Cherry Picking in Reinkultur

Liebe Leserinnen und Leser,

angesichts der demografischen Entwicklung gilt die Gesundheitsbranche unter Analysten als hochattraktiver Wachstumsmarkt: Renditen von 20% sind – sehr zur Freude von Finanzinvestoren – keine Seltenheit. Wie sie das "hinbekommen", hat das NDR-Magazin "Panorama 3" kürzlich am Beispiel mehrerer Augenarztketten – alle in der Hand branchenfremder Kapitalinvestoren – aufgedeckt. Die Ergebnisse sind alarmierend: Demnach üben Ärzte in diesen Praxen Druck auf Patienten aus und bieten offensiv Zusatzleistungen bis hin zu überflüssigen Operationen an. Damit wird von wenigen, renditehungrigen Anbietern das wichtigste Kapital aller Heilberufe aufs Spiel gesetzt: das Vertrauen der Patienten. Beschleicht die auch nur ansatzweise der Verdacht, der (bisherige) Arzt ihres Vertrauens ist zugleich Sales-Mitarbeiter eines kapitalgetriebenen Konzerns in Personalunion, der mehr die OP-Absatzzahlen und seine "Verkaufsprovision" im Blick hat als ihr Wohl, haben wir eine typische "Loose-Loose"-Situation ...

Die Parallelen zum Apothekenmarkt sind nicht zu übersehen: Auch dort scharren Investoren seit Jahren mit den Hufen und suchen nach Schlupflöchern, wie sie das Fremdbesitzverbot umgehen und endlich einen Fuß in die Tür bekommen könnten. Bietet die Politik ihnen solche – wie im Fall der Augenarztketten – , dann könnten wir pharmazeutisches Cherry Picking in Reinkultur erleben: Lukrative Apotheken-Leistungen würden sie abschöpfen, renditeschwache Angebote (vom Nacht- und Notdienst bis zur Versorgung Nordfrieslands) generös den anderen Apotheken überlassen. Vom Vertrauensverlust der Patienten in Drückerkolonnen im Apothekenkittel ganz zu schweigen.

Es grüßt Sie herzlichst

Ihr

Dr. Hubert Ortner