Auch mit Negativem gut umzugehen lernen

Wie Sie Negativartikel korrekt erfassen


Ralf Dreczko

Wenn mal wieder eine Inventur ansteht, stellen insbesondere die sogenannten Negativartikel ein Problem dar – jene Artikel also, die Sie nicht regulär auf Lager haben. Wie lassen sich die Bestände dieser Artikel richtig erfassen?

Wie Sie Ihr Warenlager im Rahmen einer Inventur grundsätzlich richtig bewerten, hatten wir Ihnen bereits früher einmal vorgestellt (vgl. AWA 19/2018). Hieran knüpfen wir nun an.

In der Regel existieren in den Point-of-Sale (POS)-Warenwirtschaftssystemen (WWS) drei mögliche Lagerkennzeichen:

  • POS,
  • Point-of-Reordering (POR) und
  • Negativartikel.

Unter dem Kennzeichen "POS" werden bei der Inventur die Lagerartikel mit ihren jeweiligen Beständen subsumiert.

Unter "POR" werden (auch in POS-Systemen) Artikel erfasst, für die keine Bestandsführung gewünscht ist, die also lediglich als "Hilfsartikel" fungieren sollen. Hierfür sind in der Regel eigene Stammsätze angelegt. Damit besteht z.B. die Möglichkeit, bestimmte Dienstleistungen als Artikel in der Kasse auswählen zu können. Bei der Inventur dürfen diese Artikel in POS-Systemen jedoch nicht berücksichtigt werden.

Achtung: Sofern es in Ihrer Apotheke ein Mischsystem aus POS und POR gibt, sodass nur für einen Teil des Warenlagers eine POS-Bestandsführung aktiviert ist, müssen Sie die Bestände der POR-Artikel natürlich ebenfalls berücksichtigen.

Artikel schließlich, die Sie nicht regulär auf Lager haben ("Nichtlagerartikel"), werden – übrigens auch in POR-Systemen – als "Negativartikel" gekennzeichnet. Das heißt allerdings nicht, dass der Bestand dieser Artikel "0" sein muss. Vielmehr können diese Artikel auf Kundenwunsch bestellt und in die Apotheke geliefert, aber noch nicht vom Kunden abgeholt worden sein. Außerdem ist es in manchen Apotheken gängige Praxis, einen eigentlich an Lager befindlichen Artikel auf "Nichtlager" zu setzen, wenn es sich um ein "Auslaufmodell" handelt, das vom System bei einem Abverkauf nicht mehr nachbestellt werden soll.

Bestand oder Erfolg?

Wie sollten Sie nun bei der Inventur mit diesen Negativartikeln verfahren? Hierfür müssen wir zunächst die grundsätzliche Systematik der Warenkonten im Rahmen der Buchhaltung betrachten. Bei den Warenkonten handelt es sich um sogenannte "gemischte Konten", da es

  • einerseits ein Warenbestandskonto gibt, das in der Bilanz als Teil des (Umlauf-)Vermögens anzusehen ist, und
  • andererseits Warenerfolgskonten, auf denen Sie Ihre Wareneinkäufe zunächst verbuchen.

Solange gelieferte Waren allerdings nicht verkauft werden bzw. sich ihre Anzahl nicht anderweitig mindert (vgl. AWA 10/2021), befinden sie sich noch im Warenbestand und sind entsprechend bei der Inventur zu berücksichtigen.

Das heißt: Der Wareneinkauf wirkt sich noch nicht gewinnmindernd aus. Erfolgswirksam wird er nämlich erst bei einer Bestandsabbuchung – wodurch er sich dann als "Wareneinsatz" in der Gewinn- und Verlustrechnung berücksichtigen lässt.

Damit hängen die Höhe des Inventurbestandes und der erfolgswirksame Ausweis des Rohertrags (= Umsatz minus Wareneinsatz) unmittelbar zusammen: Je höher der Inventurbestand, desto niedriger der Wareneinsatz und desto höher der Rohertrag bzw. vice versa.

Bezahlt oder noch nicht bezahlt?

Schauen wir uns nun zwei unterschiedliche Fälle an, in denen Sie jeweils auf Kundenwunsch einen nicht vorrätigen Artikel beim Lieferanten bestellt haben. In beiden Fällen sei Ihnen der bestellte Artikel bereits an die Apotheke geliefert worden, liege aber am Bilanzstichtag noch im Abholerregal:

  • Fall 1: Der Kunde bezahle erst bei Abholung bzw. bei der Lieferung durch den Boten.
  • Fall 2: Der Kunde bezahle bereits bei der Bestellung an der Kasse bar bzw. mit EC-Karte.

Im ersten Fall ist der Vorgang somit noch nicht kassenwirksam bearbeitet worden. Vielmehr haben Sie lediglich eine Reservierung bzw. Nachlieferung erzeugt: Durch die Wareneingangsverbuchung erhöht sich der Bestand zunächst, der Artikel befindet sich unabhängig vom Lagerkennzeichen mit einem entsprechenden Bestand im Besitz und im Eigentum der Apotheke. Da Sie den Artikel aber noch nicht abverkauft und folglich keinen Umsatz realisiert haben, ist der Wareneinkauf noch nicht erfolgswirksam.

Der Bestand des Artikels ist daher im Inventurbestand zu berücksichtigen. Andernfalls wären sowohl der Inventurbestand als auch der Wareneinsatz bzw. der Rohertrag unzutreffend. Erst bei der Abholung bzw. Botenlieferung reduzieren Sie den Bestand, und wenn der Kunde dann bezahlt, generieren Sie einen Umsatz.

Wenn der Kunde im zweiten Fall bereits bei der Bestellung bezahlt, müssen Sie an der Kasse einen entsprechenden Vorgang anlegen. Wirtschaftlich betrachtet handelt es sich dabei eigentlich nur um eine An- bzw. Vorauszahlung, da ein Umsatz erst bei Abgabe bzw. Lieferung des Artikels entsteht. Und rechtlich gesehen begründet das – zumindest in meinen Augen – auch noch keinen Eigentumsübergang auf den Kunden, da hierfür nach §929 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ebenfalls die Übergabe des Artikels erforderlich ist.

Diesen Sachverhalt berücksichtigt aber meines Wissens kein Warenwirtschaftssystem (WWS). Hier wird vielmehr immer bereits mit der Bezahlung ein Umsatz in den Kassendaten ausgewiesen. Damit der Rohertrag trotzdem zutreffend deklariert ist, muss deswegen auch der zugrundeliegende Wareneinkauf erfolgswirksam werden – was wiederum zur Folge hat, dass sich die Artikelbestandserhöhung, die sich durch die Wareneingangsverbuchung ergibt, nicht auf den Inventurbestand auswirken darf.

Die WWS lösen dieses Problem auf unterschiedliche Art und Weise. Die meisten von ihnen mindern den Bestand bereits beim (fiktiven) Abverkauf. Da dieser Bestand ja vorher "0" betrug, wird er also zunächst auf "–1" gemindert und bei der Verbuchung des Warenzugangs wieder auf "0" zurückgesetzt. Wenn der Artikel dann tatsächlich abverkauft wird, bleibt der Bestand so, wie er ist. Damit ergibt sich während des gesamten Vorgangs kein positiver Bestand, und der Inventurbestand verändert sich nicht.

Andere Systeme arbeiten zusätzlich zur eigentlichen Bestandsführung mit einem "Reservierungsbestand": Hier bleibt der "echte" Bestand auch beim (fiktiven) Abverkauf auf "0", während parallel die entsprechende Reservierungsmenge ausgewiesen wird. Sobald Sie dann Ware hinzubuchen, wird deren Bestand dann entsprechend erhöht. Wenn Sie die Ware anschließend an den Kunden übergeben und damit den Bestand wieder verringern, wird die Reservierungsmenge gelöscht.

In diesem Fall ist es zwar wohl korrekt, den Bestand im Rahmen der Inventur zu berücksichtigen. Denn der Artikel befindet sich ja physisch noch in der Apotheke und somit in Ihrem Eigentum. Allerdings wird der Rohertrag damit verfälscht, da Sie einen Umsatz erzeugen, dem kein Wareneinsatz gegenübersteht: Sie weisen also einen zu hohen Rohertrag aus.

Auch an das Positive denken

In beiden Fällen erzeugt das WWS regelhaft einen Abhol- bzw. Nachlieferungsbeleg, der auch alle Vorgänge von der Kundenbestellung bis zur Warenabgabe miteinander verknüpft. Damit Sie die Bestände bei der Abgabe an den Kunden zutreffend abbuchen können, müssen Sie diesen Beleg dann entsprechend durch Abscannen "auflösen". Passiert das nicht, weist Ihre Inventur möglicherweise Bestände an Negativartikeln auf, die gar nicht mehr vorhanden sind – und kann hierdurch in Einzelfällen erheblich verfälscht sein.

Daher sollten positive Bestände von Nichtlagerartikeln in Rahmen der Inventur stets berücksichtigt werden. Bei Systemen, die es bei der Inventurerstellung erfordern, positive Bestände von Negativartikeln manuell auszuwählen, sollten Sie dies also entsprechend tun. Denn ansonsten weisen Sie sowohl den Inventurbestand als auch den Rohertrag unzutreffend aus.

Ralf Dreczko, Diplom-Kaufmann, Treuhand Hannover, 10115 Berlin, E-Mail: ralf.dreczko@treuhand-hannover.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2021; 46(17):8-8