Zwischen Corona-Depression und Flucht ins private Glück

Aussichten und Erwartungen


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Corona wird zur never ending story. Die "neue Normalität" kristallisiert sich Stück für Stück in einer Form heraus, die vor nicht langer Zeit noch als Dystopie von Fantasten und Romanautoren gegolten hätte. Trotzdem wird es weitergehen – Gedanken zum Jahresausklang.

Eigentlich sähe es doch gar nicht so übel aus:

  • Der Verordnungsumsatz soll nach den Planungen der KBV-Rahmenvereinbarung für 2022 um rund 5% zulegen.
  • Die geplanten Rentenerhöhungen 2022 bringen Ihrer Hauptkundschaft – Rentner und Pensionäre – deutlich über 10 Mrd. € netto mehr ein.
  • Der Versand kocht auch nur mit Wasser, und das E-Rezept köchelt eher vor sich hin.

Doch erst entzauberten sich die Hoffnungen auf einen schnellen Impferfolg. Nun kam "Omikron", die neue Virusvariante aus Südafrika mit dem Kürzel B.1.1.529, nochmals ansteckender (R-Wert um 10?) und damit wieder ein potenzieller epidemiologischer "Gamechanger". Eindämmungsmaßnahmen werden so immer problematischer. Die Impfeffektivität leidet ebenfalls. Was angepasste Impfstoffe leisten (dann ist Omikron aber schon längst verbreitet), bleibt abzuwarten.

Zeitschleife plus Hamsterrad

So können wir eigentlich die Uhr um ein Jahr zurückdrehen. Damals kam erst B.1.1.117 ("Briten-Mutation", Alpha) auf, die alle Vorhersagen Makulatur werden ließ. Ein neuer "Lockdown" war die Folge. Die nochmals infektiösere Delta-Variante – hier kann ein Infizierter bereits im Schnitt sechs bis acht Leute anstecken, ursprünglich waren es nur drei – folgte auf dem Fuß und führte in die vierte Welle.

Weitere Wellen erscheinen bereits vor dem geistigen Auge. Eine "neue Normalität" wird mit Blick auf frühere, liberale Gesellschaftsbilder erschreckend weit hinter Vor-Corona-Zeiten zurückbleiben. Trotzdem soll das Wirtschaftsleben möglichst wenig beeinträchtigt werden, nicht zuletzt, um eine immer dystopischere Kontroll- und Überwachungsbürokratie finanzieren zu können.

Früher lief das unter dem Motto "ora et labora". Unsere so perfekt sein wollende Gesellschaft – tatsächlich meilenweit von chinesischer Stringenz und Effizienz entfernt – verliert Maß und Mitte. Wie wird der neue Gesundheitsminister Karl Lauterbach vom "Team Vorsicht" agieren? Apotheken können sich glücklich schätzen, mehrheitlich auf der Gewinnerseite zu stehen. Aber das ist natürlich nicht die einzige Seite.

Neue Zeitaufteilung

Die Ressource Zeit steht infolge der nun immer deutlicheren Verschiebung zu neuen Dienstleistungen vor einer Neubewertung. Rein wirtschaftlich betrachtet droht Ungemach: Dienstleistungen bedeuten, man verkauft letztlich nur seine Arbeitszeit, und die ist limitiert. Ein Frank Thelen würde sagen: "Das skaliert nicht!" – und als Investor die Finger davon lassen. Das gilt besonders, wenn die Leistungen vom teuersten Personal – Inhaber und erfahrene Approbierte – erbracht werden müssen.

Besser sieht es aus, wenn die Leistungen delegiert, aber trotzdem zu guten Preisen abgerechnet werden können. So funktionieren u.a. Friseursalons oder gut frequentierte Physiotherapie-Praxen: Die Dienstleistungen werden von mäßig bezahltem Personal erbracht, so rechnen sich auch nicht allzu hohe Abrechnungs- bzw. Kundenpreise. Bei uns wäre es die Delegation vor allem an die PTA. Dreh- und Angelpunkt ist dabei die Auslastung; viel Leerlauf ist wirtschaftlich nicht drin.

Genau vor diesen Fragen stehen die Apotheken künftig. Die bisher noch nicht benannten pharmazeutischen Dienstleistungen sind ein Teil, Impfen wird ein weiteres Thema. Die Schnelltests und Zertifikate-Ausstellungen waren bereits ein Vorgeschmack, wie wichtig das Thema Zeiteffektivität über den bisherigen, eingeschliffenen HV-Routinebetrieb hinaus ist.

Umsichtige Inhaber überschlagen bereits heute ihre "Zeitbudgets" auf Basis des vorhandenen Personals, wobei stets die real geleisteten Stunden (Faustregel: 1.700 h/Jahr und Vollzeitstelle) anzusetzen sind. Sie ermitteln weiterhin, welcher Ertrag je Stunde von wem bereits heute erwirtschaftet wird – das sind nämlich die Messlatten, wenn es an die neuen Dienstleistungen geht (Abbildung 1). Werden diese nicht erreicht, wird angesichts des Flaschenhalses "Personal" der Druck auf die Betriebsgewinne zu- und nicht abnehmen.

Dazu muss insbesondere der Aufwand für die künftigen Tätigkeiten zutreffend abgeschätzt und mit den Sach- und Zeitkosten hinterlegt werden. Auch mit gutem Willen wird sich für viele Betriebe herausstellen, dass sie das gar nicht stemmen können. Große Apotheken mit Personalressourcen und womöglich heute nicht optimaler Auslastung werden die Dienstleistungen als willkommenes, imagebildendes Zusatzgeschäft begreifen.

Schwierige Kapitalmärkte

Immobilien- und Aktienmärkte haben ungeahnte Höhenflüge hinter sich. Deren Bewertungen haben sich immer mehr von der wirtschaftlichen Vernunft entfernt. Da bedarf es nur eines auslösenden Momentes, um ein reinigendes Gewitter loszutreten. Die Omikron-Virusvariante hat das Potenzial dazu, aber auch diverse Ereignisse auf der internationalen Politikbühne. Es hat sich viel Sprengkraft angesammelt.

Wirtschaftspolitisch kann das Thema Inflation trotz bzw. wegen eines geringeren Angebots (Lieferkettenprobleme!) und rückläufiger Absatzzahlen im Gefolge pandemiebedingter Störfeuer aller Art gefährlich werden. Da droht für so manche Unternehmensbilanz ernste Gefahr, und dies vor dem Hintergrund der hohen Börsenbewertungen. Das Abwärtspotenzial ist evident. Hohe Verschuldungen bei etlichen Firmen und Staaten ("Zinssensitivität") vereiteln weiterhin das mutige Gegensteuern durch höhere Zinsen. Die Gemengelage ist und bleibt schwierig. Größere Investitionen, insbesondere in aufwendige (Um-)Bauten, sollten wegen unklarer Preisentwicklungen und Liefersituationen eher zurückgestellt werden.

Am Aktienmarkt ist daher einstweilen Vorsicht geboten. Abgesehen von stabilen, wachstumsstarken "Champions-Werten" (die auch Dellen zuverlässig aufholen) dürften die Kaufgelegenheiten auf breiter Front erst noch kommen. Meiden Sie hochverschuldete Firmen!

Immobilien sind meist so überteuert und zudem mit politischen Hypotheken belastet (energetische Zwangsmaßnahmen, Mietendeckel, Enteignungsfantasien, Angebotsausweitung durch steigende Neubauaktivitäten u.a.m.), dass sich auch hier keine Investments aufdrängen. Eine Ausnahme mag die Selbstnutzung sein, die insoweit anders zu beurteilen ist, wenn die Alternative eine teure Mietwohnung ist.

Sie haben aber noch einen besonderen Trumpf: Sie können gut verzinste Anteile an Genossenschaften zeichnen. Ob besonders attraktiv rentierliche Großhandelsanteile oder – nach einer schwierigen Phase – die apoBank: In diesen Zeiten verbinden sich dort Sicherheit und Rendite; leider ist die Zahl der Anteile streng limitiert.

Renaissance des Privaten

Ausnahmezustände werden also wohl Stück für Stück das "neue Normal". Doch die Ressourcen werden langsam an allen Ecken knapp. Sparsam-effizientes Haushalten ist angesagt, allem voran mit der kostbaren Zeit, künftig immer mehr aber auch mit dem Geld.

Zahlreiche Rechnungen werden künftig noch zu begleichen sein – vor allem von den Leistungsträgern. Schwerpunkte verschieben sich. Wir erleben eine Renaissance des Privaten und des Heimischen. Die "Investitionen" in ein stabiles, persönliches Freundes- und Familienumfeld dürften in der nächsten Zeit die höchste (Zufriedenheits-)Rendite abwerfen!

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2021; 46(24):4-4