Mehr als nur ein Eckchen zum Plaudern

Welche Chancen der Beratungsraum bietet


Thomas Reipen

Ob für die Abmessung von Kompressionsstrümpfen oder als „Wartezimmer“ für alle, denen gerade ein Impfzertifikat ausgestellt wird: Der Beratungsraum kann viele Funktionen übernehmen – und dürfte zukünftig eine noch zentralere Rolle in der Apotheke spielen.

Nicht zuletzt durch Corona bekommt der bislang etwas stiefmütterlich behandelte Beratungsraum deutlichen Aufwind: In unseren Apotheken konnten sich die Kunden hier anstellen, um ihre Bezugsscheine für die Masken abzugeben. Auch bieten wir allen Wartenden an, im Beratungsraum die Zeit zu überbrücken, bis wir ihnen die Impfzertifikate ausgestellt haben. Eine Ecke an der Tischkante hinter der letzten Kasse reicht dazu mitnichten aus.

Amtsapotheker und Pharmazieräte sehen es sowieso gerne, wenn die nach §4 Abs. 2a gebotene „Vertraulichkeit der Beratung“ durch einen abgeschlossenen Raum gewährleistet ist. Und die Krankenkassen fordern für die Präqualifizierung bei immer mehr Produktgruppen auch den exakten Lageplan eines Raumes, der visuell und akustisch vom Handverkauf abgetrennt ist.

Gut ausgestattet?

In allen neu gegründeten oder renovierten Apotheken sieht man inzwischen nicht mehr die Kabine mit zwei Stühlen hinter einem Vorhang, sondern professionell eingerichtete Räume, die ähnlich aufgebaut sind wie das Beratungszimmer eines Arztes. Zu einer sinnvollen Ausstattung zählen beispielsweise

  • mindestens zwei Stühle,
  • ein Tisch,
  • ein Spiegel,
  • eine Liege,
  • eine geeignete Beleuchtung,
  • ein Computer mit Netzwerkanschluss und Anbindung an die Warenwirtschaft, um eventuell auch Lagerbestände gleich zu überprüfen, sowie
  • ein Drucker, um den Kunden die Beratungsergebnisse sofort in Papierform mitzugeben.

Keine reine Zukunftsmusik: Impfen in der Apotheke

Einige Apotheken haben im letzten Jahr u.a. im Rahmen des Modellprojekts der Apothekenkammer Nordrhein schon Grippeschutzimpfungen durchgeführt, und die Kurse für dieses Jahr sind bereits ausgebucht. Auch in Abhängigkeit davon, wie man sich mit den Ärzten arrangiert, könnten Grippeschutzimpfungen also für Apotheken immer interessanter werden.

Darüber hinaus werden wohl die Corona-Impfzentren irgendwann schließen. Und vielen Ärzten wirbelt das viele Impfen den Praxisalltag sowieso schon mächtig durcheinander. Dass nur sie zukünftig die Corona-(Auffrisch-)Imfpungen durchführen werden, ist also kaum vorstellbar. Insofern scheint es nicht abwegig, dass man auch die Apotheken hier einbindet. Verabreicht werden könnten sowohl die Grippeschutz- als auch die Corona-Impfungen dann im Beratungsraum (vgl. hierzu Service am Ende des Beitrags).

Gepflegte Gespräche zur Pflege

Pflegehilfsmittel mitsamt einem neuen Bewusstsein für Hygiene und Desinfektion sind seit Corona noch mehr in den Fokus gerückt. Die Vergütungspauschalen hat man angehoben und – anders als so vieles – nicht nach kurzer Zeit wieder gesenkt, sodass (zumindest Stand heute) eine vollumfängliche Versorgung machbar ist.

Hier lohnt es sich, auch mal in einem angenehm gestalteten Beratungsraum Platz zu nehmen, um mit den Patienten oder ihren Angehörigen den Pflegestatus zu besprechen. Dann lässt sich gegebenenfalls gleich schon gemeinsam ermitteln, was der Patient benötigt.

Tipp: Dazu können Sie den Computerbildschirm im Beratungsraum prima nutzen, denn manche Hersteller bieten entsprechende Online-Anamnese-Tools an.

Übrigens: Wenn Sie Patienten mit Pflegehilfsmitteln versorgen, können Sie prinzipiell mit verschiedenen Firmen kooperieren, die individuell zusammengestellte Boxen entweder in die Apotheke oder sofort zum Patienten schicken. Dafür benötigen Sie oft nur die Software des Anbieters. Allerdings hat man zumeist doch ein besseres Gefühl, wenn man die Daten der Patienten nicht aus der Hand gibt und sich stattdessen ein kleines Lager anlegt, um die Boxen selbst zusammenstellen zu können – was zusätzlich den Ertrag pro Box steigert.

Die eigene Ausrichtung im Blick

Je nach Arzt- und Kundenstruktur gibt es noch weitere Möglichkeiten, um den Beratungsraum zu nutzen. Babyfreundliche Apotheken etwa könnten ihn jungen Müttern als Stillraum anbieten – was wir in unseren Apotheken tun. Nach anfänglicher Skepsis sind wir erstaunt, wie gut dieses Angebot angenommen wird.

Dabei von Vorteil: Weil Mütter in der Regel untereinander bestens vernetzt sind, ist es gar nicht nötig, das Angebot groß zu bewerben. Denn über Mund-zu-Mund-Propaganda verbreitet es sich von selbst wie im Fluge.

Wer einen Orthopäden in seiner Nähe hat, muss nicht nur Schmerzmittel und Thrombosespritzen auf Lager haben, sondern sollte sich auch um die Präqualifizierung für weitere Produktgruppen kümmern. Ist das geschehen, und geben Sie z.B. Bandagen ab, müssen Sie in einem geeigneten Raum Maß nehmen können. Gleiches gilt, wenn Sie sich auf Kompressionsstrümpfe spezialisieren.

Übrigens: Der Beratungsraum ist nicht zuletzt auch für Patienten nützlich, die sich ihre Thrombosespritzen selbst vor Ort in der Apotheke setzen wollen.

Tipp: Neben der räumlichen Machbarkeit sollten Sie immer auch die Vorlieben und Qualifikationen Ihres Personals berücksichtigen, wenn Sie Ihr Dienstleistungsportfolio erweitern wollen. Um die fachliche Kompetenz zu gewährleisten, lohnt es sich, gerade bei Hilfsmitteln, aber ebenso bei einer Spezialisierung auf Hautpflege und Co., mit den Herstellern in Kontakt zu treten. Denn sie bieten häufig interessante Schulungsmöglichkeiten an.

Das ist aber noch nicht alles

Unsere Pharmazeuten im Praktikum fragen uns häufig als erstes, ob wir die Teilnahme am Programm „Arzneimitteltherapiesicherheit in Apotheken“ (ATHINA) unterstützen. Diese Einstellung ist super, weil sie zeigt, wo das Selbstverständnis unseres Berufsbildes in Zukunft liegen sollte.

Bis Entsprechendes aber flächendeckend umgesetzt werden kann, sind bekanntlich noch einige Hürden zu nehmen, wie z.B. die Vergütungsfrage. Außerdem wird bei einigen Ärzten noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten sein, bis sie ihre Patienten für eine ausführliche Medikationsanalyse mitsamt Beratungsgespräch in die Apotheke schicken.

Nichtsdestotrotz müssen solche Gespräche definitiv in einem geschützten Raum stattfinden – zunächst natürlich, damit die Inhalte vertraulich bleiben. Darüber hinaus können die nötigen Erläuterungen aber ansonsten im normalen Handverkauf oft auch missverständlich rüberkommen – gerade wenn sie durch Masken und Plexiglas hindurch erfolgen. Und das wiederum steht manches Mal einem Zusatzverkauf im Wege, der ja umso wahrscheinlicher ist, je tiefer die Beratung geht.

Die kaufmännische Seite nicht vergessen

Ein Beratungsraum, der auf die individuellen Bedürfnisse zugeschnitten ist, wird für Apotheken in Zukunft essenziell werden. Bei all dem, was sich in solch einem Raum anbieten lässt, sollten wir aber eines nie aus dem Auge verlieren: Für uns als Unternehmer ist und bleibt die Kosten-Nutzen-Rechnung immer Grundlage unseres wirtschaftlichen Handelns.

Deswegen sollte der Beratungsraum nicht für belanglose Plaudereien mit den Kunden herhalten. Vielmehr müssen wir klar kalkulieren, wann uns ein qualitativ hochwertiges, fachliches Kundengespräch in einem abgetrennten Raum auch einen wirtschaftlichen Nutzen bringt. Dabei gilt immer: Entweder die Beratungsleistung selbst oder der daraus resultierende Abverkauf muss einen entsprechenden Preis haben.

Service

Auf der ABDA-Homepage finden Sie unter „Grippeschutzimpfung (Modellvorhaben)“ u. a. eine „Leitlinie: Durchfüh­rung von Grippeschutzimpfungen in öffentli­chen Apotheken“ mitsamt einer Auf­listung aller Utensilien, die in den Räumlichkeiten zur Verfügung stehen müssen.

Thomas Reipen, Apothekeninhaber, apondium Apotheken, 41472 Neuss, E-Mail: t.reipen@apondium.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2021; 46(16):6-6