Kindergeld bei mehraktiger Berufsausbildung

Wegweisendes Verfahren auf der Zielgeraden


Helmut Lehr

Haben volljährige Kinder ihre erste Berufsausbildung beendet, gibt es das Kindergeld danach nur unter besonderen Voraussetzungen. Ob bzw. wann noch eine begünstigte Erstausbildung – ggf. in "mehreren Akten" – vorliegt, ist sehr stark einzelfallabhängig.

Die erste Berufsausbildung berechtigt zum Kindergeld, wenn der Nachwuchs das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Bei einer weiteren Ausbildung steht der Kindergeldanspruch auf der Kippe. Hier prüft nämlich die Kindergeldkasse sehr genau, ob das Kind parallel einer Erwerbstätigkeit nachgeht. Eine solche würde die Eltern nur dann weiterhin zum Kindergeld-Bezug berechtigen, wenn die wöchentliche Arbeitszeit 20 Stunden nicht übersteigt.

Hinweis: Da allerdings sehr viele junge Menschen nach ihrer ersten Ausbildung eine Arbeit aufnehmen, die mehr als 20 Wochenstunden umfasst, sollte man hinterfragen, ob die "Erstausbildung im steuerlichen Sinne" überhaupt schon beendet ist.

Diese Thematik hat in den letzten Jahren bereits zahlreiche Gerichte und Finanzbehörden beschäftigt (zum BWL-Studium eines Bankkaufmanns vgl. AWA 7/2020). Aufgrund der Komplexität der Frage hatte das Bundeszentralamt für Steuern im letzten Jahr eine umfangreiche Orientierungshilfe herausgegeben. Diese soll die Abgrenzung zwischen einer mehraktigen Erstausbildung, die noch zum Bezug von Kindergeld berechtigt, und einer "kindergeldschädlichen" Weiterbildung nach erster Ausbildung erleichtern (vgl. AWA 14/2020).

Diesbezüglich gilt weiterhin die Empfehlung, dass Sie der Familienkasse unmittelbar nach Abschluss der ersten Ausbildung glaubhaft darlegen sollten, dass das angestrebte Berufsziel noch nicht erreicht ist.

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat allerdings in der jüngeren Vergangenheit entschieden, dass der "Gesamtplan des Kindes" nicht das alleinige Kriterium für die Annahme einer einheitlichen Erstausbildung darstellt (Urteil vom 14.04.2021, Aktenzeichen: III R 50/20).

Neuer Fall vor dem BFH

Bald muss der BFH über einen weiteren Sachverhalt entscheiden, der dann mehr Licht ins Dunkel bringen wird. Geklagt hatte die Mutter einer Diplom-Finanzwirtin. Die Tochter hatte ihr dreijähriges Studium bei der Finanzverwaltung im Sommer 2020 beendet und sich ab dem Wintersemester 2020/2021 für ein Jurastudium beworben. In der Zwischenzeit arbeitete sie weiter bei einem Finanzamt.

Die Mutter erklärte in ihrer Argumentation, ihre Tochter habe mit dem Sachbearbeiterposten beim Finanzamt das angestrebte Berufsziel noch nicht erreicht, vielmehr wolle sie Finanzrichterin werden, und dafür sei das Jurastudium zwingend notwendig. Neben dem zeitlichen Zusammenhang liege auch ein enger sachlicher Zusammenhang zwischen beiden "Ausbildungsabschnitten" vor.

Weil die Klage vor dem Finanzgericht Düsseldorf keinen Erfolg hatte (Urteil vom 14.6.2021, Aktenzeichen: 9 K 370/21 Kg), landete die Sache nun vor dem BFH. Das Revisionsverfahren läuft unter dem Aktenzeichen III R 22/21.

Öffnet der BFH das große Fass?

Sollte der BFH hier zugunsten der Klägerin entscheiden, wären wohl sehr viele Fälle denkbar, in denen eine auf den ersten Blick bereits abgeschlossene Berufsausbildung (oder ein Erststudium) lediglich als Teil einer mehraktigen Ausbildung angesehen werden könnten. Eine sich anschließende Erwerbstätigkeit von mehr als 20 Wochenstunden wäre dann unschädlich für das Kindergeld, sofern daneben eine weitere Ausbildung absolviert wird, oder es sich um eine viermonatige Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten handelt (vgl. AWA 22/2021).

Helmut Lehr, Dipl.-Finanzwirt (FH), Steuerberater, 55437 Appenheim

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2021; 46(23):18-18