Die andere (Weihnachts-)Geschichte

Es waren einmal viele, viele Corona-Viren …


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Wo beginnen wir unsere Reise? Bei einer Fledermaus im fernen China, von wo die putzigen, Stachelprotein-bewehrten Coronaviren alsbald vertrieben wurden? Nun, andere Länder nahmen die Flüchtlinge rasch auf. Hach, was waren das für bewegte Zeiten!

Von Opa Kaluschke im Pflegeheim – stets ein Eldorado für die winzigen Stachelgeister – hinausgehustet ins Nachbarzimmer, und von Schwester Anna bereitwillig in die weite Welt getragen. Und dann der ganze Schabernack: von der Nase in die Lunge, weiter durch den ganzen Körper, die Zellen zum Platzen gebracht und viele, viele Töchterlein freigesetzt! Irgendwann behinderten hässliche Vliesvorhänge den Drang nach draußen, doch was ein munteres Virus ist, findet auch hier (Aus-)Wege. Erst recht, wenn Mann/Frau gar nicht so recht mit dieser Gesichtsmaskierung umzugehen weiß.

Doch die Zeiten sollten härter werden. Schon länger wurde von fürchterlichen Waffen gemunkelt. Einer der obersten Führer der Wirtsgemeinde drohte gar mit Chlorgas- und Desinfektionsmittelangriffen im angestammten Virenrevier der Atemwege und Blutbahnen, was allerdings nicht einmal von seinen eigenen Artgenossen ernstgenommen wurde. Auch Wurmmittel, Malaria-Tabletten und so manches mehr aus der pharmazeutischen Mottenkiste konnten den gestachelten Wuschelköpfen kaum etwas anhaben. Die Atempause währte jedoch nicht allzu lange. Das Wort "Impfung" machte die Runde. Fortan mussten sich die Viren vor aus ihrer Sicht baggerschaufelähnlichen, gnadenlosen Zangen in Acht nehmen. Geradezu fresssüchtige Abwehrzellen machten immer erfolgreicher Jagd. Schreckliche Zytokine verbrannten ihnen ihr akkurat gescheiteltes Stachelprotein-Kleid. Es waren ernste, geradezu existenzbedrohende Zeiten.

BioNTech, Pfizer, Moderna und Co. waren nun plötzlich gefürchtete Gegner geworden, worauf einige schüchternere Vertreter der Virengemeinde meinten, ob man nicht lieber BioNTech-Aktien kaufen und bei ihren Freunden, den Fledermäusen, in Rente gehen sollte. Das kam bei den Oberen überhaupt nicht gut an: "Wenn ich hier noch einmal von jemandem die Namen dieser kapitalistischen Ausbeuterfirmen hören sollte, dem rasiere ich seine Spike-Proteine ab ..." – die Höchststrafe im Coronaviren-Reich. "Die Chance liegt im Wandel" und "Stillstand ist Rückschritt", tönte es weiter aus der Chefetage.

China war indes seit jeher "verbotene Zone". Schon von Anbeginn kamen hässliche Wattestäbchen in die Nasenlöcher, in denen man es sich so schön eingerichtet hatte, ergriffen einige Virenkollegen und beförderten sie auf eine Art Streckbrett, wo sie sich, an Antikörper und Farbstoffpartikel gefesselt, ihren Wirten zur Schau stellen mussten. Doch nicht nur das – daraufhin erfolgte die strikte Isolation ihres Trägers, was auch den Bewegungsradius der kleinen Coronaviren empfindlich einschränkte. Und diese hässlichen Impfstoffe mitsamt den ganzen immunologischen Folterwerkzeugen gab es dort zwischenzeitlich auch! Nein, China ist kein Zuckerschlecken, trotz immer wieder erfolgloser Versuche, hier Fuß zu fassen.

Da ging es doch gerade in den westlichen Ländern viel gechillter zu. Zwar drohte auch hier hin und wieder die entwürdigende Wattestäbchen-Prozedur, aber im Großen und Ganzen lief es hier recht liberal und vor allem schön chaotisch ab. Gemessen an den Besiedelungserfolgen waren die Verluste marginal. Einige ulkige Exemplare der Wirtsgemeinde wehrten sich zudem lautstark mit lustigen Plakaten dagegen, die Trigger der fiesen immunologischen Abwehrarmada per Spritze verabreicht zu bekommen – ein wirklich gefundenes Fressen! Darwin hatte doch seine guten Seiten. Zudem erwiesen sich so manch gefährliche Werkzeuge aus den Pharma-Küchen als zunehmend stumpf. Freier Ausgang war wieder möglich.

Kürzlich vermeldete die 529. virale Luftlandedivision aus Südafrika entscheidende Fortschritte. Der Wandel trägt Früchte. Mit hohem Aufwand bekam das B.1.1-Outfit eine neue, komplexe Tarnkappenstruktur. Während das die Menschheit zunehmend in Verzweiflung treibt, scheint es wieder aufwärts zu gehen mit den stacheligen Gesellen. Und wenn sie nicht zwischenzeitlich doch ausgestorben sind, sollten sie sich weiterhin guter Gesundheit erfreuen – mitsamt ihrer lange genug geplagten Wirte, weil man sich nun so langsam aneinander gewöhnt und angepasst hat.

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2021; 46(24):19-19