Bald ist es wieder soweit

Die Qual der Wahl


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Noch wenige Tage, dann haben wir wieder eine "Schicksalswahl". Egal wie sie ausgeht: Alle werden dann irgendwie gewonnen haben, selbst herbe Verluste färbt man schön. Nun, immerhin gibt es noch was zu deuten und zu analysieren, kennen wir doch auch den besonders bei Diktatoren beliebten Spruch: "Es ist nicht entscheidend, wer wie wählt, sondern wer die Stimmen zählt!" Davon sind wir hier zum Glück meilenweit entfernt. In allzu vielen Regionen der Welt ist dies mitnichten so, wenn es denn dort überhaupt etwas auszuzählen gibt.

Doch abgewandelt ergibt es auch hierzulande immer mehr Sinn: "Es ist nicht entscheidend, wer wie wählt, sondern mit welcher Chuzpe die Politiker danach ihre Koalitionen bilden!" Hier zeigt sich eine ernste Entwicklung, die schon vor Jahren begonnen hat: Es gibt keine klaren Mehrheiten mehr. Fortschreitende Zersplitterung bestimmt das Geschehen. Selbst die beiden einstigen Volksparteien, ehemals allein für absolute Mehrheiten gut, würden es den Umfragen zufolge schon längst nicht einmal mehr schaffen, zusammen eine parlamentarische Mehrheit auf die Beine zu stellen. Es gibt insoweit auch kein reines Schwarz oder Rot mehr.

Der Tuschekasten der politischen Farbenlehre ist schon länger kräftig vermengt, sodass nicht wenige mit der Orientierung hadern. Selbst das so naturnah-ökologische Grün ist verwaschen und mit unterschiedlichsten Farbklecksen versehen. Gelb (plus eingestreutes Magenta) erscheint da als das sonnig-hell leuchtende Angebot an die Kritiker eines allzu umarmenden Staates, ist dabei aber manch einem zu luftig und zu unbestimmt. Magenta erinnert dabei an einen bekannten Telekommunikations-Riesen. Ob diese Assoziation hilft, den besseren "Draht" zum Wähler herzustellen? Bleibt noch die Alternative Blau. Tiefgründig wie ein gleichfarbiger Ozean – niemand weiß recht, was unter der Oberfläche so alles lauert.

Da denkt man unwillkürlich an das Modell einer Allparteien-Koalition – sollen doch alle oder zumindest die meisten Parteien entsprechend ihrer Stimmenanteile eine Regierung bilden. Damit wäre jeder in der Verantwortung. Wenn zudem noch Experten statt typischer Parteigewächse in die verantwortlichen Positionen kämen, wäre dieses Modell noch reizvoller und dann angesichts des drohenden Meinungswirrwarrs auch handhabbar. Eine schlagkräftige Opposition gäbe es hier indes nicht mehr. Doch wie steht es um deren Wirkmacht eigentlich heute schon? Die Konkordanz-Demokratie hat prominente Vorbilder (wie z.B. die Schweiz) und wäre mit gutem Willen auch hier praktizierbar – während die Alternative, das klar kontrastierende Mehrheitswahlrecht, schon auf größere Widerstände treffen dürfte.

Einstweilen fragen sich die lieben Kolleginnen und Kollegen, wem sie ihre Stimme anvertrauen sollen. Nun, die Wahl ist frei und geheim. Zudem gibt es selbst im überschaubaren Grüppchen der Apotheker bzw. der Inhaber (als einer inzwischen ziemlich kleinen Teilmenge davon) ein enormes Meinungsspektrum. Mit rund 0,1% der Wahlberechtigten ist unser Einfluss als Pharmazeuten zudem überschaubar.

Möglicherweise hilft es aber, den Blick weiter schweifen zu lassen, als sich nur auf oftmals eher halbherzige Bekenntnisse zur Apotheke vor Ort zu verlassen. Im Zweifel und bei Ebbe in der Kasse wird die Apotheke allen Parteien als Melkkuh zur Sanierung desaströser Finanzlagen dienen – das sollten wir ziemlich schmerzfrei erkennen. Interessanter ist da schon die Frage, wonach wer alles greifen würde – nur nach der Apothekenkasse, oder auch nach dem Privatkonto und dem Vermögensbestand? Alles drei zusammen wäre natürlich die Höchststrafe.

Somit dürften wir auf längere Sicht am besten mit denjenigen fahren, die nicht nur den Kuchen aufschneiden wollen, sondern die sich auch Gedanken darüber machen, wer den Kuchen erst mal backen soll – und das unter den gegebenen Umständen überhaupt noch will. Mehr Freiheit zu wagen, regulatorischen Overkill zurückzuschrauben und einem fairen Wettbewerb den Vorrang vor Staatspaternalismus einzuräumen, könnte sich da gerade für einen "freien Beruf" als der chancenreichste Ansatz entpuppen. Freiheit darf, gerade in Corona-Zeiten, nicht zum Angstbegriff verkommen.

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2021; 46(17):19-19