Helmut Lehr
In seinem Schreiben vom 10. Mai 2022 (AZ: IV C 1 – S 2256/19/10003 :001) gibt das Bundesfinanzministerium den Finanzämtern eine bundesweit einheitliche und sehr ausführliche Arbeitsanweisung an die Hand, die den Umgang mit Erträgen aus „virtuellen Geschäften“ der Steuerpflichtigen regeln soll. Weil die Materie zumindest für den „Otto Normalverbraucher“ teils nur sehr schwer zugänglich ist, beschäftigen sich die ersten zehn Seiten des Schreibens nahezu ausschließlich mit der Erläuterung von spezifischen Begriffen wie Token, Blockchain, Masternode, Lending, Airdrop etc.
Definition „virtuelle Währung“
Da die Verwaltungsanweisung insbesondere für virtuelle Währungen gelten soll, muss zunächst klar sein, in welchen Fällen überhaupt eine „virtuelle Währung“ vorliegt. Es handelt sich dabei um
- digitale Werteinheiten,
- die von keiner Zentralbank oder öffentlichen Stelle emittiert oder garantiert werden und damit
- nicht den Status einer Währung oder von Geld besitzen, aber
- von natürlichen oder juristischen Personen als Tauschmittel akzeptiert werden und
- auf elektronischem Wege übertragen, gespeichert und gehandelt werden können.
Zu den bekanntesten virtuellen Währungen gehören derzeit z.B. Bitcoin, Ether, Litecoin und Ripple.
Hinweis: Weitere Beispiele finden Sie auf dieser Internetseite
Aus Sicht der Finanzverwaltung sind Einheiten einer virtuellen Währung und sonstige Token als Wirtschaftsgüter einzuordnen, was für die Besteuerung entscheidende Bedeutung hat. Damit besteht für den Fiskus nämlich insbesondere die Möglichkeit, Gewinne als private Veräußerungsgeschäfte (Spekulationsgewinn!) zu besteuern (vgl. AWA 08/2018). Dies setzt natürlich voraus, dass der Zeitraum zwischen der Anschaffung und der Veräußerung nicht mehr als ein Jahr beträgt.
Hinweis: Steuerfrei bleiben solche Spekulationsgewinne nur, wenn die Summe der aus sämtlichen privaten Veräußerungsgeschäften erzielten Gewinne weniger als 600 €/Jahr beträgt.
Liegt überhaupt eine Anschaffung bzw. Veräußerung vor?
Da die gesetzlichen Steuertatbestände mit der rasanten Entwicklung in diesem Bereich nicht Schritt halten, muss in jedem Einzelfall genau geprüft werden, ob der jeweils verwirklichte Sachverhalt überhaupt als privates Veräußerungsgeschäft anzusehen ist. Dies erfordert nämlich einen Anschaffungsvorgang („entgeltlicher Erwerb“) und einen Veräußerungsvorgang, zumindest aber gleichgestellte Tatbestände.
Nach Ansicht der Finanzverwaltung gelten die im Zusammenhang mit der Blockerstellung und ggf. die durch einen ICO (Initial Coin Offering) oder Airdrop erlangten Einheiten als angeschafft im steuerlichen Sinn. Entgeltlich erworben sind danach auch alle Einheiten einer virtuellen Währung und sonstige Token, die Steuerpflichtige im Tausch gegen Einheiten einer staatlichen Währung, Waren oder Dienstleistungen sowie gegen Einheiten einer anderen virtuellen Währung erworben haben.
Hinweis: Spiegelbildlich zur Anschaffung stellt die entgeltliche Übertragung des angeschafften Wirtschaftsguts auf Dritte eine Veräußerung dar. Gleiches gilt für den Tausch gegen eine staatliche Währung, Waren, Dienstleistungen oder eine andere virtuelle Währung.
Zweifel bleiben
Ob die Auffassung der Finanzverwaltung der Weisheit letzter Schluss ist, kann zur Zeit noch nicht abgeschätzt werden. Erste Urteile der Finanzgerichte zeigen aber, wie schwer sich die Richter z.T. bereits mit der Einordnung der zugrundeliegenden „technischen Vorgänge“ tun. Außerdem könnte fraglich sein, ob die Besteuerung überhaupt rechtens ist, weil in diesem Bereich durchaus ein strukturelles Vollzugsdefizit denkbar ist, was gegen die Gleichmäßigkeit der Besteuerung spricht. So kann die Finanzverwaltung einen flächendeckenden Zugriff auf solche Gewinne derzeit noch nicht annähernd sicherstellen. Soll heißen: Der Ehrliche ist (zumindest aktuell noch) wieder einmal der Dumme!
Das Finanzgericht Köln hat in seinem Urteil vom 25.11.2021 (AZ: 14 K 1178/20) die Besteuerung als Spekulationsgeschäft für rechtens erachtet. Im Streitfall hatte der Kläger in den Jahren 2014 bis 2016 über die Plattform bitcoin.de etwa 20.000 € in Bitcoin investiert. Im Jahr 2017 tauschte er die Bitcoin (Gegenwert: rund 25.000 €) teilweise in Ether. Die Ether (Gegenwert: ca. 1.040.000 €) tauschte er vollständig in Monero. Am Jahresende tauschte er Monero wiederum in Bitcoin, für die er in demselben Jahr Euro erwarb.
In seiner Steuererklärung für das Jahr 2017 hatte er aus Vorsichtsgründen Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von 3.440.000 € deklariert, die der Finanzverwaltung ansonsten womöglich verborgen geblieben wären.
Hinweis: Ob in solchen Fällen tatsächlich steuerpflichtige Einkünfte erzielt werden, muss der Bundesfinanzhof noch abschließend entscheiden. Das Revisionsverfahren gegen das Urteil des Finanzgerichts Köln ist unter dem Aktenzeichen IX R 3/22 anhängig. Steuerbescheide sollten bis auf Weiteres offengehalten werden. Zumindest bei nennenswerten Erträgen kann es Sinn machen, sich im Vorfeld der Steuerdeklaration mit einem auf „virtuelle Währungen“ spezialisierten Berater zu verständigen, da bereits die Art und Weise der Offenlegung der einzelnen Tatbestände über die Höhe der Steuer entscheiden könnte.
Helmut Lehr, Dipl.-Finanzwirt (FH), Steuerberater, 55437 Appenheim
Aktueller Wirtschaftsdienst für Apotheker 2022; 47(13):16-16