Online-Marktplätze auf dem Prüfstand deutscher Gerichte

Vorsicht bei Verschreibungen von Plattformen!


Dr. Bettina Mecking

Elektronische Verschreibungen von Online-Plattformen unterliegen nicht dem Kontrahierungszwang. Zudem dürften die Marktplatzbetreiber gleich mehrfach gegen deutsches Recht verstoßen – unter anderem gegen das Heilmittelwerbegesetz und das Zuführungsverbot.

Während das E-Rezept 2022 langsam anlaufen wird, bilden sich im Vorfeld immer mehr Dienste heraus, die sich als vermeintliche "Retter" der Vor-Ort-Apotheken in einer sich wandelnden, digitalisierten Versorgungslandschaft gerieren. Das sind einerseits Online-Plattformen, die sowohl telemedizinische Dienstleistungen als auch Medikamente anbieten – und unter Missachtung von Zuführungs- und Zuweisungsverbot Verschreibungen vermitteln. Andere Anbieter möchten den Apotheken die schnelle Belieferung auch gleich abnehmen und sich nebenbei als "schnelle Alternative zu Online-Apotheken" etablieren.

Für diesen Kooperationskurs gibt es u.a. rechtliche Gründe: Expresslieferdienste auf eigene Faust wären für die Start-ups nicht realisierbar. Und Medikamente versenden dürfen in Deutschland nur Präsenzapotheker mit Versandhandelserlaubnis.

Ausländische Arzneiversender umgehen die restriktiven Regeln, indem sie ihre Ware aus den Niederlanden verschicken – können so aber keine minutenschnelle Zustellung erreichen.

Nun versprechen Start-up-Unternehmen gegen eine Gebühr von 2,50 € Lieferungen aus der Apotheke binnen 30 Minuten. Sie wollen ihr Angebot sodann auf Rx-Präparate ausweiten.

Die Start-ups holen die Medikamente bei den Apotheken ab. Die Beratung wollen sie sicherstellen, indem sie Telefonate zwischen Kunden und Apothekern zumindest theoretisch ermöglichen.

Wenn LieferdiensteApotheke spielen

Diese Lieferdienste "spielen ein bisschen Apotheke", obwohl sie selber keine Apotheken sind. Wie geht man mit solchen Angeboten um, wenn Lieferdienst-Apps ein Arzneimittel-Angebot bereitstellen, das durch Partner-Apotheken bedient wird?

Eine Lieferung innerhalb einer halben Stunde schaffen die ausländischen Versender nicht. Und für eine lokale Apotheke, die nicht genügend Boten hat, könnten die Angebote betriebswirtschaftlich verlockend sein.

Aber: Die Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) spricht von "Zustellung durch Boten der Apotheke". Boten im Sinne der ApBetrO sind die Kurierfahrer nicht, sie sind nicht bei der Apotheke angestellt. Ob die Apotheke in dieser Konstellation den Kassen überhaupt 2,50€ für den Botendienst in Rechnung stellen kann, ist fraglich. Da diese Zustelldienste außenstehende Logistiker sind, bräuchte die Apotheke eine Versandhandelserlaubnis, um sie einzusetzen.

Rechtliche Kärung läuft

Das Thema Expresskurierdienste für Apotheken muss in der Branchenöffentlichkeit transparent diskutiert werden – vor allem die rechtlichen Rahmenbedingungen. Ohnehin steht das Ganze gerade auf dem juristischen Prüfstand. Vonseiten des Bundesgesundheitsministeriums heißt es dem Vernehmen nach, der Botendienst dürfe nicht durch "willkürlich eingesetztes" Personal erfolgen. Die Boten müssten der Weisungsbefugnis der Apothekenleitung unterstehen.

Die Start-ups ihrerseits beteuern, dass ihre Modelle rechtlich wasserdicht seien. Doch hat das Landgericht Berlin in einer einstweiligen Verfügung (Az: 91 O 98/21 vom 11. November 2021) bereits klargestellt, dass ein solches Start-up nicht den Eindruck erwecken darf, es betreibe selbst eine Apotheke – und deutlich machen muss, von welchem Partner die Lieferung kommt.

Zu bedenken ist weiter: Wenn auch Arzneien geliefert werden, stellt sich natürlich die Frage, wie denn bei einem Zeitfenster von 30 und weniger Minuten qualifiziert beraten werden soll.

Wie sollen nun Apotheker mit zum Teil dubiosen Verschreibungen umgehen, die von Plattformen kommen? Besteht ein Kontrahierungszwang bei der Belieferung privatärztlicher elektronischer Verschreibungen?

(Kein) Kontrahierungszwang für Plattform-Verschreibungen

Solche Verschreibungen werden derzeit immer wieder in die Vor-Ort-Apotheken "gespült". Diesen obliegt die "im öffentlichen Interesse gebotene Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung": Aus diesem in §1 Apothekengesetz (ApoG) fixierten Sicherstellungsauftrag resultiert ein grundsätzlicher Kontrahierungszwang. Dieser besteht nach §17 Abs. 4 ApBetrO insbesondere bei der Belieferung klarer gültiger ärztlicher, zahnärztlicher sowie tierärztlicher Verschreibungen.

Wenn der Apotheker auf eine Benachrichtigung des Plattformbetreibers über das Vorliegen einer elektronischen ärztlichen Verschreibung hin diese erst auf einer vom Anbieter bereitgestellten Plattform "abholen" muss, reicht der Kontrahierungszwang nach §17 Abs. 4 ApBetrO so weit jedoch nicht; vielmehr gilt er nur für ordnungsgemäße Verschreibungen, die – in der Regel vom Patienten – in der Apotheke in Papierform oder elektronisch vorgelegt werden. Sofern Apotheken zusätzliche Maßnahmen ergreifen müssen, um an die Verschreibung zu gelangen, sind diese Maßnahmen vom Kontrahierungszwang nicht umfasst.

Wenn Apotheken sich freiwillig bereit erklären, das von dem Betreiber beschriebene Verfahren anzunehmen, gibt es hierzu wohl keine rechtlichen Bedenken.

Konkrete Anforderungen an digitale Verordnungen gibt es bereits heute: Zunächst brauchen diese Rezepte statt der Unterschrift eine elektronische Signatur gemäß der eIDAS (Verordnung über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste). Die bloße Vorlage einer als Rezept gekennzeichneten elektronischen Datei oder einer eingescannten Originalverschreibung ist arzneimittelrechtlich nicht ausreichend.

Zur Belieferung einer elektronischen Verschreibung muss die Apotheke die entsprechenden technischen Anforderungen für das Signieren eines E-Rezepts erfüllen. Ist der Apotheke dies bereits jetzt möglich, muss die elektronische Verschreibung nach Maßgabe der üblichen apothekenrechtlichen Vorgaben beliefert werden. Aktuell müssen Apotheken allerdings noch nicht flächendeckend elektronisch signieren können.

Ob die vom Betreiber einer Telemedizin-Plattform übermittelten Verordnungen den Apotheker berechtigen, die entsprechenden Arzneimittel abzugeben, muss stets der Apotheker selbst prüfen. Letzteres gebietet die Unabhängigkeit der Apotheke, so wie sie in §§7 und 8 ApoG vorgesehen ist.

Gleich mehrere Rechtsverstöße

Das Landgericht Köln hat bereits in einem Fall klargestellt, dass von einer Plattform ausgestellte Verschreibungen nicht den Vorgaben des deutschen Rechts entsprechen dürften (Landgericht Köln, Urteil vom 9. Oktober 2021, Az.: 31 O 20/21 (noch nicht rechtskräftig).

Diese seien nämlich unter Verstoß gegen das Fernbehandlungswerbeverbot (§9 Satz 1 Heilmittelwerbegesetz) zustande gekommen. Denn im Grundsatz gehört zu jeder Behandlung nach allgemeinen fachlichen Standards eine Basisuntersuchung, zu der in der Regel Funktionsprüfungen und Besichtigungen des Körpers sowie gegebenenfalls die Erhebung weiterer Laborwerte gehören. All dies sei bei dieser Plattform nicht möglich.

Ein Ausnahmefall, bei dem "nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist" – §9 Satz 2 HWG – sei nicht gegeben.

Weiter liege ein Verstoßgegen das apothekenrechtliche Verbot der Zuführung von Patienten (§11 ApoG) vor. Eine solche sei gegeben, wenn Apotheker das Aufsuchen eines bestimmten Arztes unmittelbar bewerben.

Untersagt seien aber auch Verhaltensweisen, "die mittelbar das Vertrauen der Verbraucher in die Unabhängigkeit der Tätigkeit der Apotheker durch das Gebaren des Apothekers stören". Und das sei etwa der Fall, wenn eine Online-Apotheke eine Kooperation mit einer Behandlungsplattform eingeht und diese auf ihrer Internetseite werbend herausstellt, ohne gleichwertig auf die Möglichkeit der Konsultation eines stationären Arztes hinzuweisen.

Dr. Bettina Mecking, M.M., Fachanwältin für Medizinrecht, Justiziarin der Apothekerkammer Nordrhein, 40213 Düsseldorf, E-Mail: b.mecking@aknr.de

Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2021; 46(24):14-14