Betrügerisches Schneeballsystem

Steuer auf Scheinrenditen?


Helmut Lehr

Alljährlich wiederholen sich Fälle, in denen gutgläubige Kapitalanleger Gelder an die Betreiber von Schneeballsystemen o.ä. verlieren. Schlägt dann auch noch der Fiskus zu, ist man doppelt gestraft. Hilfe kommt jetzt vom Bundesfinanzhof.

Als Schneeballsystem werden Geschäftsmodelle bezeichnet, die zum Funktionieren eine ständig wachsende Anzahl an Teilnehmern benötigen, analog einem den Hang hinabrollenden und dabei stetig anwachsenden Schneeball (vgl. Wikipedia "Schneeballsystem"). Im Tal angekommen, schlägt der Ball mit einem großen Knall auf und zerspringt. Zurück bleiben zahlreiche geschädigte Anleger, die ihre Einlagen mitunter vollständig verlieren.

Da die Methoden immer raffinierter werden und durch "Online-Marketing" eine sehr große Zahl potenzieller Kunden erreicht werden kann, gehören nicht nur "allzu gierige Kapitalanleger" zu den Geschädigten, sondern oft auch "Otto Normalverbraucher".

Hinweis: Vielfach unbekannt ist die Tatsache, dass der Fiskus für die tatsächlich nie erhaltenen Kapitalerträge unter Umständen auch noch Steuern verlangt, sofern er "steuersystematisch" von einem Zufluss des Geldes ausgeht.

Auf die "Gutschrift" kommt es an

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat bereits in der Vergangenheit in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass auch Scheinerträge aus Schneeballsystemen unter gewissen Voraussetzungen Einnahmen aus Kapitalvermögen darstellen. Für die Einordnung als (steuerpflichtiger) Kapitalertrag kommt es darauf an, wie sich das Rechtsverhältnis aus Sicht des Anlegers als Leistungsempfänger objektiv darstellt. So kann z.B. eine Gutschrift in den Büchern des Verpflichteten (Initiator/Betreiber des Systems) einen steuerrelevanten Zufluss bewirken, wenn damit zum Ausdruck gebracht wird, dass der Anleger darüber verfügen kann bzw. könnte.

Die Besteuerung wirkt insbesondere in solchen Fällen unverhältnismäßig, in denen der in den Büchern gutgeschriebene Betrag sofort wieder angelegt wird (was als Zufluss gilt – durch Novation) und später tatsächlich nie mehr zur Auszahlung gelangt.

Hinweis: Ob steuerpflichtige Kapitalerträge vorliegen, hängt auch davon ab, ob der Betreiber des Schneeballsystems zum Zeitpunkt der Gutschrift der Erträge in den Büchern finanziell noch in der Lage gewesen wäre, das Geld tatsächlich auszuzahlen.

Kapitalertragsteuerabzug als Rettungsanker

Seit der Einführung der "Abgeltungsteuer" sind Steuerpflichtige nicht mehr verpflichtet, ihre Kapitalerträge in der Einkommensteuererklärung anzugeben. Die Kapitalertragsteuer, die vom Vergütungsschuldner (z.B. Bank) einzubehalten ist, hat insoweit abgeltende Wirkung (vgl. §43 Absatz 5 Satz 1 EStG).

Diese Vorschrift kann sich jetzt als Rettung für Geschädigte eines Schneeballsystems erweisen, die nicht oder nur zum Teil ausgezahlte Erträge auch noch voll versteuern sollen. Der BFH hat nämlich gleich in mehreren Fällen entschieden, dass die Abgeltungswirkung selbst dann eintritt, wenn die Kapitalertragsteuer vom Schuldner der Kapitalerträge zwar einbehalten, nicht aber beim Finanzamt angemeldet und an dieses abgeführt wurde (vgl. Urteil vom 29.9.2020, Aktenzeichen: VIII R 17/17; Urteil vom 27.10.2020, Aktenzeichen: VIII R 3/20; Urteil vom 27.10.2020, Aktenzeichen: VIII R 42/18).

In den drei vergleichbaren Sachverhalten haben die obersten Steuerrichter zunächst nochmals klargestellt, dass die Scheinrenditen Kapitaleinkünfte darstellen, weil die Betroffenen die Auszahlung der vorgetäuschten Einnahmen zumindest in den Streitjahren noch hätten erreichen können. Da die Kapitalertragsteuer allerdings in allen drei Fällen offenbar von den Betreibern des Schneeballsystems einbehalten worden war, kam eine Besteuerung im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung nicht in Betracht.

Der BFH weist ausdrücklich darauf hin, dass die Abgeltungswirkung auch dann eintritt, wenn die Kapitalertragsteuer nie beim Finanzamt ankommt, was gerade bei betrügerischen Schneeballsystemen an der Tagesordnung ist.

Hinweis: Für die geprellten Anleger entfällt damit faktisch die problematische Besteuerung der Scheinerträge – zumindest in den Fällen, in denen die Betrüger die Kapitalertragsteuer vor "Gutschrift der Beträge in den Büchern" abgezogen haben. Dies wird vergleichsweise häufig der Fall sein, weil damit den Anlegern ja möglichst lange vorgegaukelt werden kann, dass sie es mit einem seriösen Finanzpartner zu tun haben.

Was noch zu beachten ist

Etwas anderes kann gelten, wenn der geschädigte Anleger wusste, dass der Betreiber des Schneeballsystems die einbehaltene Kapitalertragsteuer nicht beim Finanzamt anmelden wird. Hierüber wird er jedoch regelmäßig keine Kenntnisse haben.

Vorsicht ist auch bei einem Antrag auf Günstigerprüfung geboten. Steuerpflichtige haben nämlich generell die Möglichkeit, Kapitalerträge gezielt im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung zu berücksichtigen, wenn sie sich dadurch ein besseres Besteuerungsergebnis als durch den Einbehalt der Abgeltungsteuer (Kapitalertragsteuer) erhoffen. Diese sog. Günstigerprüfung würde dazu führen, dass auch die Scheinrenditen angesetzt werden, während die Kapitalertragsteuer mangels ordnungsgemäßer Steuerbescheinigung nicht angerechnet werden kann.

Hinweis: Die Günstigerprüfung muss allerdings ausdrücklich beantragt werden. Das bedeutet: Ohne konkreten Antrag des Steuerpflichtigen und gegen seinen erklärten Willen können die Kapitalerträge in solchen Fällen nicht in die Einkommensteuerveranlagung einbezogen werden.

Helmut Lehr, Dipl.-Finanzwirt (FH), Steuerberater, 55437 Appenheim

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2021; 46(18):16-16