Onlineumsatz ohne eigenen Shop

Amazon Marketplace: Fluch oder Segen?


Simon Nattler

Amazon ist der beliebteste Onlinehändler – nicht nur der Deutschen, sondern der Welt. Abseits der konzerneigenen Versandstruktur können auch kleinere Händler wie Apotheken über den sehr erfolgreichen Marketplace vom gewaltigen Kundenstamm profitieren. Aber zahlt sich das am Ende aus?

Verschiedene Apothekenportale buhlen zurzeit um Apotheken. Möglichst viele Teilnehmer sollen dort angeschlossen sein, wenn im nächsten Jahr das E-Rezept flächendeckend eingeführt wird. Der Sinn dahinter: Immer weniger Verbraucher haben Lust und Zeit, im Internet nach einem passenden Onlineshop für das gewünschte Produkt zu suchen, und nutzen daher Plattformen, auf denen sie die Produkte zentral gelistet finden. Die Plattform wählt automatisch den passenden Händler aus, der möglichst schnell und günstig liefert.

Fertige Infrastruktur

Amazon bietet mit dem Marketplace bereits seit vielen Jahren eine solche Plattform an und macht darüber etwa 50% (!) des Gesamtumsatzes. Händler können hier einzelne Produkte oder ganze Sortimente listen, ohne einen eigenen Onlineshop haben zu müssen. Die Bestellungen werden von den Amazon-Kunden über die Amazon-Infrastruktur getätigt, aber Verkauf und Versand laufen über den Händler. Der Kunde merkt keinen Unterschied, denn dargestellt wird alles wie bei den direkten Amazon-Einkäufen.

135.000 Händler in Deutschland nutzen diese Möglichkeit bereits. Warum sollte man sich auch mit einem teuren Onlineshop um einen eigenen Kundenstamm im Internet bemühen, wenn man auf die 44 Mio. Amazon-Kunden zurückgreifen kann? Die Idee ist daher zunächst einmal lobenswert.

Durch die marktbeherrschende Stellung ist aber die Gefahr für den einzelnen Händler groß, in die Abhängigkeit des Versandriesen zu geraten. Denn Amazon hat natürlich nicht vorrangig die Stärkung der lokalen Händler im Sinn. Vielmehr soll die eigene Angebotspalette auch in denjenigen Randbereichen verbreitert werden, die Amazon (bislang) nicht selbst vertreiben kann oder darf. Over-the-Counter (OTC)-Arzneimittel sind Beispiele dafür.

Wenn Sie Ihre Apotheke auf dem Marketplace listen lassen möchten, können Sie sich mit wenigen Schritten online registrieren. Die monatliche Gebühr ist mit 39 € zunächst überschaubar. Da der Erfolg von Amazon auf das hohe Vertrauen der Verbraucher zurückzuführen ist, werden neue Händler genau überprüft. Neben der Gewerbeanmeldung und der Betriebserlaubnis müssen Sie auch Einkaufsrechnungen vorlegen. Damit will die Plattform sichergehen, dass Sie Ihre Waren legal bezogen haben – schließlich wurde der Marktplatz nicht (nur) für Apotheken entwickelt.

Übrigens: Seit Langem wird vermutet, dass Amazon so auch reale Einkaufspreise ausspioniert. Wen das stört, der sollte bedenken, dass bereits hunderte Apotheken über den gleichen Weg Medikamente verkaufen und die Preise daher ohnehin bekannt sind.

Wenn Sie frisch registriert sind, müssen Sie Ihre Apotheke mühsam für jede Produktkategorie einzeln freischalten lassen und die entsprechenden Qualifikationen nachweisen: Wer z.B. Schmerzmittel verkaufen darf, muss sich für Pflaster erneut die "Zulassung" holen. Das fühlt sich ein wenig nach Präqualifizierung an und offenbart an vielen Stellen, wie wenig sich Amazon mit Arznei- und Hilfsmitteln auskennt. Individuelle Nachfragen werden kaum beantwortet, und ein Support ist fast nicht vorhanden.

Kleine Fische versus weißer Hai

Anders als in einem Onlineshop können und sollten Sie über Amazon nur ausgewählte Sortimente anbieten, denn

  • einerseits ist der Upload Ihrer Angebote relativ aufwendig und
  • andererseits müssen Sie alle Produkte regelmäßig auf Aktualität überprüfen.

Wichtig: Vermeiden Sie es um jeden Preis, Bestellungen zu stornieren, weil Produkte nicht mehr lieferbar sind! Das ist im Amazon-Reich eine Todsünde und verschafft Ihnen ein schlechtes Rating. Denn grundsätzlich wird jede Ihrer Handlungen getrackt und in ein Punktesystem überführt. So freundlich und kulant der Konzern gegenüber den Verbrauchern ist, so unnachgiebig und fordernd ist er nämlich gegenüber den Händlern. Ein einzelnes Unternehmen lässt sich schließlich schnell austauschen. Wer nicht spurt, wird gesperrt.

Neben groben Verstößen fließen in Ihre Punktebewertung auch weitere Faktoren ein, wie u.a.

  • die Lieferzeiten,
  • die Reaktionszeiten auf Kunden-Rückfragen sowie
  • der Umgang mit Retouren, die eigentlich immer akzeptiert werden sollten, um schlechte Kundenbewertungen zu vermeiden.

Genau kalkulieren

Die aus unternehmerischer Sicht gerade im Vergleich zu Preissuchmaschinen wie Medizinfuchs und Co. attraktiv hohen Verkaufspreise vieler Arzneimittel bei Amazon erscheinen auf den ersten Blick verlockend, werden doch z.B. Nasensprays zum Teil 40% über der unverbindlichen Preisempfehlung angeboten. Und auch andere gängige OTC-Artikel sind meist teurer als in der Apotheke vor Ort.

Spätestens bei der eigenen Kalkulation wird Ihre Vorfreude aber schnell wieder verfliegen, denn die Preise schlagen sich nicht in Ihrer Marge nieder. Der Preiskampf zwischen den einzelnen Marketplace-Händlern ist hart. Außerdem erhebt Amazon eine Gebühr von 15% pro Verkauf – allerdings nur, wenn der Artikel auch wirklich gekauft wird. Bei den Preissuchmaschinen hingegen bezahlen Sie für jeden Klick.

Dazu sind im Verkaufspreis bereits die Versandkosten enthalten. Vorteil für Sie: Landet ein Produkt zweimal im Warenkorb eines Kunden, bezahlt dieser die Versandkosten doppelt.

Amazon spielt die einzelnen Händler beim Preis geschickt gegeneinander aus, um für die Kunden und sich selbst das Optimum herauszuholen. Das geht so: Alle Anbieter des gleichen Artikels teilen sich die sogenannte Buybox, das umrandete Feld rechts oben auf der Produktdetailseite. Ein Algorithmus entscheidet, wer aktuell der "qualifizierteste" Verkäufer ist. Neben dem Preis werden dafür auch die Punktebewertung und andere Faktoren berücksichtigt. Dem "Gewinner" gehört dann in neun von zehn Fällen die nächste Bestellung.

In den ersten Wochen werden Sie als neuer Händler jedoch meist nicht für die Buybox zugelassen – und das ist auch gut so. Ansonsten könnten Ihre Bestellzahlen plötzlich so in die Höhe schnellen, dass Sie mit der Lieferung nicht mehr nachkommen. Schließlich wird in Deutschland etwa jeder zweite Internet-Euro bei Amazon ausgegeben! Je zuverlässiger Sie die zunächst wenigen ankommenden Bestellungen aber bearbeiten, umso eher bezieht Amazon Sie mit ein.

Eine Frage der Abwägung

Obwohl der Marketplace schnellen Umsatz verspricht, sollten Sie die Nachteile genau im Blick behalten. Die Kundendaten gehören Amazon und dürfen nicht über den Verkauf hinaus genutzt werden. Sie hangeln sich daher von Verkauf zu Verkauf, ohne einen Kundenstamm aufzubauen. Selbst ein Hinweis auf den eigenen Shop, der dem Paket beigelegt wird, ist untersagt – was durch Testkäufe überprüft wird.

Dazu kommt: Wegen der Klage eines Apothekers ermitteln die Datenschutzbehörden zurzeit gegen Apotheken, die Arzneimittel auf Amazon anbieten. Die Begründung: Amazon speichere alle Verkaufsdaten, könne so Rückschlüsse auf das Krankheitsbild ziehen und die kumulierten Daten dann an Dritte weitergeben. Hier bleibt abzuwarten, wie am Ende entschieden wird. Es ist anzunehmen, dass der Versandriese bei einem Verbot durch kleinere Änderungen am eigenen Shopsystem erneut Verkäufe ermöglichen wird.

Aus standespolitischer Sicht sollten wir uns alle den Erfolg einer gemeinschaftlichen Plattform wünschen. Sofern der Verkauf von Arzneimitteln über Amazon weiter erlaubt bleiben sollte, ist aber aus rein kaufmännischer Sicht nicht grundsätzlich vom Marketplace abzuraten – und zwar gerade dann nicht, wenn Sie einen bestehenden Versand stärker auslasten oder spezielle Randsortimente vertreiben möchten. Allerdings sollten die Marketplace-Verkäufe niemals Ihr zentrales Standbein sein. Und: Besprechen Sie Ihr Vorhaben auf jeden Fall vorab mit Ihrem Steuerbüro!

Simon Nattler, Inhaber der ELISANA-Apotheken, Gründer der Team-App apocollect, 45896 Gelsenkirchen, E-Mail: inbox@apocollect.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2021; 46(13):8-8