Sind die "fetten Jahre" vorbei?

Weniger ist womöglich trotzdem mehr


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Paradigmenwechsel fallen selten leicht. Wurde bis vor Kurzem – und teils noch – stets über ein "Mehr" und nur über die Verbesserung von allem Möglichen diskutiert, so schwingt das Pendel nun vielleicht sogar für eine ganze Weile in die andere Richtung. Wir reden nicht mehr über "immer besser", sondern schalten einen oder gar mehrere Gänge zurück. Ein Erhalt des Bisherigen gilt dann schon als Erfolg.

In solchen Zeiten schlägt wieder die Stunde der Controller, Rationalisierer und allem, was irgendwie schlank und "lean" ist: Lean Management, Lean Production … wer erinnert sich noch 20 oder 30 Jahre zurück? Produktivität und Effizienz rücken wieder nach vorne. Wir werden das Wünsch- im Gegensatz zum Finanzierbaren hinterfragen. Ausgaben werden priorisiert, und man wird von Investitions- und Einstellungsstopp reden, wenn nicht gar von Rück- und Abbau – alles Dinge, die etwas aus dem Blick geraten sind und so "1990er" oder "Nullerjahre" waren. Die bekannten Lohnstückkosten werden bei unserem Parforceritt durch die Energielandschaft mit viel zu unscharfen Zukunftskonturen wohl durch "Energiestückkosten" ergänzt werden müssen. Kennzahlen werden jetzt generell wieder wichtiger werden.

In den Wärme- und Komfortzonen des heutigen Lebens wird die Temperatur einige Grad zurückgedreht, so wie es ja physikalisch bereits angemahnt wird. Die Zeitenwende droht quer durch die Gesellschaft. Doch Rückgang lässt sich intelligent managen und in Teilen sogar als Chance begreifen – nämlich Entschlackungs- und Fitnessprogramm und somit Stärkung der Zukunftsfähigkeit. Dass unsere Gesellschaft nicht nur physisch, sondern auch mental (zu) viel Speck angesetzt hat, ist unverkennbar. Und, selbst wenn jetzt manche aufheulen mögen, bei Licht betrachtet gilt das auch für viele Apotheken, die gern schon mal eine ganz ordentliche Komfortzone geworden sind, wie man sie in vielen anderen Wirtschaftsbereichen nach wie vor nicht findet. Das erschließt sich jedem, der mit wachem Blick in der Republik unterwegs ist.

In solchen Zeiten gilt es, mit Bedacht zu handeln und sich nicht unglaubwürdig zu machen. Apotheken werden es momentan schwer haben, mit Forderungen nach grundlegend höheren Honoraren durchzudringen. Dazu sind die betriebswirtschaftlichen Zahlen einfach (noch) zu gut, ungeachtet dessen, dass meist nur über Durchschnittswerte geredet wird. Doch Durchschnitt heißt eben: Die einen liegen darüber, und andere darunter. Da liegt politisch die Überlegung nahe, über Umverteilungsmechanismen innerhalb der Branche selbst nachzudenken, statt allen deutlich mehr zu geben.

Klüger und von "zeitloser Eleganz" ist es da, endlich die Belastungen und Zeitfresser anzugehen, Bürokratie abzubauen, mehr Entfaltungsmöglichkeiten zu eröffnen sowie Regularien und den teils grotesken (und dabei nicht einmal besonders wirkmächtigen) "Sicherheitswahn" zu hinterfragen: kräftiges Ausmisten als eine Form der Fitnesskur, ohne nun den pharmazeutischen Qualitätsverstand sausen zu lassen. Im Gegenteil – risikobasierte Eigenverantwortung als Primat, nicht starre Regelkorsette. Mehr Freiheit wagen! Diese Entschlackung täte nebenbei dem gesamten Pharmamarkt gut. Wie viele Preiseingriffsvarianten, Rabatte und Verrechnungsmodalitäten gibt es hier? Ganz zu schweigen von den (Un-)Tiefen der Rezeptabrechnung. Der eiserne Besen könnte überall nutzbringend wirken. Am Ende sollte es für alle einfacher, der Alltag wieder lebenswerter sein. Unter dem Strich würde nebenbei so wohl am meisten gespart und die knappen Ressourcen am besten genutzt.

Natürlich ist es bequemer, über das Ausschütten von Füllhörnern zu reden, schön gleichmäßig mit der Gießkanne über alle verteilt unter Erhalt all der Strukturen mitsamt der bisweilen ja grotesken Nebenfolgen, Posten und Pöstchen. Doch Menschen wie Unternehmen wachsen an ihren Herausforderungen. Krisen wirken insoweit positiv, denn sie scheiden die Spreu vom Weizen und bringen Märkte wieder in Form, man kann euphemistisch "bereinigen" sagen, was ja immer einen zynischen Unterton hat. Aber das ganze Leben ist im Grunde herausfordernd-zynisch, denn am Ende geht es stets um das Wechselspiel von Anpassung an und die Durchsetzung gegenüber einer sich wandelnden Umwelt. Nicht jedem gelingt das gleichermaßen, nirgendwo.

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

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