Das (Finanz-)Karussell dreht sich immer schneller

Zeit atemberaubender Werteverschiebungen


Prof. Dr. Reinhard Herzog

Egal, was man im Leben tut, man muss es sich leisten können, wobei der monetäre Aspekt nur einer unter vielen zu sein scheint. Daher der Spruch: "Es ist ja nur Geld!" Dummerweise verdichten sich in unserem Wirtschaftssystem alle Ressourcen und unsere Stärken bzw. Schwächen am Ende auf ein monetäres Korrelat. Geht die Bilanz dann nicht mehr auf, wollen Weltenretter stets das gesamte Wirtschaftssystem umkrempeln. Aktuell soll die grundlegende Öko-Transformation ("Green Deal") das große Ding sein, um wirtschaftliche und nebenbei so manch technisch-naturwissenschaftliche Tatsachen auf den Kopf zu stellen und eine Art ökologisch-ökonomisches Perpetuum mobile basierend auf Sonne, Wind, warmer Luft und ganz viel Nächstenliebe zu erschaffen.

Was man vielleicht in der Binnenwirtschaft und vor dem eigenen Volk noch unter den Tisch kehren kann, geht spätestens in der Leistungsbilanz mit dem Ausland sowie bei der Währung nicht mehr auf. Hier bilden sich Stärke und Schwäche ungeschminkt ab, mit tiefgreifenden Folgen. Mit einer schwachen Währung werden Importe immer teurer, ebenso Urlaube außerhalb des eigenen Währungsraumes. Für das Ausland werden unsere Produkte dafür günstiger, was voraussetzt, dass wir überhaupt noch wettbewerbsfähig etwas Attraktives anzubieten haben. Womit wir wieder bei der Stärke wären. Bequeme Jahre hindurch ging diese Arithmetik zu unseren Gunsten auf. Wir importierten vieles aus heutiger Sicht spottbillig, von Energie und Rohstoffen bis hin zu Textilien oder Arzneimitteln bzw. deren Grundstoffen (letztere werden gern übersehen, wenn wir wieder in Europa selbst synthetisieren wollen). Nun kommt diese Statik ins Wanken. Setzen wir ein paar Preisschilder dran.

Die Achillesverse Erdgas, wovon bisher 1.000 Terawattstunden jährlich (1.000 Milliarden KWh) benötigt wurden, schlägt – vor möglichen Gas-Einsparungen – mit sagenhaften 10 Mrd. € je Cent Preisdifferenz und Kilowattstunde ein. Preissprünge von einigen zehn Cent je KWh bedeuten deutschlandweit dreistellige Milliardenbeträge. Was haben wir somit bisher für einen wirtschaftlichen Vorteil aus billiger Energie gezogen! Strom macht mit rund 500 TWh p.a. insoweit die Hälfte aus; ein Cent je KWh zählt also mit 5 Mrd. € gesamthaft in der Republik ein. Bei gut 80 Mio. Tonnen Erdölimporten im Jahr (= knapp 600 Mio. Barrel) macht ein Dollar Plus oder Minus 600 Mio. US-$ auf dieser Grundstoffebene aus. Ganzjährig 100 Dollar Differenz, quasi der Maximalsprung zwischen sehr billig und teuer, belasten mit 60 Mrd. $. Ob das dann 60 oder nur 50 Mrd. Euro sind – ja, da kommt wieder die Stärke der eigenen Währung ins Spiel. Solche Rechnungen lassen sich für alle wichtigen Rohstoffe und Vorprodukte aufmachen, doch gilt: "Energy first".

Diese Beträge schlagen unterschiedlich in Wirtschaft und Gesellschaft ein, hier in Form existenzieller Wettbewerbsnachteile, dort "nur" in der Haushaltskasse. Gleichwohl fehlen die Gelder, müssen irgendwo abgeknapst (Stichwort Konsum) oder aus dem Vermögensstock bestritten werden. 7,5 Billionen Euro Geldvermögen der Deutschen wirken da als vermeintlich beruhigender Puffer, der nun geplündert wird – zu wessen Gunsten? Die Binneneffekte des "Gürtel enger schnallen" sind das eine, die Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit und das Investitionsklima in zentralen Industriesegmenten das andere. Damit einher gehen durchgreifende Unternehmens-Neubewertungen, am unmittelbarsten an der Börse sichtbar – die sich noch überraschend gut hält; glaubt man dort an ein rasches Ende des Irrsinns? Selbst Apothekenverkäufer werden merken: Schwächelnde Gewinne, fallende Apothekenwerte!

Kapitalisieren wir die Milliardensummen aufgrund der fehlenden Gewinne in den einzelnen Firmen, erleben wir eine womöglich atemberaubende Erosion der Unternehmenswerte. Einstige Filetstücke der europäischen Industrie werden so zur Vorspeise für kapitalstarke Jäger in USA (oder China, wenn man sie noch lässt …). Nicht zuletzt dürften gerade die USA als Produktionsstandort eine Renaissance erleben. Die dortigen Energiepreise, Steuern und unternehmerischen Möglichkeiten legen das nahe. Es steht somit ein unglaublicher Vermögenstransfer im Billionenbereich an. Nur wenige realisieren das bisher, und wie man sich in diesem Umfeld neu positioniert.

Prof. Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, 72076 Tübingen, E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de

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