Cannabis-Liberalisierung

Kiffen für die Apothekenzukunft?


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Das Geschäft mit den "Ferien vom Ich", temporär oder gar auf Dauer, war schon immer sehr einträglich, fragt sich nur, für wen. Rauschdrogen aller Art begleiten die Menschheit seit Anbeginn. Und seit jeher sind diese ebenso umstritten. Einerseits gnadenlos bekriegt oder aber heiß geliebt, letzteres oftmals nicht ganz freiwillig. Abhängigkeiten bis hin zur (physischen) Sucht lassen grüßen. Der Übergang vom harmlosen bzw. allenfalls tolerablen Alltagskonsum bis hin zur manifesten Suchtkrankheit ist fließend. Zudem ist es mit dem menschlichen Bewusstsein und der Psyche so eine Sache, erst recht mit deren "Erweiterung" oder dem Austesten von Grenzen. Da kann man schon Angst vor den Untiefen des eigenen Ich bekommen, und erst recht vor denen des Nachbarn.

All dies mag die Ambivalenz des Themas erklären, die in den Regionen der Welt ganz anders aufgelöst wird. Grob besteht ein Ost-West-Gefälle – im "disziplinierten" Asien herrscht durchwegs große Skepsis gegenüber "Rauschdrogen" und eine Politik der harten Repression, während im "Westen" das Thema schon immer zwiespältig betrachtet wurde, mit immer deutlicheren Tendenzen einer liberaleren Handhabung ehemals verteufelter Substanzen. Wo die künftigen Grenzlinien verlaufen werden, bleibt einstweilen offen. In jedem Falle verschieben sie sich, Cannabis scheint nun die neue Demarkationslinie zu sein. Ob es demnächst "Magic Mushrooms", Kokain, Amphetamine, LSD oder gar Opioide sein werden, bleibt einstweilen offen. Einige Länder wie zum Beispiel Portugal haben diese Grenzen schon ziemlich weit verschoben.

Dass die mutmaßliche "Ampelregierung" sich anschickt, das Thema Cannabis zu "Genusszwecken" aus der Dunkelecke zu holen, entbehrt nicht einer gewissen Situationskomik, wenn andererseits die klassischen Raucher immer mehr Restriktionen ausgesetzt werden. Cannabis wird ganz überwiegend – geraucht.

Zur Cannabis-Pharmakologie gibt es viele Abhandlungen. Cannabis kann sehr viel, aber letztlich nichts richtig gut. Zudem hat das "Gras" (im Gegensatz zu einigen Fertigpräparaten auf Cannabinol-/Cannabidiol-Basis) bislang keinen vollständigen Arzneimittel-Zulassungsprozess durchlaufen, obgleich medizinisch verwendet und verordnet – ebenfalls eine Kuriosität. Dass sich Cannabis natürlich nicht in der Zutatenliste des Lebensmittel- und Futtermittel-Gesetzbuches findet, und auch keine Novel-Food-Zulassung vorweisen kann, sei nur am Rande erwähnt.

Gleichwohl ist man drauf und dran, eine weitgehende Liberalisierung zu wagen. Da stellt sich rasch die Frage, was eigentlich legal werden soll, und welche Anforderungen an "lizenziertes" Cannabis zu stellen sind. Schränkt man dies zu sehr ein (indem z.B. der THC-Gehalt stark limitiert würde), öffnet man doch wieder dem Schwarzhandel Tür und Tor, der dann das "starke Kraut" im Angebot hätte – oder gleich auf Mischungen mit weiterhin Illegalem auswiche, was heute schon passiert. So einfach ist es also mit der Cannabis-Freigabe und dem Austrocknen des Schwarzmarktes im Detail nicht.

Bleibt die Frage nach den Vertriebswegen. Apotheken sind eine Option. Ungeachtet der ethischen Abwägungen: Wäre es denn wirtschaftlich eine Chance? Im liberalen Kanada beträgt der statistische Cannabis-Konsum (lizenziert, legal) beachtliche 10 Gramm pro Einwohner, nicht-lizenziert noch einmal fast genau so viel. Der Preis je Gramm liegt dort lizenziert bei 6 € bis 7 €, die "Herstellkosten" bei 1 € bis 2 €. Hierzulande wären wohl im Verkauf 10 € bis 12 € realisierbar, was etwa dem Schwarzmarktpreis oder etwas darüber entspräche. Nach Mehrwertsteuer und großzügigem Einkaufspreis sind durchaus 4 € bis 5 € Rohertrag je Gramm denkbar, der perspektivisch in einem freien Preismarkt möglicherweise etwas fallen könnte. Oder wäre gar eine Preisbindung einschließlich Vertriebsexklusivität anzustreben?

Je Apotheke, nach kanadischen Verbrauchswerten, wären statistisch legale 45 Kilogramm Cannabis pro Jahr zu erwarten, mit einem Rohertrag um sehr stolze 200.000 €. Sieht man allein auf diese Größenordnung des potenziellen Marktes, täte es dem Berufsstand gut, dieses Thema wirklich "ergebnisoffen" und vorurteilsfrei anzugehen. Auch und gerade im Sinne der Volksgesundheit.

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2021; 46(22):19-19