Fantasietests und Co.

Schwindel mit Ansage


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Da kann man sich nur die Augen reiben: So wurden unlängst in Nordrhein-Westfalen an einer Teststation 2.670 Corona-Schnelltests abgerechnet, während an dem betreffenden Tag anlässlich einer gemeinsamen Rechercheaktion von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung gerade einmal 52 fußläufige Testkandidaten und 101 angekommene Autos zu zählen waren. Und an weiteren Tagen sah es nicht viel anders aus.

Wie man den einschlägigen Medien entnehmen kann, war der entsprechende Testbetreiber ein Steuerberater (sic!), der immerhin einige Kenntnisse haben dürfte, wie man Fantasie steuerlich verbucht. Das ist nur ein aktuelles Beispiel unter vielen, denn als Testzentren-Betreiber fungierten ja gerade in der Anfangszeit der „Corona-Testitis“ noch schillerndere Gestalten. Inzwischen, wo man langsam die Verwerfungen der Pandemie aufarbeitet, geht man alleine bei den Schnelltests von einem Schaden deutlich über einer Milliarde Euro aus.

Bezahlt für Fantasietests und betragsmäßig durchgereicht von Institutionen – nämlich den kassenärztlichen Vereinigungen – die immerhin mit 3,5% Abrechnungsgebühr daran beteiligt waren bzw. noch sind. Da versteht man, dass die Motivation für strikte Kontrollen nicht allzu überschäumend ist. Der Ehrlichkeit halber muss angemerkt werden, dass politisch ein rasches, niedrigschwelliges und für unsere deutschen Verhältnisse bürokratiearmes Testangebot ausdrücklich gewünscht war, „whatever it takes“. Doch man lehnt sich sicher nicht zu weit aus dem Fenster mit der Behauptung, dass Testzentren, die allein unter der Regie von kompetenten Heilberuflern gestanden hätten, eine weitaus geringere „Fantasiequote“ gehabt hätten.

Was verleitet nun verantwortliche Entscheider zu solchen Fehlgriffen? Naivität, menschlich verständliche Denkblockaden in Panikzeiten, schlichte Inkompetenz oder im Einzelfall gar – vorsichtig ausgedrückt – „Interessenskonflikte“? Es dürfte von allem etwas dabei sein. Angesichts der atemberaubenden Summen, die pandemiebedingt in kürzester Zeit bewegt wurden, werden sich die Medien noch an etlichen Skandalen und Skandälchen abarbeiten, nicht zuletzt im eigenen (Auflagen-)Interesse. Einiges wird man unter kaum vermeidbare Kollateralschäden buchen müssen, einfach weil schnelles Handeln abseits üblicher Wege nötig war.

Anderes legt groteske Schwächen bloß. Wollte oder will man bisweilen übers Ohr gehauen werden und Dinge erst gar nicht so genau wissen? Während man hierzulande die Zahl der Hühner und beinahe jedes CO2-Molekül (vermeintlich) exakt erfasst, hatten wir in der Pandemie nie ein genaues Lagebild über die Infektionslage. Selbst das Zählen der in der jeweiligen Versorgungsstufe verfügbaren Krankenhausbetten gestaltete sich erstaunlich schwierig. Kein Wunder – bar jeder Systematik und Ressourcenplanung wurde ins Blaue hinein agiert, mal Hü, mal Hott. „Whatever it takes“ plus Strategielosigkeit plus prall gefüllte Finanztöpfe ergeben jedoch viele „Windfall-Profits“ für Wegelagerer aller Art. Besonders ärgerlich könnte es jetzt allerdings werden, wenn die eigentlichen Leistungsträger des Gesundheitswesens dafür mit einer einschneidenden Gesundheitsreform „belohnt“ werden sollten. Klatsche statt beklatschen! Von windigen ehemaligen Testzentrenbetreibern und Maskendealern wird jedenfalls nicht viel zu holen sein.

Ob das Ressourcenmanagement unter einem Gesundheitsminister besser wird, der sich anschickt, Loriots „Papa ante portas“ u.a. mit seinen Impfstoffbestellungen weit in den Schatten zu stellen, darf getrost bezweifelt werden. Wenn er denn noch lange Minister bleibt, worauf man bei Fortsetzung der bisherigen Leistungsbilanz durchaus Wetten abschließen kann. Wie es auch kommt: Der Kluge steht an der richtigen Stelle und spannt seinen Schirm geschickt dort auf, wo es wieder Manna regnen wird, auch wenn demnächst wohl weniger zu den Glücklichen zählen werden. Blöd ist nur in diesem Kontext, dass die Apotheken eben die Dummen sein könnten, angesichts einer auf 9,50 € gekürzten Schnelltestvergütung, davon 3,00 € erlassbare Selbstbeteiligung. Auch ein wieder sehr eng gefasster Arztvorbehalt bei diagnostischen Tests ist noch lange nicht dauerhaft vom Tisch. Und das, wo doch gerade die Affenpocken im Kurs steigen und Corona längst nicht vorbei ist; gar nicht zu reden von so vielen anderen spannenden Testmöglichkeiten in der Apotheke!

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

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