Hauptsache geregelt und ausgeschildert

Unterwegs auf energetischen Abwegen


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Wer nach dem Corona-Kuriositätenkabinett (welches bald wieder öffnet?) dachte, die Spitze der Realsatire wäre erreicht, sieht sich wiederum getäuscht. Der Energienotstand lässt der regulatorischen Kreativität freien Lauf, bis hin zur Groteske. Da halten wir hier locker mit ;-)

Reduzierte Ladenbeleuchtung und Leuchtwerbung, geschlossene Ladentüren, kühle Räume, neue Straßen-Finsternis, gar ein "Energie-Lockdown": dunkel-kalte Zeiten drohen. Der Waschlappen kommt zu neuer Ehre, tritt er doch nach kerniger Politikeransage in Konkurrenz zum (warmen) Duschwasserstrahl.

Apropos Waschlappen. Da kommen wir einer Ursache der Misere näher. Nicht zuletzt unsere risikoscheue, wohlstandsver- und kampfentwöhnte, coronamüde Wohlfühl-Gesellschaft hat uns in diese Bredouille geführt. Wie lässt sich sonst erklären, dass ein militärisch, technologisch und wirtschaftlich meilenweit überlegener Westen mit über einer Billion Dollar Rüstungsausgaben pro Jahr von einem rohstoff- und flächenreichen, aber ökonomischen Zwerg mit kruden Weltmachtträumen sich die Eskalationsdominanz diktieren lässt? Aber lassen wir das.

Nun ist die Lage, wie sie ist. Und es scheint, dass man lieber den Schrecken perpetuiert, als ihm entschlossen ein Ende zu setzen. Doch warum? Wer macht hier auf wessen Kosten Boden gut? Wer stellt die Weichen für die Zukunft, wer fährt aufs Abstellgleis? Da sich zur energetischen zunehmend eine geistig-kulturelle Sparsamkeit gesellt, wird dies wenig hinterfragt. Krisen sind ja die profitabelsten Stunden gerissener Spekulanten und diverser Günstlinge auf der richtigen Seite des Tisches.

Wer nicht anderen das Fell über die Ohren ziehen kann, bekommt es eben selbst geschoren. Mangelverwaltung und puritanische Askese sind die neuen Tugenden, mit reichlich Ideologie obenauf. Eine kluge, gar erfrischend einfach-pragmatische Vorgehensweise scheidet bei uns schon systemimmanent aus. Stattdessen feinste Symbolpolitik, denn "Kleinigkeiten machen ja viel aus." Hauptsache, die Bürger spüren es und werden gefügig, zum Dank gibt’s wieder ebenfalls Symbolisches aus der Staatskasse. Corona lässt grüßen. Ein Beruf mit Zukunft wird der Energie- und Konsumwächter, in China heißen sie Nachbarschaftskomitees, hier ehemals Blockwarte. Bewerber dürfte es viele geben, anders als für Handwerks- oder Gesundheitsberufe. Voraussetzungen: Klebepraxis an öffentlichen Straßen, maximal ein mangelhaft in den technisch-naturwissenschaftlichen Fächern sowie ganz viel (richtige) Haltung.

Dann kann es richtig losgehen. Der Autor wundert sich, warum nicht schon längst die Hometrainer-Pflicht mit angeschlossenem Generator auf dem Weg ist. Strampeln für Klima und Frieden! Das macht gerade in der kalten Jahreszeit nicht nur ums Herz warm, liefert Strom und lässt Pfunde purzeln, auch wenn es dunkel und windstill ist. Man entwickelt ein ganz anderes Verhältnis zur Energie und sich selbst. Welch Schwächling ist man doch, wenn man nicht einmal den Staubsauger oder Eierkocher mangels Watt in den Beinen in Gang gebracht bekommt. Für den 60-Zoll-Screen reicht es vielleicht, wie für die ökologisch korrekte Sparbeleuchtung, Smartphone und Notebook. Besser kann Konditionierung und Selbstverzwergung nicht funktionieren. Durch die Beine in den Kopf! Ein schöner Nebeneffekt: Strampeln macht müde, und schon bei meiner Mutter hieß es: "Junge, müde darfst Du werden, aber nicht frech …" Also nichts mit Montagsspaziergängen. Übrigens wäre auch das hier "teuflisch gut": Zwangstausch der typischen 16 Ampere-Haushaltssicherungen gegen solche mit nur 4 A oder 6 A!

Völlig brach liegen die enormen regulatorischen (Öko-)Potenziale am heimischen Esstisch, während man die ungeliebte Individualmobilität durch eine groteske Preispolitik, Kontingentierung der Kraftstoffe und eine Angebotsverknappung auf dem Fahrzeugmarkt quasi nebenbei erledigt und den Autobestand einfach abschmilzt. Den Rest macht die Digitalisierung, die jedem irgendwann jedes Watt und jedes Gramm CO2 persönlich anrechnen kann. Willkommen in der entfesselten Ökobürokratie-Zukunft, in der man naturwissenschaftlich-technische Fakten einfach wegreguliert. Oder auf einem Irrweg, der an Vernunft und Auslandsgrenzen scheitern muss?

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

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