Bevor hier "die Felle wegschwimmen" …

Auswandern, aber wohin?


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Versetzen Sie sich für einen Augenblick in die Lage, über ein Millionenvermögen zu verfügen, idealerweise liquide und transferierbar. Vielleicht sind Sie schon in dieser glücklichen Lage. Und nun lassen Sie vor dieser Kulisse das hiesige Geschehen auf sich wirken. Haben Sie den Eindruck, dass wir auf dem richtigen Weg überhaupt zukunftsfähig sind? Oder verrennen und überheben wir uns nicht gerade gewaltig? Gehen wir in eine Phase der Instabilität, oder können wir unser Niveau an Lebensstandard, Sicherheit und Berechenbarkeit halbwegs halten? Welche Dimensionen nimmt die "finanzielle Repression" (Entwertung des Geldes und perspektivisch anderer Assets, die bislang einen guten Lauf hatten) noch an? Fühlen Sie sich, abgesehen davon, noch frei, oder spüren Sie, wie Ihnen Illiberalität, Regulierungs-, Bürokratie- und Kontrollwahn und nun wieder erschreckenderweise "Pulverdampf" auf europäischem Boden immer weiter die (auch geistige) Luft abschnüren? Selten stellten sich diese Fragen so deutlich.

Wer denkt da nicht mal über Optionen außerhalb heimischer Grenzen nach? Der eine oder andere mag sogar schon einen Weg über Ferien- oder sonstige Auslandsimmobilien bzw. andere Investments angebahnt haben.

Egal was man tut – es trägt ein Preisschild und ist ein Tauschgeschäft. Man wird immer einiges einbüßen und hoffentlich mehr gewinnen. Oft bleibt es bei der Hoffnung, und nichts ist hundertprozentig, selbst auf der Traum-Südseeinsel nicht. Ist bloße Unzufriedenheit das Hauptmotiv, ist die Gefahr groß, das Hiesige zu gering zu schätzen und die Zukunft in neuer Umgebung zu rosig zu sehen (Ähnliches gilt übrigens für überstürzte Stellen-, Wohnort oder Partnerwechsel). Nüchterne Abwägung und analytisches Herangehen tun gerade bei Lebensentscheidungen not. Abseits aller Formalien gilt es, für die künftige Destination ebenfalls eine Zukunftsbetrachtung über den momentanen Eindruck hinaus anzustellen.

Tendenziell fährt man mit kleinen Ländern am besten, die abseits der großen Weltpolitik "unter dem Radar segeln", und bei welchen das Verhältnis von Menschen zu natürlichen Ressourcen stimmt (u.a. niedrige Bevölkerungsdichte in klimatisch günstigen, ressourcenreichen Regionen). Idealerweise stehen diese am Beginn ihrer wirtschaftlichen Entwicklung, sodass man heute noch für kleines Geld dabei ist und am Aufschwung partizipieren kann.

In der Schweiz gehören Sie erst mit gut 5 Mio. US-$ Vermögen zum reichsten Prozent, in Australien und Neuseeland mit knapp 3 Mio. $, hierzulande mit 2 Mio. $, in Vietnam schon mit 160.000 $, in Indien gar mit 60.000 $ (Quelle: Knight Frank Wealth Sizing Model). Eminent wichtig sind Rechtssicherheit u.a. für die Geldanlage und (ggf. sogar unternehmerische) Investitionsmöglichkeiten. Sich auf dem Arbeitsmarkt verdingen zu wollen, ist in Ländern mit meist hohem Angebot an jungen Arbeitssuchenden weniger erfolgversprechend, es sei denn, man verfügt über gesuchte Spezialqualifikationen – die "einfache" Pharmazie reicht da nicht unbedingt. Lebt man hingegen vom Kapital bzw. seiner Rente, muss man sehr genau auf die Entwicklung der Lebenshaltungskosten achten. Eine kaum dynamisierte Versorgungswerk-Rente kann so zum Problem werden. Abseits aller Träumereien gilt es also, zahlreiche Fakten im Auge zu behalten, was oftmals bereits in der Heimat nicht gelingt.

Selbstständige Apothekerinnen und Apotheker in der Mitte des Lebens kommen so kaum für einen derart großen Schritt infrage. Viel zu sehr sind sie an das hiesige, zwar fremdbestimmte, aber immer noch eine beachtliche Sicherheit bietende Gesundheits- und Staatssystem adaptiert. Und: Verpflichtungen binden, ob betrieblich oder familiär. Risikofreudige Abenteurer und Aussteiger findet man da selten.

Bleiben die Jungen am Anfang ihrer Berufslaufbahn und die Älteren, denen es um einen entspannten Lebensabend geht, und die noch fit genug für eine solche Veränderung sind. Sprich: Das Zeitfenster ist bei Licht betrachtet und in "normalen" Zeiten eher schmal. Doch haben wir normale Zeiten? Kluge Menschen denken daher mögliche Alternativen für den Fall der Fälle durch, in diesem Fall räumlich. Wie gefährlich es sein kann, diese nicht zu haben, scheint sich gerade wieder zu zeigen.

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

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