Heilberuf statt Warenverkäufer

Zukunft "Sessel-Apotheker"?


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Der Berufsstand ringt mit sich. Doch mussten die Apotheker als nach Köpfen nie allzu gewichtige Gruppe nicht schon immer ihre Rolle im "Haifischbecken des Gesundheitswesens" finden und verteidigen? Zu den nun wieder möglichen Einschnitten von außen kommen interne Probleme, die ein echtes Zersetzungspotenzial haben. Die Mitarbeiterunzufriedenheit erklimmt Rekorde, und so wird mit den Füßen abgestimmt – Nachwuchsmangel und Abwanderung! Die Spaltung der Apothekenlandschaft hinterlässt immer breitere Schneisen bei den Inhabern: Einer nicht mal so kleinen Zahl geht es (sehr) gut, aber vielen immer schlechter. Die Motivationskrise ist auch dort angekommen.

Das Zaubermittel würde nun auf die vier Buchstaben "Geld" lauten. Damit lässt sich viel übertünchen und Zeit kaufen, doch die strukturellen und Sinnfragen bleiben. Letztere beschäftigen gerade die junge Generation. Selbst wenn diese mitsamt dem Dauerbrenner "Work-Life-Balance" momentan überzeichnet und sich in raueren Zeiten wieder abschleifen wird, so steht doch die Frage, was rund 13 Milliarden Euro Apotheken-Rohertrag rechtfertigt, wie der weiße Elefant im Raum. Da helfen die steten Verweise nichts, dass dies nur ein kleiner Anteil an den Gesundheitsausgaben sei. Jeder Profi weiß, dass Kleinvieh auch Mist macht und man in komplexen Systemen an vielen Schrauben und Schräubchen drehen muss, denn die eine Patentlösung für die Kostenprobleme gibt es nicht. Und da kocht wieder die Frage hoch, ob die rein logistische Rolle der Apotheken nicht überbezahlt (weil von anderen billiger machbar) ist, und der wissenschaftlich fundierte, pharmazeutisch-patientenorientierte Teil nicht gar weit unter Wert gehandelt wird.

"Spinnen" wir also mal. Wir verzichten auf die meisten heutigen Apotheken und erhalten vielleicht drei- bis fünftausend Schwerpunkt-Betriebe mit echtem "Full-Service-Angebot". Die Logistik, auch zum Kunden, wird weitestgehend ausgelagert (z.B. an unsere heutigen Großhändler?). Warenbewegungen in der Apotheke finden nur noch zu einem Bruchteil (Akutversorgung und Individualherstellung) statt. Diese "Life Science Center" der Zukunft wären viel mehr Praxen denn Läden. Für die Kollegen böte sich zudem die Alternative patientennaher Beratungsstellen an ("Sessel-Apotheker"), wo in erster Linie noch Beratungen, Tests, Messungen etc. stattfänden. Eine neue Qualifikation "Heilpraktiker Health Coaching und Prävention" erweiterte den Handlungsspielraum, ohne zu sehr in die Ärztesphären einzugreifen. Im Gegenteil: Ärzte könnten diese Leistungen aktiv verschreiben. Eine solche neue Apotheker-Existenz fernab vom heutigen Ladenimage, stattdessen auf heilberuflicher Praxis-Augenhöhe, hätte einigen Charme, u.a. was selbstbestimmtes Arbeiten und die vielzitierte "Work-Life-Balance" angeht.

Rechnen wir aber auch einmal. Um die vier Milliarden Euro geben Apotheken für Sachkosten, Mieten, IT etc. abseits der Personalkosten aus. Davon würde viel wegfallen können. Beim Personal wären die nicht-pharmazeutischen Kräfte gefährdet, aber auch viele PTA müssten schauen, wo sie bleiben – sicher noch in den Schwerpunkt-Apotheken, sonst allenfalls als Assistenz in den neuen "pharmazeutischen Praxen". Und schauen wir natürlich auf die heute 53.000 in den Offizinen beschäftigten Pharmazeuten (mit Inhabern), in Vollzeitäquivalenten vielleicht 40.000. Ein Teil würde weiter in den Schwerpunktbetrieben gebraucht, eine deutlich fünfstellige Zahl wäre aber auf sich gestellt und würde sich den überwiegend eher kleinen Psychologen-, Heilmittelerbringer- und Heilpraktiker-Praxen hinzugesellen – und sich im dazu passenden (Ärzte-)Umfeld niederlassen.

Die Ersparnisse für die Krankenkassen durch ein Medikationsmanagement kann man vordergründig im Bereich von ein bis zwei Milliarden Euro jährlich verorten (bei grob überschlagen 500.000 arzneimittelbedingten Krankenhausfällen mit üblichen Fallkosten, die Hälfte verhinderbar). Das ist etwas dünn. Wir müssen also tiefer schürfen: Prävention aller Art, Monitoring, Ernährung, Gesundheits- und Lebensberatung, "Health Risk Management" mit tatsächlich hohem Potenzial. Umgekehrt benötigt eine Vollzeit-Beratungspraxis Einnahmen oberhalb 100.000 € p.a., um halbwegs attraktiv zu sein. Das erscheint durchaus rational darstellbar, ein Selbstläufer ist es aber nicht, zumal die Kunden mitspielen müssten. Also alles einstweilen nur Spinnerei, oder doch mehr?

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

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