Honorar-Jo-Jo

Die verkaufte Selbstachtung


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Es ist schon erstaunlich, welchen wirtschaftlichen Kneippschen Wechselbädern und -güssen der Berufsstand seit Beginn der Pandemie ausgesetzt ist. An und für sich gelten Wechselbäder und -güsse ja als gesund, härten sie doch ab. Andererseits bleibt die gewünschte Planungssicherheit auf der Strecke. Das gilt umso mehr, falls beträchtliche Vorleistungen und Vorausinvestitionen zu leisten sind, seien sie technischer Art, sei es in die Etablierung neuer Abläufe oder sei es schlicht in die Warenbevorratung. So lässt dieses Hü und Hott der Politik, namentlich unseres Gesundheitsministers, jegliche vertrauensbildenden Eigenschaften vermissen. Und die Neuartigkeit der Pandemiesituation zieht nach fast anderthalb Jahren auch nicht mehr. Man fühlt sich eher an die Lernkurve einer Stubenfliege erinnert: "Brumm, brumm, bumm – gegen die Scheibe." – "Brumm, brumm, bumm – gegen die Scheibe." Und so fort. Da kommt einem Kurt Tucholsky in den Sinn: "Dumme und Gescheite unterscheiden sich dadurch, dass der Dumme immer dieselben Fehler macht und der Gescheite immer neue."

Bei den Sondervergütungen in der Pandemie hat sich nun offenbar folgendes Rezept verstetigt: Anlocken – hochjazzen – fallenlassen. Und die Esel lassen sich durch eine extragroße Portion Möhren immer wieder aufs Neue locken, um dann mit Trockenfutter zu enden. Woran liegt es?

Der Grundfehler war von Anfang an, dass sich der Staat die Verantwortung für die Pandemie selbst ans Bein gebunden hat. Um dem mehr schlecht als recht nachzukommen, bedarf es nicht nur eines teilweise grotesken, spitzweghaft-kleinlichen Regulierungskorsetts. Vielmehr wird den pandemiegenervten Bürgern auch möglichst viel auf Staatskosten (die letztlich doch ihre eigenen sind!) versprochen, bis hin zu Masken, Tests oder jetzt den Impfzertifikaten.

Ist das sinnvoll? Wo bleibt die Eigenverantwortung? Noch nie wurde so viel gespart. Banken erheben u.a. wegen überquellender Konten nie gekannte "Verwahrgebühren" – aber der Bürger kann sich weder Masken noch ein Impfzertifikat leisten? Grotesk!

Selbst über die Kostenerstattung der Impfungen – von Kindern und Bedürftigen abgesehen – ließe sich aus ordoliberaler Sicht ernsthaft diskutieren. Frei nach dem Motto: "Was nichts kostet, ist nichts wert" wäre die Impfakzeptanz womöglich sogar größer, wenn man einen Obolus leisten müsste. Als Fazit hätte man hier viel mehr dem freien Markt überlassen und die Bürger angesichts der doch überschaubaren Beträge in die auch finanzielle Eigenverantwortung nehmen können (während man auf der anderen Seite tatsächlich ganze Existenzen geopfert hat!). Die Leistungen hätten wir dann frei kalkuliert und die Preise im Wettbewerb fair limitiert. Mit dem nun eingeschlagenen Weg jedoch werden perspektivisch das Anspruchsdenken und die Vollkasko-Mentalität weiter befördert. Das dürfte uns in Zukunft beim Umgang mit den Kunden noch kräftig auf die Füße fallen.

Wenn man nun schon alles gratis streut, wäre es fairer, die Honorare dafür von vornherein nach der Menge zu staffeln, um in der Tat (zu) hohe Gewinne einzufangen – und zwar berechenbar über den Tag hinaus. Sinnvoll wären zudem pauschale Anschubfinanzierungen, um Vorausinvestitionen abzufedern. Dies gilt gerade für kleinere Betriebe. Und ganz wichtig: Kein Dauerversagen bei der (technischen) Infrastruktur mehr! In diesem Zusammenhang täte es der Politik gut, ihre ganzen Wunschvorstellungen einfach mit den realistisch vorhandenen Möglichkeiten abzugleichen.

Es ist nun, wie es ist! Doch wo bleibt der Widerstand? Warum lassen wir uns so viel bieten? Nun, es waren und sind doch sehr schöne Gewinne möglich. Und wir sind eben hochgradig politikabhängig. Das verträgt sich systemimmanent nicht mit echtem Widerstand. Wer sein Heil in der Fremdbestimmung sucht, alles bis ins Kleinste geregelt haben will und die kaufmännische Eigenverantwortlichkeit stets tiefer hängt, darf sich nicht wundern, wenn er immer mehr zum Spielball wird. Die süße Leimrute des Staates ist so verlockend wie hochgefährlich, wenn man nicht gerade als Beamter bombenfest daran klebt, sondern wie die Biene an der Blüte nur ein temporärer und gegebenenfalls austauschbarer Gast ist. Daran ändern auch öffentlichkeitswirksame Belobigungen nichts. Im Gegenteil, wie schon Lenin wusste: "Sage mir, wer Dich lobt, und ich sage Dir, worin Dein Fehler besteht!"

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2021; 46(13):19-19