Negative Kapitaleinkünfte

Verlustbeschränkung verfassungswidrig?


Helmut Lehr

Wenn Sie mit Aktiengeschäften Verluste erzielen, können Sie diese steuerlich wirksam nur mit Gewinnen aus gleichartigen Geschäften verrechnen. Nach Ansicht des Bundesfinanzhofs ist eine solche Regelung verfassungswidrig.

Die steuerliche Verlustverrechnung ist bei den Einkünften aus Kapitalvermögen stark eingeschränkt – was insbesondere für Aktienverkäufe gilt. Der Gesetzgeber erlaubt insoweit keine Verrechnung mit anderen Einkünften (z.B. dem Apothekengewinn). Das führt dazu, dass Aktienverluste nur dann steuerlich „nutzbar“ sind, wenn Sie irgendwann auch Gewinne aus Aktienverkäufen erzielen – bis dahin wird der Verlust lediglich „vorgetragen“.

Beispiel

Das Apothekerehepaar Heidenreich hat im Jahr 2019 Kapitalerträge in Höhe von insgesamt 3.400 € erzielt und Aktienverluste in Höhe von 4.000 € gemacht. Für die Kapitalerträge wurde die Abgeltungsteuer einbehalten.

Im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung beantragt das Ehepaar, dass

  • die Kapitalerträge mit den Aktienverlusten verrechnet werden und dass
  • die von der Bank einbehaltene Abgeltungsteuer erstattet bzw. angerechnet wird.

Die Berechnung der Kapitaleinkünfte durch das Finanzamt ergibt sich aus Tabelle 1. Die Aktienverluste bleiben gemäß gesetzlicher Vorgabe zunächst unberücksichtigt und werden lediglich als Verlustvortrag festgestellt.

Paukenschlag des Bundesfinanzhofs

Der Bundesfinanzhof musste über einen vergleichbaren Fall entscheiden. Nun hat er das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt (Vorlagebeschluss vom 17.11.2020, Aktenzeichen: VIII R 11/18).

Nach Ansicht der obersten Steuerrichter ist die beschränkte Verlustverrechnung für Aktiengeschäfte verfassungswidrig; zumindest mit anderen Kapitalerträgen müsse eine Verrechnung ermöglicht werden. Der Bundesfinanzhof vertritt konkret die Auffassung, dass die Verlustverrechnungsbeschränkung

  • gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz („Gleichheitssatz“) und
  • gegen den Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verstößt.

Für die Ungleichbehandlung der verschiedenen Kapitaleinkünfte fehle ein hinreichend rechtfertigender Grund. So würden z.B. Steuerpflichtige, die Verluste aus Aktienveräußerungen erzielt haben, schlechter gestellt als Steuerpflichtige, die Verluste aus dem Verkauf aktienbasierter Kapitalanlagen realisieren.

Der Bundesfinanzhof hat auch darauf hingewiesen, dass die beschränkte Verlustverrechnung sogar zum vollständigen „Untergang“ eines erzielten Verlustes führen könne, wenn der Steuerpflichtige bis zu seinem Tod keine Gewinne aus Aktien erziele.

Tipp: Es ist sehr gut möglich, dass das Bundesverfassungsgericht die beschränkte Verlustverrechnung für Aktiengeschäfte tatsächlich für verfassungswidrig erklären wird. Bis dahin könnten Sie Aktienverluste (z.B. auch aus dem Verkauf von Wirecard-Aktien), die sich nicht sofort mit Aktiengewinnen verrechnen lassen, im Rahmen Ihrer Einkommensteuererklärung gesondert geltend machen und gegen einen ablehnenden Bescheid Einspruch einlegen.

Hinweis: Wegen der besonderen Breitenwirkung ist davon auszugehen, dass die Finanzverwaltung entsprechende Steuerbescheide in naher Zukunft insoweit nur noch vorläufig erlässt.

Neuregelung auch umstritten

Der Gesetzgeber hat in der jüngeren Vergangenheit eine weitere Verlustabzugsbeschränkung für einzelne Kapitaleinkünfte eingeführt (vgl. AWA 7/2020). Danach durften u.a. Verluste

  • aus der Ausbuchung bzw. Übertragung wertloser Wirtschaftsgüter,
  • aus der ganzen oder teilweisen Uneinbringlichkeit von Kapitalforderungen sowie
  • aus Termingeschäften, insbesondere bei verfallenen Optionen,

zunächst nur bis zu einer Höhe von 10.000 € mit Gewinnen aus Kapitalerträgen verrechnet werden. Die 10.000-€-Grenze wurde zwar mittlerweile auf 20.000 € erhöht (vgl. AWA 4/2021), dem Grunde nach besteht die Verlustverrechnungsbeschränkung aber weiter fort.

Hinweis: Da sich diese Regelungen durchaus mit der eingeschränkten Verlustverrechnung bei Aktiengeschäften vergleichen lassen, sind hier ebenfalls Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit angebracht. Deswegen sollten Sie auch diese Abzugsbeschränkungen nicht widerspruchslos hinnehmen, sofern Ihre entsprechenden Verluste 20.000 € übersteigen.

Übrigens: Das Bundesfinanzministerium hat kürzlich erfreulicherweise bestätigt, dass bestimmte Zertifikate und Optionsscheine nicht von der steuerlichen Verlustverrechnungsbeschränkung für Termingeschäfte betroffen sind, sondern als herkömmliche Kapitalforderungen gelten (Schreiben vom 03.06.2021, Aktenzeichen: IV C 1 – S 2252/19/10003 :002). Deshalb kommt eine entsprechende Verlustverrechnungsbeschränkung lediglich beim Verfall von Optionsscheinen zum Tragen.

Helmut Lehr, Dipl.-Finanzwirt (FH), Steuerberater, 55437 Appenheim

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2021; 46(14):16-16