Baldiger Start des E-Rezepts bringt Rückenwind für Online-Marktplätze

Was Sie von Plattformen erwarten können


Dr. Hubert Ortner

Mit der Einführung des E-Rezepts gewinnen auch Apotheken-Plattformen an Bedeutung. Eine Schlüsselrolle kommt sicher der Verbandslösung zu, doch welcher Marktplatz sich am Ende durchsetzen wird, ist offen. Wir liefern Ihnen einen aktuellen Überblick und eine Einordnung.

Die Einführung des E-Rezepts ab 01.01.2022 wird den Markt sicher nicht von heute auf morgen umkrempeln. Aber sie ist ein sichtbares Zeichen dafür, dass die Digitalisierung unaufhaltsam voranschreitet. Für die Apotheken-Plattformen, die in den letzten zwei Jahren entwickelt wurden, war das E-Rezept Antreiber und Rückenwind gleichermaßen. Weil Marktplätze – je nach Branche – einen beachtlichen Anteil "abschöpfen", lohnt es sich für Sie als Apotheker/in unbedingt, sich hier ein genaues Bild zu machen. Wir liefern Ihnen dazu einen aktuellen Überblick. Grundlage dafür war die Podiumsdiskussion auf der Expopharm Impuls 2021 im September mit dem treffenden Titel "Plattformen – Fluch oder Segen für die Apotheke vor Ort?"

Dr. Stefan Schwenzer, Inhaber der Kosmos Apotheke in Bremen, stellte gleich zu Beginn der Diskussion klar: "Es ist keinesfalls zu früh, sich als Apotheker jetzt mit diesem Thema auseinanderzusetzen." Seine Empfehlung: Es lohnt sich unbedingt, eigene Erfahrungen zu sammeln – nicht nur mit einer einzigen Plattform.

Der Name ist Programm

Bei der Plattform "Frag die Apotheke" steht die Gesundheitsberatung im Fokus. "Mein Ansatz ist nicht transaktionsbezogen", erklärt Steffen Kuhnert, Apotheker aus Köln und Geschäftsführer der FDA FragDieApotheke GmbH, weil er überzeugt ist, dass die Zukunft der Apotheken nicht im reinen Produktverkauf – egal ob OTC- oder Rx-Präparate – liegen könne. Im Internet sei den Apothekern ihre ureigene Kernkompetenz – die umfassende Gesundheitsberatung – genommen worden, konstatiert Kuhnert und stellt die provokante Frage: "Wo spielen Apotheken online wirklich eine Rolle in Gesundheitsfragen?" Genau in diese Lücke stößt FDA, indem es die Endkunden mit ihren Fragen und Anliegen auf verschiedenen Kanälen (Videocall, Textnachrichten etc.) direkt mit Experten aus der Apothekerwelt vernetzt.

Der Marktplatz ist noch nicht live gegangen. Die Anschub-Finanzierung haben knapp 100 Apotheken gestemmt – passend zum Leitmotiv der Plattform, das Kuhnert so zusammenfasst: "Aus der Apothekerschaft für die Apothekerschaft". Mittelfristig soll sich FDA aber über monatliche Gebühren der teilnehmenden Apotheken refinanzieren.

Jetzt ist der richtige Zeitpunkt

Erst vor Kurzem (Ende September) live gegangen ist der Marktplatz gesund.de, dem sich bereits 6.000 Apotheken angeschlossen haben. Dahinter steht die GfD Gesundheit für Deutschland GmbH & Co. KG, die im Januar 2021 in München gegründet wurde. Deren Gesellschafter sind Phoenix, Noventi, Wort & Bild, BD Rowa sowie Sanacorp.

Neben der integrierten E-Rezept-Funktion bietet gesund.de ein sehr breites Produktangebot (gut 100.000 verfügbare Artikel) sowie Services wie die integrierte Arztsuche mit angeschlossener Terminvereinbarung Eine kostenlose App ist bereits verfügbar. Diese soll kurzfristig durch eine kostenpflichtige Version mit einem deutlich erweiterten Funktionsspektrum für Apotheken ergänzt werden.

Dr. Sven Simons, Geschäftsführer von gesund.de, blickt optimistisch in die digitale Zukunft: "Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um durchzustarten. Wir haben eine tolle Marke und unterstützen jede Lösung, die dafür sorgt, dass das E-Rezept am Ende in einer öffentlichen Apotheke landet."

Digitale Kundenreise stehtim Vordergrund

Einen etwas anderen Ansatz verfolgt Dr. Jan-Florian Schlapfner, Gesamtprojektleiter von ihreapotheken (ia.de), dem Online-Portal des Zukunftspakts Apotheke, das bereits im April 2019 live gegangen ist. Bei der Konzeption des Marktplatzes stand die in Zukunft zunehmend digitale Kundenreise (Customer Journey) im Vordergrund. Dazu hat man unter anderem Kooperationen mit reichweitenstarken Gesundheitsportalen wie Netdoktor geschlossen, um die Kunden ganzheitlich zu beraten. "Wir wollen ein Gesundheits-Ökosystem entwickeln", so Schlapfner.

Hinter dem Zukunftspakt Apotheke, dem sich bereits mehr als 7.000 Apotheken angeschlossen haben, und dem Portal ia.de stehen der Burda-Verlag, Noweda, Pharma Privat, die ARZ Haan AG, Netdoktor und Apostore.

Die Kräfte bündeln

Schon lange bevor der Wettstreit der Apotheken-Plattformen um Kunden und deren Rezepte begann, war die Pole Position klar vergeben – an die Standesvertretung. Die Lösung der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA/DAV) ist denn auch der einzige Marktplatz, dessen Marktrelevanz völlig unstrittig ist: Mehr als 98% der deutschen Apotheken sind an das Portal (mein-apothekenportal.de) angeschlossen, zudem wurden darüber bereits mehr als 54 Mio. digitale Impfzertifikate ausgestellt. Schwachpunkt der Verbandslösung ist das noch rudimentäre Patientenportal (mein-apothekenmanager.de). Auch eine Kunden-App gibt es bislang nicht. Dass hier noch viel Luft nach oben ist, räumt auch Sören Friedrich, Abteilungsleiter IT/Telematik bei der ABDA in Berlin, offen ein. Er ist dennoch zuversichtlich, dass man die Lücken auf der "letzten digitalen Meile" zu den Patienten rasch wird schließen können.

Friedrich zielte bei der Podiumsdiskussion noch auf zwei andere, aus seiner Sicht essenzielle Punkte ab:

  • die sichere Übertragung der sensiblen Daten und
  • den teuren Aufbau redundanter IT-Infrastrukturen.

"Ich sehe den Großteil der E-Rezepte über die sichere Telematik-Infrastruktur laufen", ist der IT-Spezialist überzeugt. Zugleich kritisierte er, dass die anderen Plattform-Anbieter ihre eigenen Infrastrukturen aufbauen. Friedrich: "Das kostet sehr viel Geld, das am Ende die Apotheker bezahlen werden müssen." Er plädiert für ein Kooperationsmodell: "Man könnte doch die Kräfte bündeln, um im Interesse der öffentlichen Apotheken gemeinsam gegen die großen Wettbewerber wie DocMorris oder Amazon anzutreten."

Digitalisierung = Kommerzialisierung?

Und wie bewerten eben diese Apotheken das aktuelle Plattform-Angebot im Allgemeinen und die Lösung der Verbände im Speziellen? Stefan Schwenzer pflichtet Sören Friedrich bei, dass die sichere Übertragung der sensiblen Patientendaten von zentraler Bedeutung ist: "Da ist die Telematik-Infrastruktur gesetzt." Insofern begrüßt er auch den Ansatz der ABDA, ihre Portallösung auf offene Schnittstellen und die sichere Telematik-Infrastruktur aufzubauen. Wenig hilfreich findet Schwenzer den Wirrwarr an Angeboten: "Das macht es für uns als Apotheker schwierig, den Überblick zu behalten." Hier würde er sich eine stärkere Unterstützung vonseiten der Verbände wünschen.

Und der gebürtige Bremer hat noch eine grundsätzliche Kritik an der Richtung, die die Digitalisierung nimmt, im Gepäck: "Das läuft immer stärker in Richtung Kommerzialisierung, und das ist ein saurer Drops, den wir als Apotheker schlucken sollen: Wir sehen uns ja aus gutem Grund als Heilberufler." Im schlimmsten Fall drohe eine ähnlich falsche Entwicklung wie schon bei den Krankenhäusern. Dazu Schwenzer: "Die Frage, ob es für unsere Gesellschaft gut ist, wenn der Gesundheitsmarkt immer stärker kommerzialisiert wird, muss intensiv diskutiert werden – auf allen Ebenen!"

Gut informiert besonnene Entscheidungen treffen

  • Apotheken-Plattformen sind im Kommen und werden sich ein Stück vom pharmazeutischen Kuchen sichern.
  • Beschäftigen Sie sich jetzt aktiv mit dem Thema, um für Ihr Haus überlegte Entscheidungen treffen zu können.
  • Die Kosten für die Entwicklung und den Betrieb von Marktplätzen werden am Ende Sie als Apotheker tragen – auch unserer Branche wird es nicht gelingen, die "Endkunden" für digitale Mehrwerte zur Kasse zu bitten.
  • Dass teure Mehrfachstrukturen aufgebaut werden, ist ärgerlich und ein klares Versäumnis der Politik: Diese hat es nicht geschafft, die sichere Übertragung der sensiblen Gesundheitsdaten bis zur letzten Meile (den Patienten) als hoheitliche Aufgabe selbst sicherzustellen.

Dr. Hubert Ortner, Biochemiker, Chefredakteur AWA, E-Mail: hortner@dav-medien.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2021; 46(23):6-6