Andere Kommunikationsmuster, andere Themen, neue Wortschöpfungen

Wie Corona unsere Sprache verändert


Anna Schatz

In der veränderten Lebenswirklichkeit während der Corona-Pandemie haben Menschen das Bedürfnis, auch sprachlich zu reagieren. Wörter, bislang nur im wissenschaftlichen Kontext bekannt, haben Hochkonjunktur, wie Pandemie, Inzidenz oder R-Wert. Was macht das mit uns?

Unsere Sprache ist immer im Wandel. Sie variiert ständig, je nachdem welcher Gruppe wir zugehören, in welcher Situation wir uns befinden, oder welche Medien wir konsumieren. Nicht zuletzt die Politik kommuniziert in einer neuen Art und Weise über moralische Appelle, Aufrufe und Belehrungen mit uns.

Sprache lässt sich insoweit niemals auf feste Strukturen ein. Es gibt, ganz entgegengesetzt zum Glauben vieler Menschen, keinen sprachlichen Ursprung. Wir sind, was unsere Sprache angeht, extrem flexibel. Viel mehr noch, wir nutzen unsere Sprache, um uns mit heftigen Einschnitten in unsere Lebenswelt auseinanderzusetzen.

Dieser Wandel kann ganz unterschiedlich passieren, zum Beispiel durch das Bilden neuer Wörter. Gerade in der Corona-Pandemie gibt es davon eine ganze Menge, wie Social Distancing, Hotspot, Corona-Knast, Impfneid und viele mehr.

Oft nutzen wir dabei eine sogenannte Pseudolinguistik, kombinieren also englische Wörter aus einem anderen Kontext. So gelingt es uns, noch etwas mehr Distanz zu gewinnen. Schließlich sprechen wir im Alltag sonst meist kein Englisch. Das Wort ist uns zunächst fremd, es ist uns nicht so nah und das soll es auch nicht sein.

Unsere Verantwortung im Kundengespräch

Komplizierter wird es, wenn Sie Begriffe, die aus dem Fachdiskurs kommen (wie Inzidenz, Durchseuchung oder Mutante) in den öffentlichen Raum tragen, z.B. im Gespräch mit Ihren Kunden oder Freunden. Dabei gelingt es Ihnen aufgrund Ihrer emotionalen Verbundenheit nicht immer, die Begriffe sachlich und adäquat zu "übersetzen". Sie betrachten sie vereinfacht-populär und befeuern so eine Bedeutungsverschiebung zum Negativen.

Dabei tragen Sie eine hohe Verantwortung, denn die Menschen glauben Ihnen und richten Ihre Meinung nach Ihren Aussagen aus. Ihre Sprache dient als Orientierungspunkt in einer sprachlichen Welt, die geprägt ist durch politischen Wirrwarr, gefärbte Marketingaussagen, bei denen jeder kleine und große Verkäufer Profit aus der Krise ziehen möchte, und vielen unterschiedlichen Meinungen.

Ihre Kunden sehnen sich aber nach fachlicher Klarheit, und das auch einmal ohne emotionale Prägung. Sehen Sie sich nur den Begriff Mutante an. Virologisch betrachtet ist er wertneutral. Emotional betrachtet wird er schnell zum Kampfbegriff und zum Akteur der nächsten Pandemiewelle.

Es besteht so die Gefahr, dass wir Denklogiken entstehen lassen, die keine Sachverhaltslogiken sind, und die schließlich alle sozialen Schichten durchdringen.

Neue Wörter entstehen

Drastische Geschehnisse verändern unseren Wortschatz. Ein prominentes Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit, das wir wahrscheinlich alle noch gut im Gedächtnis haben, sind die verheerenden Anschläge vom 11. September 2001.

Auf einmal gab es in der Folge eine ganze Reihe neuer Wörter, wie Ground Zero, Nine Eleven oder die "Achse des Bösen".

Es gibt allerdings einen Unterschied zum Spracheinfluss der jetzigen Corona-Pandemie. Dieser besteht in der langen Zeit, in der wir uns nun schon in dieser Sprachepoche aufhalten. So gehen Wissenschaftler davon aus, dass wir im Normalfall nur etwa 100 Wörter in einem bestimmten Bereich, z.B. in unserem Job, am häufigsten nutzen.

Wortschatzforscher des Instituts für Deutsche Sprachforschung (IDS) fanden nun aber heraus, dass sich innerhalb von 18 Wochen Wörter wie Coronavirus oder Corona-Krise unangefochten an der Spitze halten.

Nur einige Wörter werden bleiben, viele aber nicht

Eine ganz eigene Gruppe hierbei sind die sogenannten Pseudoanglizismen, oder im Alltagsgebrauch auch "denglische" Wörter genannt. Prominentes Beispiel hierfür ist das "Homeoffice".

Diesen Begriff gibt es in Großbritannien auch, dort bezeichnet er allerdings nicht den Schreibtisch daheim, sondern das Innenministerium. Durch die Verwendung des Englischen werten wir das deutsche Wort "Heimarbeit" auf und fühlen uns schlagartig besser damit. Die sofortige Umstellung, die wir vollziehen müssen, fühlt sich besser an, für uns und für die Mitarbeiter, die wir nach Hause schicken.

Die jüngsten Erhebungen des IDS zeigen, dass die Frequenz der Corona-Wörter im Verhältnis zu anderen Vokabeln bereits langsam wieder abnimmt – einhergehend mit einer Normalisierung – und früher, als es die Linguisten erwartet hatten. Insgesamt geht man am IDS davon aus, dass sich dieses Verhältnis nach einer "Normalisierungsperiode" wieder da einpendeln wird, wo es vor der Pandemie war. Dabei ist es spannend mitanzusehen, welche Wörter wieder aus unserem temporären Corona-Wortschatz verschwinden und welche sich in unserem Alltagssprachgebrauch verankern werden.

Wörter wie Reproduktionszahl und R-Wert werden wahrscheinlich bald in Vergessenheit geraten. Doch Wörter wie "Alltagsmaske" werden mit hoher Wahrscheinlichkeit ihren Weg in unsere Sprache finden und dort mit einer neuen Wertigkeit besetzt werden.

Vorsicht vor Euphemismen

In lokalen Geschäften und besonders im Kontakt mit älteren Menschen, Kranken sowie generell in sensiblen Gesundheits- oder Gesprächsbereichen gilt es nun, wachsam in der Wortwahl zu sein. Kriege und Seuchen hinterlassen Spuren in der Sprache, die später durch Werbung und Marketing verschleiert werden. Und das war schon immer so, denn sie sind ein probates Mittel zur Durchsetzung eigener Ziele.

Ein Beispiel, welches sich fest im deutschen Wortschatz eingebürgert hat, sind die Rosinenbomber aus der Nachkriegszeit.

Rosinenbomber (in den USA bekannt als "Candy bomber" oder "Raisin bomber") ist die umgangssprachliche Bezeichnung für die Flugzeuge der Alliierten zur Zeit der Berliner Luftbrücke, welche seinerzeit (1948/1949) West-Berlin mit Lebensmitteln und vielen anderen lebenswichtigen Hilfsmitteln versorgten. Dabei war es übrigens ein US-Leutnant, der den Begriff prägte, um das Wort "Versorgungsflugzeug" durch einen solchen Euphemismus positiv zu belegen.

Eine ähnliche Entwicklung lässt sich heute bei Begriffen wie der "neuen Normalität" beobachten, eine Alliteration, die uns leicht über die Lippen geht, die jedoch für Betroffene, Hinterbliebene oder für ängstliche Menschen jegliche Gefahren und Risiken kaschiert.

Hier haben wir es eindeutig mit einem Euphemismus zu tun. Wir deklarieren einen "Ausnahmezustand" als normal. Dabei bedeutet diese "neue Normalität" für Ihr Gegenüber aber womöglich tiefe Trauer, Angst, Überwachung und je nach eigenem Erleben auch noch viel mehr.

Statt einfach nur zu sagen: "Das ist jetzt eben unsere neue Normalität", suchen Sie lieber das Gespräch und stellen Sie Ihrem Gegenüber offene Fragen:

  • Wie gehen Sie mit der Situation um?
  • Was hilft Ihnen jetzt?
  • Wie sind Sie in der Vergangenheit mit so etwas umgegangen?
  • Wie können wir Sie unterstützen?

Erkennen Sie die Situation Ihrer Gesprächspartner an und spiegeln Sie aufrichtig einen Moment des Mitgefühls: "Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Sie sich einsam fühlen. Ich habe den Eindruck, dass es für Sie nicht leicht ist, den Tag immer rumzubekommen." Werden Sie dabei nicht mitleidig, sondern bleiben Sie auf Augenhöhe!

To-Do-Liste "Sprache im Alltag"

  1. Trainieren Sie Ihren Wortschatz, indem Sie Texte im Vier- bis Sechs-Augenprinzip lesen.
  2. Nutzen Sie positive Kommunikation, jedoch keine Euphemismen; hierbei können Kommunikationsexperten helfen.
  3. Schulen Sie Ihr Personal im professionellen "Übersetzen" von Fachbegriffen und legen Sie ein kleines Lexikon hierzu an.
  4. Üben Sie immer wieder, echtes Mitgefühl von Mitleid zu unterscheiden. Das ist es, was Sie in Ihrer Vor-Ort-Apotheke einzigartig macht!

Anna Schatz, Geschäftsführende Gesellschafterin, HealthcareComm GmbH 47802 Krefeld, E-Mail: kontakt@healthcarecomm.eu

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2021; 46(22):10-10