noch eher als „Peanuts“. So steht allein ein Prozentpunkt Wirtschaftsleistung für rund 33 Mrd. €.

Was kommt noch?

Was uns noch erwartet, hängt vom weiteren Verlauf der Pandemie ab. Gut überschaubar sind die Kosten der (ersten) Durchimpfung. Jede Vollimpfung – meist ja auf zwei Termine gesplittet – kann im Hausarztbereich mit rund 50 € bis 70 € je nach Impfstoff angesetzt werden. 20 € davon beträgt das Impfhonorar je Dosis, und die Logistik (Großhandel und Apotheken, mit Mehrwertsteuer) kann mit annähernd 3 € je Dosis angesetzt werden.

Deutlich teurer schneiden nach Überschlagsrechnungen die hastig geschaffenen Impfzentren ab, die bislang 69% der Impfungen durchgeführt haben. Bei ihnen dürften Betriebskosten in einer Größenordnung von 50 € je Impfdosis anfallen. Teurer sind zudem „aufsuchende“ Impfungen zu Hause. Im gewichteten Mittel lassen sich die Logistik- und medizinischen Dienstleistungskosten auf rund 40 € je Dosis über den Impfstoffpreis hinaus schätzen. Eine Vollimpfung kommt so auf grob 100 €, eine 80%ige Durchimpfung der Bevölkerung auf 6 Mrd. € bis 7 Mrd. €. Perspektivisch sollte der Aufwand aber eher sinken.

Fast günstig erscheinen da die bisherigen Behandlungskosten für Covid-19 in den Kliniken, abschätzbar anhand erster Analysen der Kostenträger: Mit größenordnungsmäßig 3 Mrd. € sind sie überschaubar. Noch kaum bezifferbar, in jedem Fall aber weitaus niedriger fallen die Zusatzkosten im ambulanten Bereich aus. Mit den Spätfolgen (Long Covid) könnte sich aber eine langfristige (Kosten-)Hypothek auftun.

Ein Fass ohne Boden wurde bei den Tests aufgemacht, insbesondere bei den „Bürgertests“, bislang noch mit 12 € bis 15 € Honorar plus Testpreis abrechenbar, nun auf der Kürzungsliste. Einige zehn Millionen Bürger (v.a. Schüler, gefährdete Werktätige und Gesundheitsbedienstete), zweimal wöchentlich getestet, addieren sich bereits je Monat zu Milliardenbeträgen. Die Kosten je verhinderten Krankheits- oder gar Todesfall werden da schnell abenteuerlich. Korrekturen liegen in der Luft.

Doch schon bald könnte zur Kontrolle eines verblassenden Impfschutzes das nächste „große Ding“ in Form einer Renaissance der (modifizierten) Antikörpertests bevorstehen. Der Gesundheits-Euro rollt – noch.

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2021; 46(12):4-4